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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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B. Das Pflanzenornament in der griechischen Kunst.
mykenischen Beispiel Fig. 50 in Verbindung gebracht und dasselbe als
specifisch griechisch erkannt hat, ohne die Sache weiter zu verfolgen.
Goodyear ist das Vorkommen der fortlaufenden Wellenranke in der
mykenischen Kunst augenscheinlich entgangen, nicht aber die inter-
mittirende Variante auf der Vase Fig. 52. Er giebt auch zu, dass dies
ein Motiv, und zwar -- wie er meint -- das einzige Motiv sei25), das der
mykenischen und der späteren griechischen Kunst gemeinsam gewesen
ist. Einen kausalen Zusammenhang zwischen beiden durfte er aber
nicht zugestehen, kraft des Vorurtheils, in dem er hinsichtlich des Allge-
meincharakters der mykenischen Kunst und ihrer Träger befangen ist.
Die "Mykenäer" sind in Goodyear's Anschauung karische Söldner ge-
wesen, kriegerische Beutemacher, die in Egypten aus Anschauung etwas
erlernt haben, und es zu Hause schlecht und recht nachmachten. Das
tiefer liegende künstlerische Moment kam, wie auch sonst in der Regel
in Goodyear's Buche, bei dieser Beurtheilung gar nicht in Rechnung.
Eine Erklärung für die konstatirte Gemeinsamkeit musste aber von
ihm gleichwohl geliefert werden.

Diese Erklärung Goodyear's lautet dahin, dass das Motiv von
Fig. 52 in der griechischen Kunst erst vom 5. Jahrhundert ab vorkommt,
(was schon durch das melische Beispiel Fig. 53 widerlegt erscheint),
dass Zwischenglieder fehlen und daher eine beiderseitige Entlehnung
aus einem dritten Gebiet angenommen werden müsse. Als dieses dritte
Beispiel bezeichnet Goodyear Cypern und zwar auf Grund einer bei
Cesnola, Cyprus S. 145 abgebildeten Steinvase und eines daselbst auf
S. 190 publicirten Terracotta-Sarkophags. Keines der beiden Beispiele
zeigt aber eine intermittirende Wellenranke, und überdies sind beide
zweifellos griechischen Ursprungs. Die Steinvase enthält Epheublätter
auf einen geraden Stengel aufgereiht; die als Palmette gestaltete
Henkelattache lässt über den griechischen Ursprung dieses Stückes
keinen Zweifel. Der Sarkophag enthält allerdings die Epheublätter
auf eine fortlaufende (nicht auf eine intermittirende) Wellenranke auf-
gereiht; dieselbe macht aber einen völlig ausgeprägt griechischen Ein-
druck, und da Cesnola selbst über das Alter sich nicht ausspricht, auch
die Fundumstände keinen wie immer gearteten Schluss zulassen, so
kann auch dieses Beispiel nicht für einen Beweis des Vorkommens der
Wellenranke in der phönikisch-kyprischen Kunst angesehen werden.
In der Kritiklosigkeit, die Goodyear in dieser Frage bekundet, wurde

25) A. a. O. 314.

B. Das Pflanzenornament in der griechischen Kunst.
mykenischen Beispiel Fig. 50 in Verbindung gebracht und dasselbe als
specifisch griechisch erkannt hat, ohne die Sache weiter zu verfolgen.
Goodyear ist das Vorkommen der fortlaufenden Wellenranke in der
mykenischen Kunst augenscheinlich entgangen, nicht aber die inter-
mittirende Variante auf der Vase Fig. 52. Er giebt auch zu, dass dies
ein Motiv, und zwar — wie er meint — das einzige Motiv sei25), das der
mykenischen und der späteren griechischen Kunst gemeinsam gewesen
ist. Einen kausalen Zusammenhang zwischen beiden durfte er aber
nicht zugestehen, kraft des Vorurtheils, in dem er hinsichtlich des Allge-
meincharakters der mykenischen Kunst und ihrer Träger befangen ist.
Die „Mykenäer“ sind in Goodyear’s Anschauung karische Söldner ge-
wesen, kriegerische Beutemacher, die in Egypten aus Anschauung etwas
erlernt haben, und es zu Hause schlecht und recht nachmachten. Das
tiefer liegende künstlerische Moment kam, wie auch sonst in der Regel
in Goodyear’s Buche, bei dieser Beurtheilung gar nicht in Rechnung.
Eine Erklärung für die konstatirte Gemeinsamkeit musste aber von
ihm gleichwohl geliefert werden.

Diese Erklärung Goodyear’s lautet dahin, dass das Motiv von
Fig. 52 in der griechischen Kunst erst vom 5. Jahrhundert ab vorkommt,
(was schon durch das melische Beispiel Fig. 53 widerlegt erscheint),
dass Zwischenglieder fehlen und daher eine beiderseitige Entlehnung
aus einem dritten Gebiet angenommen werden müsse. Als dieses dritte
Beispiel bezeichnet Goodyear Cypern und zwar auf Grund einer bei
Cesnola, Cyprus S. 145 abgebildeten Steinvase und eines daselbst auf
S. 190 publicirten Terracotta-Sarkophags. Keines der beiden Beispiele
zeigt aber eine intermittirende Wellenranke, und überdies sind beide
zweifellos griechischen Ursprungs. Die Steinvase enthält Epheublätter
auf einen geraden Stengel aufgereiht; die als Palmette gestaltete
Henkelattache lässt über den griechischen Ursprung dieses Stückes
keinen Zweifel. Der Sarkophag enthält allerdings die Epheublätter
auf eine fortlaufende (nicht auf eine intermittirende) Wellenranke auf-
gereiht; dieselbe macht aber einen völlig ausgeprägt griechischen Ein-
druck, und da Cesnola selbst über das Alter sich nicht ausspricht, auch
die Fundumstände keinen wie immer gearteten Schluss zulassen, so
kann auch dieses Beispiel nicht für einen Beweis des Vorkommens der
Wellenranke in der phönikisch-kyprischen Kunst angesehen werden.
In der Kritiklosigkeit, die Goodyear in dieser Frage bekundet, wurde

25) A. a. O. 314.
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[128/0154] B. Das Pflanzenornament in der griechischen Kunst. mykenischen Beispiel Fig. 50 in Verbindung gebracht und dasselbe als specifisch griechisch erkannt hat, ohne die Sache weiter zu verfolgen. Goodyear ist das Vorkommen der fortlaufenden Wellenranke in der mykenischen Kunst augenscheinlich entgangen, nicht aber die inter- mittirende Variante auf der Vase Fig. 52. Er giebt auch zu, dass dies ein Motiv, und zwar — wie er meint — das einzige Motiv sei 25), das der mykenischen und der späteren griechischen Kunst gemeinsam gewesen ist. Einen kausalen Zusammenhang zwischen beiden durfte er aber nicht zugestehen, kraft des Vorurtheils, in dem er hinsichtlich des Allge- meincharakters der mykenischen Kunst und ihrer Träger befangen ist. Die „Mykenäer“ sind in Goodyear’s Anschauung karische Söldner ge- wesen, kriegerische Beutemacher, die in Egypten aus Anschauung etwas erlernt haben, und es zu Hause schlecht und recht nachmachten. Das tiefer liegende künstlerische Moment kam, wie auch sonst in der Regel in Goodyear’s Buche, bei dieser Beurtheilung gar nicht in Rechnung. Eine Erklärung für die konstatirte Gemeinsamkeit musste aber von ihm gleichwohl geliefert werden. Diese Erklärung Goodyear’s lautet dahin, dass das Motiv von Fig. 52 in der griechischen Kunst erst vom 5. Jahrhundert ab vorkommt, (was schon durch das melische Beispiel Fig. 53 widerlegt erscheint), dass Zwischenglieder fehlen und daher eine beiderseitige Entlehnung aus einem dritten Gebiet angenommen werden müsse. Als dieses dritte Beispiel bezeichnet Goodyear Cypern und zwar auf Grund einer bei Cesnola, Cyprus S. 145 abgebildeten Steinvase und eines daselbst auf S. 190 publicirten Terracotta-Sarkophags. Keines der beiden Beispiele zeigt aber eine intermittirende Wellenranke, und überdies sind beide zweifellos griechischen Ursprungs. Die Steinvase enthält Epheublätter auf einen geraden Stengel aufgereiht; die als Palmette gestaltete Henkelattache lässt über den griechischen Ursprung dieses Stückes keinen Zweifel. Der Sarkophag enthält allerdings die Epheublätter auf eine fortlaufende (nicht auf eine intermittirende) Wellenranke auf- gereiht; dieselbe macht aber einen völlig ausgeprägt griechischen Ein- druck, und da Cesnola selbst über das Alter sich nicht ausspricht, auch die Fundumstände keinen wie immer gearteten Schluss zulassen, so kann auch dieses Beispiel nicht für einen Beweis des Vorkommens der Wellenranke in der phönikisch-kyprischen Kunst angesehen werden. In der Kritiklosigkeit, die Goodyear in dieser Frage bekundet, wurde 25) A. a. O. 314.

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/154>, abgerufen am 21.11.2024.