Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Riehl, Wilhelm Heinrich: Jörg Muckenbuber. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 67–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

sahen nur zu klar, daß ihr Regiment zu Ende gehe, und daß sie an ihre eigene Sicherheit denken müßten. Sie wollten daher die Hollin freigeben unter der Bedingung, daß selbige eine Urkunde unterschreibe und beschwöre folgenden Inhalts: Sie nehme ihre Freiheit als Gnade für Recht, wolle niemals anderweit Klage erheben gegen ihre Richter, noch sich persönlich an ihnen rächen, die Stadt binnen vierundzwanzig Stunden verlassen, dazu gelobe sie über den ganzen Verlauf des Processes ewiges Stillschweigen. Von einem geängsteten alten Weib, welches hinter sich die Folter hatte und vor sich den Scheiterhaufen sah, glaubte man leicht Schwur und Unterschrift zu so billigen Bedingungen erhalten zu können. Groß war daher der Schreck, als man hörte, die Hollin sei entflohen; denn nun konnte sie von außen her Beschwerde führen und das Volk aufhetzen, so viel sie wollte.

Der Stadtschreiber stand wie ein begossener Pudel vor seinen Amtsbrüdern, als er ihnen statt der Alten den Jörg Muckenhuber auf die Gerichtsstube brachte. Die Rathsherren machten sich gegenseitig die bittersten Vorwürfe, erst leise, dann lauter, zuletzt wuchs der Sturm, und Alle schrieen durch einander, wie in der Judenschule. Da schaffte der Stadtschreiber, mit seinem tiefen Baß das ganze Stimmengewirr übertönend, plötzlich Ruhe und einigte die Zänker durch ein Wort wie mit Einem Schlag. Er rief: An alle diesem Unheil ist nur der Muckenhuber Schuld. Hängt ihn auf, wenn

sahen nur zu klar, daß ihr Regiment zu Ende gehe, und daß sie an ihre eigene Sicherheit denken müßten. Sie wollten daher die Hollin freigeben unter der Bedingung, daß selbige eine Urkunde unterschreibe und beschwöre folgenden Inhalts: Sie nehme ihre Freiheit als Gnade für Recht, wolle niemals anderweit Klage erheben gegen ihre Richter, noch sich persönlich an ihnen rächen, die Stadt binnen vierundzwanzig Stunden verlassen, dazu gelobe sie über den ganzen Verlauf des Processes ewiges Stillschweigen. Von einem geängsteten alten Weib, welches hinter sich die Folter hatte und vor sich den Scheiterhaufen sah, glaubte man leicht Schwur und Unterschrift zu so billigen Bedingungen erhalten zu können. Groß war daher der Schreck, als man hörte, die Hollin sei entflohen; denn nun konnte sie von außen her Beschwerde führen und das Volk aufhetzen, so viel sie wollte.

Der Stadtschreiber stand wie ein begossener Pudel vor seinen Amtsbrüdern, als er ihnen statt der Alten den Jörg Muckenhuber auf die Gerichtsstube brachte. Die Rathsherren machten sich gegenseitig die bittersten Vorwürfe, erst leise, dann lauter, zuletzt wuchs der Sturm, und Alle schrieen durch einander, wie in der Judenschule. Da schaffte der Stadtschreiber, mit seinem tiefen Baß das ganze Stimmengewirr übertönend, plötzlich Ruhe und einigte die Zänker durch ein Wort wie mit Einem Schlag. Er rief: An alle diesem Unheil ist nur der Muckenhuber Schuld. Hängt ihn auf, wenn

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="3">
        <p><pb facs="#f0026"/>
sahen nur zu klar, daß ihr Regiment                zu Ende gehe, und daß sie an ihre eigene Sicherheit denken müßten. Sie wollten daher                die Hollin freigeben unter der Bedingung, daß selbige eine Urkunde unterschreibe und                beschwöre folgenden Inhalts: Sie nehme ihre Freiheit als Gnade für Recht, wolle                niemals anderweit Klage erheben gegen ihre Richter, noch sich persönlich an ihnen                rächen, die Stadt binnen vierundzwanzig Stunden verlassen, dazu gelobe sie über den                ganzen Verlauf des Processes ewiges Stillschweigen. Von einem geängsteten alten Weib,                welches hinter sich die Folter hatte und vor sich den Scheiterhaufen sah, glaubte man                leicht Schwur und Unterschrift zu so billigen Bedingungen erhalten zu können. Groß                war daher der Schreck, als man hörte, die Hollin sei entflohen; denn nun konnte sie                von außen her Beschwerde führen und das Volk aufhetzen, so viel sie wollte.</p><lb/>
        <p>Der Stadtschreiber stand wie ein begossener Pudel vor seinen Amtsbrüdern, als er                ihnen statt der Alten den Jörg Muckenhuber auf die Gerichtsstube brachte. Die                Rathsherren machten sich gegenseitig die bittersten Vorwürfe, erst leise, dann                lauter, zuletzt wuchs der Sturm, und Alle schrieen durch einander, wie in der                Judenschule. Da schaffte der Stadtschreiber, mit seinem tiefen Baß das ganze                Stimmengewirr übertönend, plötzlich Ruhe und einigte die Zänker durch ein Wort wie                mit Einem Schlag. Er rief: An alle diesem Unheil ist nur der Muckenhuber Schuld.                Hängt ihn auf, wenn<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0026] sahen nur zu klar, daß ihr Regiment zu Ende gehe, und daß sie an ihre eigene Sicherheit denken müßten. Sie wollten daher die Hollin freigeben unter der Bedingung, daß selbige eine Urkunde unterschreibe und beschwöre folgenden Inhalts: Sie nehme ihre Freiheit als Gnade für Recht, wolle niemals anderweit Klage erheben gegen ihre Richter, noch sich persönlich an ihnen rächen, die Stadt binnen vierundzwanzig Stunden verlassen, dazu gelobe sie über den ganzen Verlauf des Processes ewiges Stillschweigen. Von einem geängsteten alten Weib, welches hinter sich die Folter hatte und vor sich den Scheiterhaufen sah, glaubte man leicht Schwur und Unterschrift zu so billigen Bedingungen erhalten zu können. Groß war daher der Schreck, als man hörte, die Hollin sei entflohen; denn nun konnte sie von außen her Beschwerde führen und das Volk aufhetzen, so viel sie wollte. Der Stadtschreiber stand wie ein begossener Pudel vor seinen Amtsbrüdern, als er ihnen statt der Alten den Jörg Muckenhuber auf die Gerichtsstube brachte. Die Rathsherren machten sich gegenseitig die bittersten Vorwürfe, erst leise, dann lauter, zuletzt wuchs der Sturm, und Alle schrieen durch einander, wie in der Judenschule. Da schaffte der Stadtschreiber, mit seinem tiefen Baß das ganze Stimmengewirr übertönend, plötzlich Ruhe und einigte die Zänker durch ein Wort wie mit Einem Schlag. Er rief: An alle diesem Unheil ist nur der Muckenhuber Schuld. Hängt ihn auf, wenn

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T10:09:41Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T10:09:41Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/riehl_muckenhuber_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/riehl_muckenhuber_1910/26
Zitationshilfe: Riehl, Wilhelm Heinrich: Jörg Muckenbuber. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 67–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riehl_muckenhuber_1910/26>, abgerufen am 21.11.2024.