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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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1. Mykenisches.
Anwendung gebracht haben19). Auch auf Vasen ist der geometrische
Bogenfries nicht selten20).

So einfach also das Schema der fortlaufenden Wellenranke sich
vom Standpunkte unserer heutigen Uebersicht über das vergangene
Kunstschaffen darstellen mag, ist es doch zu jener Zeit eine Errungen-
schaft gewesen, die wir als epochemachend in der Geschichte der Or-
namentik bezeichnen dürfen. Und nicht genug damit: die mykenische
Kunst hat auch die zweite künstlerisch mögliche Variante des Wellen-
rankenmotivs, die intermittirende Wellenranke gekannt und geübt. Der
Beweis liegt vor auf einer Vase aus dem Sechsten Grabe (Fig. 52)21).
Die typische Form, in welcher das Motiv in der späteren griechischen
Kunst und in allen späteren Künsten überhaupt, überwiegend gebraucht
worden ist, soll gleich nachstehend durch ein Beispiel von einer melischen
Vase (Fig. 53 nach Conze, Melische Thongefässe I. 5) illustrirt werden,

[Abbildung] Fig. 52.

Gemalte Epheuranke von einer Vase aus dem Sechsten mykenischen Grabe.

um die Identität desselben im letzten Grunde mit dem mykenischen
Beispiel zu belegen. Die Wellenlinie läuft an Fig. 53 nicht in einem
ununterbrochenen Flusse fort, sondern erscheint an den Berg- und Thal-
punkten unterbrochen durch Blüthenmotive, die sich daselbst in genau
derselben Weise ansetzen wie die Lotus-Blüthen und Knospen an die
einseitigen Bogenreihen in der egyptischen (Fig. 22) und assyrischen
(Fig. 34) Kunst. Die Blüthenformen in Fig. 53 sind ebenfalls unver-
kennbare Abkömmlinge von egyptischen Vorbildern: dies beweist das
spitzblättrige Lotusprofil und die Volutenkelche, die allerdings missver-
standener Weise in Kreise transformirt erscheinen, mit Ausnahme der
äussersten Blüthe links, wo die Volute als solche noch deutlich zu
Tage tritt. Das mykenische Beispiel Fig. 52 unterscheidet sich nun
von der eben betrachteten Fig. 53 in Bezug auf das zu Grunde liegende

19) Schliemann, Mykenä Fig. 475, 453.
20) Z. B. Myken. Thongefässe IV. 17.
21) Myken. Thongefässe XI. 56.

1. Mykenisches.
Anwendung gebracht haben19). Auch auf Vasen ist der geometrische
Bogenfries nicht selten20).

So einfach also das Schema der fortlaufenden Wellenranke sich
vom Standpunkte unserer heutigen Uebersicht über das vergangene
Kunstschaffen darstellen mag, ist es doch zu jener Zeit eine Errungen-
schaft gewesen, die wir als epochemachend in der Geschichte der Or-
namentik bezeichnen dürfen. Und nicht genug damit: die mykenische
Kunst hat auch die zweite künstlerisch mögliche Variante des Wellen-
rankenmotivs, die intermittirende Wellenranke gekannt und geübt. Der
Beweis liegt vor auf einer Vase aus dem Sechsten Grabe (Fig. 52)21).
Die typische Form, in welcher das Motiv in der späteren griechischen
Kunst und in allen späteren Künsten überhaupt, überwiegend gebraucht
worden ist, soll gleich nachstehend durch ein Beispiel von einer melischen
Vase (Fig. 53 nach Conze, Melische Thongefässe I. 5) illustrirt werden,

[Abbildung] Fig. 52.

Gemalte Epheuranke von einer Vase aus dem Sechsten mykenischen Grabe.

um die Identität desselben im letzten Grunde mit dem mykenischen
Beispiel zu belegen. Die Wellenlinie läuft an Fig. 53 nicht in einem
ununterbrochenen Flusse fort, sondern erscheint an den Berg- und Thal-
punkten unterbrochen durch Blüthenmotive, die sich daselbst in genau
derselben Weise ansetzen wie die Lotus-Blüthen und Knospen an die
einseitigen Bogenreihen in der egyptischen (Fig. 22) und assyrischen
(Fig. 34) Kunst. Die Blüthenformen in Fig. 53 sind ebenfalls unver-
kennbare Abkömmlinge von egyptischen Vorbildern: dies beweist das
spitzblättrige Lotusprofil und die Volutenkelche, die allerdings missver-
standener Weise in Kreise transformirt erscheinen, mit Ausnahme der
äussersten Blüthe links, wo die Volute als solche noch deutlich zu
Tage tritt. Das mykenische Beispiel Fig. 52 unterscheidet sich nun
von der eben betrachteten Fig. 53 in Bezug auf das zu Grunde liegende

19) Schliemann, Mykenä Fig. 475, 453.
20) Z. B. Myken. Thongefässe IV. 17.
21) Myken. Thongefässe XI. 56.
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[123/0149] 1. Mykenisches. Anwendung gebracht haben 19). Auch auf Vasen ist der geometrische Bogenfries nicht selten 20). So einfach also das Schema der fortlaufenden Wellenranke sich vom Standpunkte unserer heutigen Uebersicht über das vergangene Kunstschaffen darstellen mag, ist es doch zu jener Zeit eine Errungen- schaft gewesen, die wir als epochemachend in der Geschichte der Or- namentik bezeichnen dürfen. Und nicht genug damit: die mykenische Kunst hat auch die zweite künstlerisch mögliche Variante des Wellen- rankenmotivs, die intermittirende Wellenranke gekannt und geübt. Der Beweis liegt vor auf einer Vase aus dem Sechsten Grabe (Fig. 52) 21). Die typische Form, in welcher das Motiv in der späteren griechischen Kunst und in allen späteren Künsten überhaupt, überwiegend gebraucht worden ist, soll gleich nachstehend durch ein Beispiel von einer melischen Vase (Fig. 53 nach Conze, Melische Thongefässe I. 5) illustrirt werden, [Abbildung Fig. 52. Gemalte Epheuranke von einer Vase aus dem Sechsten mykenischen Grabe.] um die Identität desselben im letzten Grunde mit dem mykenischen Beispiel zu belegen. Die Wellenlinie läuft an Fig. 53 nicht in einem ununterbrochenen Flusse fort, sondern erscheint an den Berg- und Thal- punkten unterbrochen durch Blüthenmotive, die sich daselbst in genau derselben Weise ansetzen wie die Lotus-Blüthen und Knospen an die einseitigen Bogenreihen in der egyptischen (Fig. 22) und assyrischen (Fig. 34) Kunst. Die Blüthenformen in Fig. 53 sind ebenfalls unver- kennbare Abkömmlinge von egyptischen Vorbildern: dies beweist das spitzblättrige Lotusprofil und die Volutenkelche, die allerdings missver- standener Weise in Kreise transformirt erscheinen, mit Ausnahme der äussersten Blüthe links, wo die Volute als solche noch deutlich zu Tage tritt. Das mykenische Beispiel Fig. 52 unterscheidet sich nun von der eben betrachteten Fig. 53 in Bezug auf das zu Grunde liegende 19) Schliemann, Mykenä Fig. 475, 453. 20) Z. B. Myken. Thongefässe IV. 17. 21) Myken. Thongefässe XI. 56.

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/149>, abgerufen am 21.11.2024.