Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

Bild:
<< vorherige Seite
8. Die Ausbildung der Ranken-Füllung.

Daneben kommen komplicirtere Formen vor, die aber sämmtlich
aus spielenden Kombinationen der überlieferten Formen erklärt werden
können10). So geht z. B. Fig. 98 auf das einseitige Lotus-Palmetten-
Band zurück, unter spielender Vereinigung des Bogenfrieses mit den
Schlingenkelchen und der Palmetten-Umschreibung.


[Abbildung] Fig. 98.

Gemaltes griechisches Vasenornament.

8. Die Ausbildung der Ranken-Füllung.

Solange die Pflanzenranke sich bloss in der Längenrichtung, in
Streifen- oder Friesform, entwickeln konnte, blieb ihr die volle Freiheit
der Bewegung versagt. Diese wurde ihr erst dort gegeben, wo sie
sich nicht bloss nach der Länge, sondern auch nach der Breite ent-
falten konnte. An den Thongefässen, die hiefür leider so ziemlich
unser einziges Untersuchungsmaterial bilden, ist dies -- wie schon
früher erwähnt wurde -- im Wesentlichen bloss an und unter den
Henkeln geschehen. Immerhin lässt sich daran mit genügender Deut-
lichkeit der Weg verfolgen, welchen die Pflanzenranke genommen hat,
um beliebig begrenzte Flächen mit vollkommener Freiheit und dennoch
unter Beobachtung der dekorativen Grundgesetze von Rhythmus und
Symmetrie zu überziehen. Damit ist zugleich gesagt, dass wir dem
End- und Zielpunkte der ganzen Entwicklung zueilen.

Bevor wir aber auf den Schlussprocess selbst eingehen, muss noch
einer eigenthümlichen Dekorationsweise gedacht werden, welche an-
scheinend mit dem vorgeschrittenen Stadium der Entwicklung, dem
wir uns nun nähern, wenig zu thun hat. Es ist dies die Art
der Grundmusterung auf den korinthischen Vasen. Diese Vasen sind
grösstentheils mit figürlichen Darstellungen verziert. Zwischen den
Figuren bleibt viel Grund frei und da diese Vasengattung der Zeit

10) Es ist dies weniger in der attischen Kunst als in der italischen ge-
schehen, vgl. z. B. die pränestinischen Cisten, Mon. ined. VIII. Taf. 7, 29, 30.
8. Die Ausbildung der Ranken-Füllung.

Daneben kommen komplicirtere Formen vor, die aber sämmtlich
aus spielenden Kombinationen der überlieferten Formen erklärt werden
können10). So geht z. B. Fig. 98 auf das einseitige Lotus-Palmetten-
Band zurück, unter spielender Vereinigung des Bogenfrieses mit den
Schlingenkelchen und der Palmetten-Umschreibung.


[Abbildung] Fig. 98.

Gemaltes griechisches Vasenornament.

8. Die Ausbildung der Ranken-Füllung.

Solange die Pflanzenranke sich bloss in der Längenrichtung, in
Streifen- oder Friesform, entwickeln konnte, blieb ihr die volle Freiheit
der Bewegung versagt. Diese wurde ihr erst dort gegeben, wo sie
sich nicht bloss nach der Länge, sondern auch nach der Breite ent-
falten konnte. An den Thongefässen, die hiefür leider so ziemlich
unser einziges Untersuchungsmaterial bilden, ist dies — wie schon
früher erwähnt wurde — im Wesentlichen bloss an und unter den
Henkeln geschehen. Immerhin lässt sich daran mit genügender Deut-
lichkeit der Weg verfolgen, welchen die Pflanzenranke genommen hat,
um beliebig begrenzte Flächen mit vollkommener Freiheit und dennoch
unter Beobachtung der dekorativen Grundgesetze von Rhythmus und
Symmetrie zu überziehen. Damit ist zugleich gesagt, dass wir dem
End- und Zielpunkte der ganzen Entwicklung zueilen.

Bevor wir aber auf den Schlussprocess selbst eingehen, muss noch
einer eigenthümlichen Dekorationsweise gedacht werden, welche an-
scheinend mit dem vorgeschrittenen Stadium der Entwicklung, dem
wir uns nun nähern, wenig zu thun hat. Es ist dies die Art
der Grundmusterung auf den korinthischen Vasen. Diese Vasen sind
grösstentheils mit figürlichen Darstellungen verziert. Zwischen den
Figuren bleibt viel Grund frei und da diese Vasengattung der Zeit

10) Es ist dies weniger in der attischen Kunst als in der italischen ge-
schehen, vgl. z. B. die pränestinischen Cisten, Mon. ined. VIII. Taf. 7, 29, 30.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0223" n="197"/>
            <fw place="top" type="header">8. Die Ausbildung der Ranken-Füllung.</fw><lb/>
            <p>Daneben kommen komplicirtere Formen vor, die aber sämmtlich<lb/>
aus spielenden Kombinationen der überlieferten Formen erklärt werden<lb/>
können<note place="foot" n="10)">Es ist dies weniger in der attischen Kunst als in der italischen ge-<lb/>
schehen, vgl. z. B. die pränestinischen Cisten, Mon. ined. VIII. Taf. 7, 29, 30.</note>. So geht z. B. Fig. 98 auf das einseitige Lotus-Palmetten-<lb/>
Band zurück, unter spielender Vereinigung des Bogenfrieses mit den<lb/>
Schlingenkelchen und der Palmetten-Umschreibung.</p><lb/>
            <figure>
              <head>Fig. 98.</head><lb/>
              <p>Gemaltes griechisches Vasenornament.</p>
            </figure>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">8. Die Ausbildung der Ranken-Füllung.</hi> </head><lb/>
            <p>Solange die Pflanzenranke sich bloss in der Längenrichtung, in<lb/>
Streifen- oder Friesform, entwickeln konnte, blieb ihr die volle Freiheit<lb/>
der Bewegung versagt. Diese wurde ihr erst dort gegeben, wo sie<lb/>
sich nicht bloss nach der Länge, sondern auch nach der Breite ent-<lb/>
falten konnte. An den Thongefässen, die hiefür leider so ziemlich<lb/>
unser einziges Untersuchungsmaterial bilden, ist dies &#x2014; wie schon<lb/>
früher erwähnt wurde &#x2014; im Wesentlichen bloss an und unter den<lb/>
Henkeln geschehen. Immerhin lässt sich daran mit genügender Deut-<lb/>
lichkeit der Weg verfolgen, welchen die Pflanzenranke genommen hat,<lb/>
um beliebig begrenzte Flächen mit vollkommener Freiheit und dennoch<lb/>
unter Beobachtung der dekorativen Grundgesetze von Rhythmus und<lb/>
Symmetrie zu überziehen. Damit ist zugleich gesagt, dass wir dem<lb/>
End- und Zielpunkte der ganzen Entwicklung zueilen.</p><lb/>
            <p>Bevor wir aber auf den Schlussprocess selbst eingehen, muss noch<lb/>
einer eigenthümlichen Dekorationsweise gedacht werden, welche an-<lb/>
scheinend mit dem vorgeschrittenen Stadium der Entwicklung, dem<lb/>
wir uns nun nähern, wenig zu thun hat. Es ist dies die Art<lb/>
der Grundmusterung auf den <hi rendition="#i">korinthischen</hi> Vasen. Diese Vasen sind<lb/>
grösstentheils mit figürlichen Darstellungen verziert. Zwischen den<lb/>
Figuren bleibt viel Grund frei und da diese Vasengattung der Zeit<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[197/0223] 8. Die Ausbildung der Ranken-Füllung. Daneben kommen komplicirtere Formen vor, die aber sämmtlich aus spielenden Kombinationen der überlieferten Formen erklärt werden können 10). So geht z. B. Fig. 98 auf das einseitige Lotus-Palmetten- Band zurück, unter spielender Vereinigung des Bogenfrieses mit den Schlingenkelchen und der Palmetten-Umschreibung. [Abbildung Fig. 98. Gemaltes griechisches Vasenornament. ] 8. Die Ausbildung der Ranken-Füllung. Solange die Pflanzenranke sich bloss in der Längenrichtung, in Streifen- oder Friesform, entwickeln konnte, blieb ihr die volle Freiheit der Bewegung versagt. Diese wurde ihr erst dort gegeben, wo sie sich nicht bloss nach der Länge, sondern auch nach der Breite ent- falten konnte. An den Thongefässen, die hiefür leider so ziemlich unser einziges Untersuchungsmaterial bilden, ist dies — wie schon früher erwähnt wurde — im Wesentlichen bloss an und unter den Henkeln geschehen. Immerhin lässt sich daran mit genügender Deut- lichkeit der Weg verfolgen, welchen die Pflanzenranke genommen hat, um beliebig begrenzte Flächen mit vollkommener Freiheit und dennoch unter Beobachtung der dekorativen Grundgesetze von Rhythmus und Symmetrie zu überziehen. Damit ist zugleich gesagt, dass wir dem End- und Zielpunkte der ganzen Entwicklung zueilen. Bevor wir aber auf den Schlussprocess selbst eingehen, muss noch einer eigenthümlichen Dekorationsweise gedacht werden, welche an- scheinend mit dem vorgeschrittenen Stadium der Entwicklung, dem wir uns nun nähern, wenig zu thun hat. Es ist dies die Art der Grundmusterung auf den korinthischen Vasen. Diese Vasen sind grösstentheils mit figürlichen Darstellungen verziert. Zwischen den Figuren bleibt viel Grund frei und da diese Vasengattung der Zeit 10) Es ist dies weniger in der attischen Kunst als in der italischen ge- schehen, vgl. z. B. die pränestinischen Cisten, Mon. ined. VIII. Taf. 7, 29, 30.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/223
Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/223>, abgerufen am 04.12.2024.