Hervorhebung desjenigen beschränken dürfen, was für unsere Darlegung des Entwicklungsganges der Pflanzenrankenornamentik von Bedeutung ist, sondern auch die kunsthistorische Stellung dieser ganzen Denkmäler- gruppe zu präcisiren trachten.
Das Material, das uns hiefür vorliegt, besteht erstlich aus dem Bogen des vorletzten Sassanidenkönigs Chosroes Parwiz zu Tak-i-Bostan; die Entstehungszeit desselben werden wir rund um 600 n. Ch. annehmen dürfen. Ferner aus einer Anzahl von Architekturfragmenten, die Flandin und Coste zu Ispahan gefunden haben und die im allge- meinen Charakter wie in den Details eine so weitgehende Ueberein- stimmung mit der Dekoration auf dem Chosroes-Bogen zur Schau tragen, dass wir sie unbedenklich ungefähr der gleichen Entstehungszeit zuweisen können. Wir bewegen uns somit in einer Zeit, da in Byzanz jene Neuerungen, die wir hauptsächlich an den Bauten Justinians wahr- nehmen konnten, bereits zu fertiger Ausgestaltung gelangt waren, aber seit dem Zerfalle des römischen Weltreichs doch noch nicht so viel Zeit verflossen war, dass die Differenzirung der Kunst in den Provinzen bereits entscheidende Fortschritte gemacht haben konnte. Mit anderen Worten: die uns erhaltenen sassanidischen Baudekorationen stammen genau aus jener Zeit, in der sich die für unsere Sonderaufgabe grund- wichtigen Uebergangserscheinungen vollzogen haben müssen.
Betrachten wir zuerst das Kapitäl Fig. 161. Die Verzierung ist bestritten durch ein einziges, vielfach gegliedertes Pflanzenmotiv. Charakterisirt erscheint dasselbe durch den fleischigen, von Ringen und Hülsen unterbrochenen Stengel -- durch die Blattranken, die in kreis- förmigem Schwunge nach abwärts sich einrollen und in eine Blume endigen -- durch die grossen üppigen Blätter, die aufwärtsstrebend davon abzweigen und das erste Blatt nächst dem Stielansatz voluten- artig einwärts, das äusserste dagegen auswärts gekrümmt und geschweift zeigen, und unter deren Spitzen wieder ein Rankenstengel mit Halbblatt und krönender Blume hervorbricht, -- endlich durch die Blume, die den Hauptstamm selbst krönt, mit Voluten am Stielansatz, und mehr- fachen Blattkelchen, die den ovalen Kern einschliessen.
Enthält schon der Aufbau Nichts, was uns nicht von so und so vielen römischen Denkmälern bekannt wäre, so gilt das Gleiche von den Blättern. Dieselben sind durchwegs und ausschliesslich vom Akanthus bestritten. Und zwar ist es nicht der geometrisirende Akan- thus, den wir an den Bauten der frühbyzantinischen Zeit so über- wiegend angetroffen haben, sondern ein buschiger, üppiger, plastischer
Die Arabeske.
Hervorhebung desjenigen beschränken dürfen, was für unsere Darlegung des Entwicklungsganges der Pflanzenrankenornamentik von Bedeutung ist, sondern auch die kunsthistorische Stellung dieser ganzen Denkmäler- gruppe zu präcisiren trachten.
Das Material, das uns hiefür vorliegt, besteht erstlich aus dem Bogen des vorletzten Sassanidenkönigs Chosroes Parwiz zu Tak-i-Bostan; die Entstehungszeit desselben werden wir rund um 600 n. Ch. annehmen dürfen. Ferner aus einer Anzahl von Architekturfragmenten, die Flandin und Coste zu Ispahan gefunden haben und die im allge- meinen Charakter wie in den Details eine so weitgehende Ueberein- stimmung mit der Dekoration auf dem Chosroes-Bogen zur Schau tragen, dass wir sie unbedenklich ungefähr der gleichen Entstehungszeit zuweisen können. Wir bewegen uns somit in einer Zeit, da in Byzanz jene Neuerungen, die wir hauptsächlich an den Bauten Justinians wahr- nehmen konnten, bereits zu fertiger Ausgestaltung gelangt waren, aber seit dem Zerfalle des römischen Weltreichs doch noch nicht so viel Zeit verflossen war, dass die Differenzirung der Kunst in den Provinzen bereits entscheidende Fortschritte gemacht haben konnte. Mit anderen Worten: die uns erhaltenen sassanidischen Baudekorationen stammen genau aus jener Zeit, in der sich die für unsere Sonderaufgabe grund- wichtigen Uebergangserscheinungen vollzogen haben müssen.
Betrachten wir zuerst das Kapitäl Fig. 161. Die Verzierung ist bestritten durch ein einziges, vielfach gegliedertes Pflanzenmotiv. Charakterisirt erscheint dasselbe durch den fleischigen, von Ringen und Hülsen unterbrochenen Stengel — durch die Blattranken, die in kreis- förmigem Schwunge nach abwärts sich einrollen und in eine Blume endigen — durch die grossen üppigen Blätter, die aufwärtsstrebend davon abzweigen und das erste Blatt nächst dem Stielansatz voluten- artig einwärts, das äusserste dagegen auswärts gekrümmt und geschweift zeigen, und unter deren Spitzen wieder ein Rankenstengel mit Halbblatt und krönender Blume hervorbricht, — endlich durch die Blume, die den Hauptstamm selbst krönt, mit Voluten am Stielansatz, und mehr- fachen Blattkelchen, die den ovalen Kern einschliessen.
Enthält schon der Aufbau Nichts, was uns nicht von so und so vielen römischen Denkmälern bekannt wäre, so gilt das Gleiche von den Blättern. Dieselben sind durchwegs und ausschliesslich vom Akanthus bestritten. Und zwar ist es nicht der geometrisirende Akan- thus, den wir an den Bauten der frühbyzantinischen Zeit so über- wiegend angetroffen haben, sondern ein buschiger, üppiger, plastischer
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Die Arabeske.
Hervorhebung desjenigen beschränken dürfen, was für unsere Darlegung
des Entwicklungsganges der Pflanzenrankenornamentik von Bedeutung
ist, sondern auch die kunsthistorische Stellung dieser ganzen Denkmäler-
gruppe zu präcisiren trachten.
Das Material, das uns hiefür vorliegt, besteht erstlich aus dem
Bogen des vorletzten Sassanidenkönigs Chosroes Parwiz zu Tak-i-Bostan;
die Entstehungszeit desselben werden wir rund um 600 n. Ch. annehmen
dürfen. Ferner aus einer Anzahl von Architekturfragmenten, die
Flandin und Coste zu Ispahan gefunden haben und die im allge-
meinen Charakter wie in den Details eine so weitgehende Ueberein-
stimmung mit der Dekoration auf dem Chosroes-Bogen zur Schau
tragen, dass wir sie unbedenklich ungefähr der gleichen Entstehungszeit
zuweisen können. Wir bewegen uns somit in einer Zeit, da in Byzanz
jene Neuerungen, die wir hauptsächlich an den Bauten Justinians wahr-
nehmen konnten, bereits zu fertiger Ausgestaltung gelangt waren, aber
seit dem Zerfalle des römischen Weltreichs doch noch nicht so viel
Zeit verflossen war, dass die Differenzirung der Kunst in den Provinzen
bereits entscheidende Fortschritte gemacht haben konnte. Mit anderen
Worten: die uns erhaltenen sassanidischen Baudekorationen stammen
genau aus jener Zeit, in der sich die für unsere Sonderaufgabe grund-
wichtigen Uebergangserscheinungen vollzogen haben müssen.
Betrachten wir zuerst das Kapitäl Fig. 161. Die Verzierung ist
bestritten durch ein einziges, vielfach gegliedertes Pflanzenmotiv.
Charakterisirt erscheint dasselbe durch den fleischigen, von Ringen und
Hülsen unterbrochenen Stengel — durch die Blattranken, die in kreis-
förmigem Schwunge nach abwärts sich einrollen und in eine Blume
endigen — durch die grossen üppigen Blätter, die aufwärtsstrebend
davon abzweigen und das erste Blatt nächst dem Stielansatz voluten-
artig einwärts, das äusserste dagegen auswärts gekrümmt und geschweift
zeigen, und unter deren Spitzen wieder ein Rankenstengel mit Halbblatt
und krönender Blume hervorbricht, — endlich durch die Blume, die
den Hauptstamm selbst krönt, mit Voluten am Stielansatz, und mehr-
fachen Blattkelchen, die den ovalen Kern einschliessen.
Enthält schon der Aufbau Nichts, was uns nicht von so und so
vielen römischen Denkmälern bekannt wäre, so gilt das Gleiche von
den Blättern. Dieselben sind durchwegs und ausschliesslich vom
Akanthus bestritten. Und zwar ist es nicht der geometrisirende Akan-
thus, den wir an den Bauten der frühbyzantinischen Zeit so über-
wiegend angetroffen haben, sondern ein buschiger, üppiger, plastischer
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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/324>, abgerufen am 26.06.2024.
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