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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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Die Anfänge des Pflanzenornaments etc.
stereotyp gewordene äussere Form, die Ausführung in verschiedenen
Materialien, alles dies trägt dazu bei, das betreffende Symbol dem
Menschen vertraut und dessen Anblick bis zu einem gewissen Grade
unentbehrlich zu machen. Der naive Glaube der Alten kam diesem
Process ganz besonders zu Hilfe. Man trug das Symbol auf den
Kleidern, den Geräthen, überhaupt auf Dingen, die Einem möglichst
oft zu Gesichte kamen. Es gab fast keinen Gegenstand im Haushalte
der alten Egypter, an dem sie nicht den Lotus angebracht hätten. Die-
jenigen Völker, die die Symbole von den Egyptern übernahmen, waren
in ihrer Anschauung von denselben -- nach dem freien Gebrauche, den
sie in der Regel davon gemacht haben, zu schliessen -- nicht mehr
von den gleichen hieratischen Vorstellungen befangen. Die symbolische
Bedeutung des Lotus lockert sich zusehends bei Assyrern, Phönikern,
Griechen; die Summe der ganzen Entwicklung erscheint gezogen in der
hellenistisch-römischen Kunst, deren dekorativer Apparat zum aller-
grössten Theile im letzten Grunde von dem altorientalischen Symbo-
lismus bestritten ist. Nur haben die Griechen aus diesem letzteren mit
ihrem vollendeten Sinn für das Kunstschöne bloss jene Motive ausge-
wählt, die in der That einer künstlerischen Fortbildung und Ausge-
staltung fähig waren2).

Dafür, dass die bezüglichen Pflanzenmotive wenigstens zum über-
wiegenden Theile schon von Haus aus die Befähigung zu einer künst-
lerischen Ausgestaltung an sich trugen, war von der altegyptischen
Kunst selbst genügend vorgesorgt. Schon von Seiten dieser ersten
pflanzenbildenden Kunst erhielten die pflanzlichen Vorbilder bei der
Übertragung auf die Fläche (mittels des Relief en creux wie mittels
der Malerei) die nothwendige Stilisirung. Das maassgebende Postulat
bei dieser letzteren war wiederum die Symmetrie. Das Motiv hatte zwar
um seiner gegenständlichen Bedeutung willen Darstellung gefunden,
aber diese Darstellung selbst erfolgte unter strenger Berücksichtigung
derjenigen primitiven künstlerischen Postulate, die schon dem rein deko-
rativen, dem blossen Bedürfniss des Schmückens dienenden Kunstschaffen
zu Grunde gelegen waren. Die Altegypter selbst mussten das künst-
lerisch durchgebildete Symbol zugleich als Schmuck empfunden haben.
Umsomehr die auf niedrigerer Kulturstufe verharrenden Völker, die im
Laufe der Zeit mit diesen Symbolen bekannt wurden. Besassen die-

2) So die Palmetten, Sphingen, Kentauren, nicht aber die thierhäuptigen
Götter, die Skarabäen u. dgl.

Die Anfänge des Pflanzenornaments etc.
stereotyp gewordene äussere Form, die Ausführung in verschiedenen
Materialien, alles dies trägt dazu bei, das betreffende Symbol dem
Menschen vertraut und dessen Anblick bis zu einem gewissen Grade
unentbehrlich zu machen. Der naive Glaube der Alten kam diesem
Process ganz besonders zu Hilfe. Man trug das Symbol auf den
Kleidern, den Geräthen, überhaupt auf Dingen, die Einem möglichst
oft zu Gesichte kamen. Es gab fast keinen Gegenstand im Haushalte
der alten Egypter, an dem sie nicht den Lotus angebracht hätten. Die-
jenigen Völker, die die Symbole von den Egyptern übernahmen, waren
in ihrer Anschauung von denselben — nach dem freien Gebrauche, den
sie in der Regel davon gemacht haben, zu schliessen — nicht mehr
von den gleichen hieratischen Vorstellungen befangen. Die symbolische
Bedeutung des Lotus lockert sich zusehends bei Assyrern, Phönikern,
Griechen; die Summe der ganzen Entwicklung erscheint gezogen in der
hellenistisch-römischen Kunst, deren dekorativer Apparat zum aller-
grössten Theile im letzten Grunde von dem altorientalischen Symbo-
lismus bestritten ist. Nur haben die Griechen aus diesem letzteren mit
ihrem vollendeten Sinn für das Kunstschöne bloss jene Motive ausge-
wählt, die in der That einer künstlerischen Fortbildung und Ausge-
staltung fähig waren2).

Dafür, dass die bezüglichen Pflanzenmotive wenigstens zum über-
wiegenden Theile schon von Haus aus die Befähigung zu einer künst-
lerischen Ausgestaltung an sich trugen, war von der altegyptischen
Kunst selbst genügend vorgesorgt. Schon von Seiten dieser ersten
pflanzenbildenden Kunst erhielten die pflanzlichen Vorbilder bei der
Übertragung auf die Fläche (mittels des Relief en creux wie mittels
der Malerei) die nothwendige Stilisirung. Das maassgebende Postulat
bei dieser letzteren war wiederum die Symmetrie. Das Motiv hatte zwar
um seiner gegenständlichen Bedeutung willen Darstellung gefunden,
aber diese Darstellung selbst erfolgte unter strenger Berücksichtigung
derjenigen primitiven künstlerischen Postulate, die schon dem rein deko-
rativen, dem blossen Bedürfniss des Schmückens dienenden Kunstschaffen
zu Grunde gelegen waren. Die Altegypter selbst mussten das künst-
lerisch durchgebildete Symbol zugleich als Schmuck empfunden haben.
Umsomehr die auf niedrigerer Kulturstufe verharrenden Völker, die im
Laufe der Zeit mit diesen Symbolen bekannt wurden. Besassen die-

2) So die Palmetten, Sphingen, Kentauren, nicht aber die thierhäuptigen
Götter, die Skarabäen u. dgl.
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[44/0070] Die Anfänge des Pflanzenornaments etc. stereotyp gewordene äussere Form, die Ausführung in verschiedenen Materialien, alles dies trägt dazu bei, das betreffende Symbol dem Menschen vertraut und dessen Anblick bis zu einem gewissen Grade unentbehrlich zu machen. Der naive Glaube der Alten kam diesem Process ganz besonders zu Hilfe. Man trug das Symbol auf den Kleidern, den Geräthen, überhaupt auf Dingen, die Einem möglichst oft zu Gesichte kamen. Es gab fast keinen Gegenstand im Haushalte der alten Egypter, an dem sie nicht den Lotus angebracht hätten. Die- jenigen Völker, die die Symbole von den Egyptern übernahmen, waren in ihrer Anschauung von denselben — nach dem freien Gebrauche, den sie in der Regel davon gemacht haben, zu schliessen — nicht mehr von den gleichen hieratischen Vorstellungen befangen. Die symbolische Bedeutung des Lotus lockert sich zusehends bei Assyrern, Phönikern, Griechen; die Summe der ganzen Entwicklung erscheint gezogen in der hellenistisch-römischen Kunst, deren dekorativer Apparat zum aller- grössten Theile im letzten Grunde von dem altorientalischen Symbo- lismus bestritten ist. Nur haben die Griechen aus diesem letzteren mit ihrem vollendeten Sinn für das Kunstschöne bloss jene Motive ausge- wählt, die in der That einer künstlerischen Fortbildung und Ausge- staltung fähig waren 2). Dafür, dass die bezüglichen Pflanzenmotive wenigstens zum über- wiegenden Theile schon von Haus aus die Befähigung zu einer künst- lerischen Ausgestaltung an sich trugen, war von der altegyptischen Kunst selbst genügend vorgesorgt. Schon von Seiten dieser ersten pflanzenbildenden Kunst erhielten die pflanzlichen Vorbilder bei der Übertragung auf die Fläche (mittels des Relief en creux wie mittels der Malerei) die nothwendige Stilisirung. Das maassgebende Postulat bei dieser letzteren war wiederum die Symmetrie. Das Motiv hatte zwar um seiner gegenständlichen Bedeutung willen Darstellung gefunden, aber diese Darstellung selbst erfolgte unter strenger Berücksichtigung derjenigen primitiven künstlerischen Postulate, die schon dem rein deko- rativen, dem blossen Bedürfniss des Schmückens dienenden Kunstschaffen zu Grunde gelegen waren. Die Altegypter selbst mussten das künst- lerisch durchgebildete Symbol zugleich als Schmuck empfunden haben. Umsomehr die auf niedrigerer Kulturstufe verharrenden Völker, die im Laufe der Zeit mit diesen Symbolen bekannt wurden. Besassen die- 2) So die Palmetten, Sphingen, Kentauren, nicht aber die thierhäuptigen Götter, die Skarabäen u. dgl.

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/70>, abgerufen am 23.11.2024.