Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.B. Das Pflanzenornament in der griechischen Kunst. Kriegervase z. B. steht in Bezug auf ihren Inhalt bereits vollständig aufdem Boden der späteren griechischen Vasenmalerei; Aehnliches gilt von dem tauschirten Becher mit menschlichen Köpfen, den Tsuntas gefunden hat. Inwiefern die Anfänge der Darstellung menschlicher Figuren bei den "Mykenäern" auf egyptische Anregungen zurückgehen könnten, ist heute schwer zu entscheiden. An egyptischen Zügen fehlt es nämlich auch auf figuralem Gebiete nicht völlig: man beachte nur wie die Sti- lisirung der menschlichen Figuren auch bei den "Mykenäern" in der von den egyptischen Reliefs sattsam bekannten Weise erfolgt ist, indem der Oberkörper in Vorderansicht, der Kopf und die Füsse dagegen in Seitenansicht gebildet erscheinen. Diese Art der Stilisirung hat auch die charakteristischen "Wespentaillen" der mykenischen Figuren zur Folge gehabt, die noch im Dipylon typisch geblieben sind. Die An- lehnung an egyptische Vorbilder mag sich selbst auf bestimmte Scenen erstrecken. Für den "Gaukler" aus Tiryns bringt Goodyear eine bei Lepsius publicirte Parallele aus einem Mastaba-Grabe. Eine Stier- fangscene könnte auch die bei Prisse a. a. O., Amphores jarres et autres vases No. 1 publicirte egyptische Vase enthalten; ein darauf dargestellter mit den Hinterbeinen nach rückwärts ausschlagender Stier zeigt in seiner Haltung die nächste Verwandtschaft mit einem der Stiere auf dem Becher von Vaphio. Und doch wird Niemand den Becher von Vaphio für egyptische Arbeit erklären wollen. Wie individuell sind doch da die Menschen charakterisirt, trotz der egyptisirenden Stilisirung ihrer Oberleiber. Ja das Genreartige in Inhalt und Darstellung, sowie die eingehende Berücksichtigung des Landschaftlichen52), wie sie uns auf dem Becher von Vaphio entgegentritt, zeigt uns die mykenische Kunst in einem so freien Verhältnisse zu dem Stoffe, den Natur und mensch- liches Privatleben darbieten, wie es die spätere griechische Kunst kaum vor der Diadochenzeit wieder erreicht hat. Auch diesbezüglich mochten vielleicht die genremässigen Scenen in den egyptischen Gräbern vorbildlich gewesen sein; wenn aber diese Scenen in der egyptischen Kunst bekanntlich einen streng gegenständlichen, mit dem Leben nach dem Tode zusammenhängenden Beweggrund und dementsprechende Bedeutung hatten, so wird man dem Stierfang auf dem Becher von Vaphio gewiss nur eine dekorative Bedeutung zuerkennen können: in 52) Dies ist auch Puchstein als nicht orientalisch aufgefallen, bei seiner
Besprechung des überaus interessanten Holzplättchens im Berliner Antiquarium (Arch. Anz. 1891, S. 4 f.). B. Das Pflanzenornament in der griechischen Kunst. Kriegervase z. B. steht in Bezug auf ihren Inhalt bereits vollständig aufdem Boden der späteren griechischen Vasenmalerei; Aehnliches gilt von dem tauschirten Becher mit menschlichen Köpfen, den Tsuntas gefunden hat. Inwiefern die Anfänge der Darstellung menschlicher Figuren bei den „Mykenäern“ auf egyptische Anregungen zurückgehen könnten, ist heute schwer zu entscheiden. An egyptischen Zügen fehlt es nämlich auch auf figuralem Gebiete nicht völlig: man beachte nur wie die Sti- lisirung der menschlichen Figuren auch bei den „Mykenäern“ in der von den egyptischen Reliefs sattsam bekannten Weise erfolgt ist, indem der Oberkörper in Vorderansicht, der Kopf und die Füsse dagegen in Seitenansicht gebildet erscheinen. Diese Art der Stilisirung hat auch die charakteristischen „Wespentaillen“ der mykenischen Figuren zur Folge gehabt, die noch im Dipylon typisch geblieben sind. Die An- lehnung an egyptische Vorbilder mag sich selbst auf bestimmte Scenen erstrecken. Für den „Gaukler“ aus Tiryns bringt Goodyear eine bei Lepsius publicirte Parallele aus einem Mastaba-Grabe. Eine Stier- fangscene könnte auch die bei Prisse a. a. O., Amphores jarres et autres vases No. 1 publicirte egyptische Vase enthalten; ein darauf dargestellter mit den Hinterbeinen nach rückwärts ausschlagender Stier zeigt in seiner Haltung die nächste Verwandtschaft mit einem der Stiere auf dem Becher von Vaphio. Und doch wird Niemand den Becher von Vaphio für egyptische Arbeit erklären wollen. Wie individuell sind doch da die Menschen charakterisirt, trotz der egyptisirenden Stilisirung ihrer Oberleiber. Ja das Genreartige in Inhalt und Darstellung, sowie die eingehende Berücksichtigung des Landschaftlichen52), wie sie uns auf dem Becher von Vaphio entgegentritt, zeigt uns die mykenische Kunst in einem so freien Verhältnisse zu dem Stoffe, den Natur und mensch- liches Privatleben darbieten, wie es die spätere griechische Kunst kaum vor der Diadochenzeit wieder erreicht hat. Auch diesbezüglich mochten vielleicht die genremässigen Scenen in den egyptischen Gräbern vorbildlich gewesen sein; wenn aber diese Scenen in der egyptischen Kunst bekanntlich einen streng gegenständlichen, mit dem Leben nach dem Tode zusammenhängenden Beweggrund und dementsprechende Bedeutung hatten, so wird man dem Stierfang auf dem Becher von Vaphio gewiss nur eine dekorative Bedeutung zuerkennen können: in 52) Dies ist auch Puchstein als nicht orientalisch aufgefallen, bei seiner
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B. Das Pflanzenornament in der griechischen Kunst.
Kriegervase z. B. steht in Bezug auf ihren Inhalt bereits vollständig auf
dem Boden der späteren griechischen Vasenmalerei; Aehnliches gilt von
dem tauschirten Becher mit menschlichen Köpfen, den Tsuntas gefunden
hat. Inwiefern die Anfänge der Darstellung menschlicher Figuren bei
den „Mykenäern“ auf egyptische Anregungen zurückgehen könnten,
ist heute schwer zu entscheiden. An egyptischen Zügen fehlt es nämlich
auch auf figuralem Gebiete nicht völlig: man beachte nur wie die Sti-
lisirung der menschlichen Figuren auch bei den „Mykenäern“ in der
von den egyptischen Reliefs sattsam bekannten Weise erfolgt ist, indem
der Oberkörper in Vorderansicht, der Kopf und die Füsse dagegen in
Seitenansicht gebildet erscheinen. Diese Art der Stilisirung hat auch
die charakteristischen „Wespentaillen“ der mykenischen Figuren zur
Folge gehabt, die noch im Dipylon typisch geblieben sind. Die An-
lehnung an egyptische Vorbilder mag sich selbst auf bestimmte Scenen
erstrecken. Für den „Gaukler“ aus Tiryns bringt Goodyear eine bei
Lepsius publicirte Parallele aus einem Mastaba-Grabe. Eine Stier-
fangscene könnte auch die bei Prisse a. a. O., Amphores jarres et autres
vases No. 1 publicirte egyptische Vase enthalten; ein darauf dargestellter
mit den Hinterbeinen nach rückwärts ausschlagender Stier zeigt in
seiner Haltung die nächste Verwandtschaft mit einem der Stiere auf
dem Becher von Vaphio. Und doch wird Niemand den Becher von
Vaphio für egyptische Arbeit erklären wollen. Wie individuell sind
doch da die Menschen charakterisirt, trotz der egyptisirenden Stilisirung
ihrer Oberleiber. Ja das Genreartige in Inhalt und Darstellung, sowie
die eingehende Berücksichtigung des Landschaftlichen 52), wie sie uns auf
dem Becher von Vaphio entgegentritt, zeigt uns die mykenische Kunst
in einem so freien Verhältnisse zu dem Stoffe, den Natur und mensch-
liches Privatleben darbieten, wie es die spätere griechische Kunst kaum
vor der Diadochenzeit wieder erreicht hat. Auch diesbezüglich
mochten vielleicht die genremässigen Scenen in den egyptischen Gräbern
vorbildlich gewesen sein; wenn aber diese Scenen in der egyptischen
Kunst bekanntlich einen streng gegenständlichen, mit dem Leben nach
dem Tode zusammenhängenden Beweggrund und dementsprechende
Bedeutung hatten, so wird man dem Stierfang auf dem Becher von
Vaphio gewiss nur eine dekorative Bedeutung zuerkennen können: in
52) Dies ist auch Puchstein als nicht orientalisch aufgefallen, bei seiner
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