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Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 2. Berlin, Wien, 1912.

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Anlage von Nebenbahnen, deren Zweckmäßigkeit erkannt ist, zu bewirken.

Die Kommission beendigte ihre Arbeiten am 6. April 1881, und etwa ein Jahr später (am 22. Mai 1882) legte der Finanzminister der Kammer einen Gesetzentwurf, betreffend die Errichtung einer nationalen Gesellschaft für Nebenbahnen, vor. Aus dieser Vorlage entstand das Gesetz vom 28. Mai 1884, an dessen Stelle bald das Gesetz vom 24. Juni 1885 getreten ist, das sich von dem ersteren nur in wenigen Punkten unterscheidet. Die Änderungen lassen die Grundzüge der neuen Organisation, wie sie in dem Gesetz von 1884 vorgesehen sind, unberührt.

Dieses Gesetz stellt folgende Grundsätze auf:

1. Die Anlage der Nebenbahnen wird einem einheitlichen Unternehmen anvertraut: der "Societe nationale des chemins de fer vicinaux". Diese wird von gewissen Steuern und Abgaben befreit und außerdem wird ihr ein Monopol gewährt. Die Regierung kann jedoch Konzessionen auch an Dritte vergeben, wenn die Societe nationale nicht innerhalb Jahresfrist darum eingekommen ist und ihren Entwurf nicht in der vorgeschriebenen Frist fertiggestellt hat. Die Satzungen der neuen Gesellschaft sind durch das Gesetz festgelegt; sie bilden einen wesentlichen Teil des Gesetzes und können nur im Wege der Gesetzgebung geändert werden.

2. Die der Societe nationale verliehenen Konzessionen sind von unbestimmter Dauer, wie die Gesellschaft selbst; die an andere verliehenen Konzessionen dürfen eine Dauer von 90 Jahren nicht überschreiten. Der Staat kann jederzeit die Konzessionen zu den in der Konzessionsurkunde festgesetzten Bedingungen zurückkaufen.

3. Die Societe nationale steht unter der Aufsicht der Regierung, die das Recht besitzt:

a) die Tarife zu genehmigen und jederzeit deren Erhöhung zu verlangen;

b) die Ausführung von Maßnahmen zu untersagen, die dem Gesetz, den Satzungen oder den Staatsinteressen zuwiderlaufen;

c) für die Nebenbahnen polizeiliche Vorschriften zu erlassen und im öffentlichen Interesse gewisse Beförderungen ohne Entgelt zu verlangen.

4. Das Kapital wird beschafft durch die Übernahme von Aktien durch den Staat, die Provinzen und die Gemeinden.

Dies ist einer der eigentümlichsten und beachtenswertesten Punkte der Organisation. Früher waren alle Eisenbahnen entweder unmittelbar vom Staate oder von Privatgesellschaften gebaut worden, aber ohne eine finanzielle Mitwirkung der Provinzen und der Gemeinden. Man beschritt demnach einen ganz neuen Weg und war gezwungen, die beschließenden Körperschaften der Gemeinden und der Provinzen mit diesem bis dahin unbekannten Gedanken einer Beteiligung an einem Unternehmen von ganz besonderem Charakter vertraut zu machen, das zwar von öffentlichem Interesse ist, aber auch etwas von dem Charakter eines industriellen Unternehmens mit Risiko und Ungewißheiten aufweist. Es wurde hierbei eine Art der Finanzierung gewählt, die es dem Staate, den Provinzen und Gemeinden ermöglicht, eine finanzielle Beteiligung zu übernehmen, ohne daß sie bares Geld auszulegen brauchen. Sie verpflichten sich nur, auf die Dauer von 90 Jahren für die Verzinsung und Tilgung der erforderlichen Beträge aufzukommen, sofern das Erträgnis der Bahn hierfür nicht ausreicht. Im anderen Falle erhält sie den Mehrbetrag. Nach Prüfung des Geldmarktes wurde der Zinsfuß für die Jahresrenten auf 31/2% festgesetzt. Dieser Zinssatz ändert sich nur, wenn sich der Geldmarkt für die Unterbringung der Obligationen der Societe nationale schwieriger oder weniger günstig gestaltet. (Die Societe nationale ist im Jahre 1908 gezwungen worden, infolge des Sinkens der Staatsrente den Zinsfuß für die Jahresrente auf 3·65% zu erhöhen.)

Der Staat begann damit, sich mit einem Viertel zu beteiligen. Mit Rücksicht auf die geringe Belastung, die hieraus dem Staate erwuchs, entschied der damalige Finanzminister im Jahre 1896, daß in Zukunft die Beteiligung des Staates für alle Nebenbahnlinien die Hälfte des erforderlichen Kapitals betragen solle. Das Gesetz verbietet der Regierung, über die Hälfte hinauszugehen. Man wollte, daß bei jedem Unternehmen dieser Art das Interesse der Gemeinden und Provinzen mindestens 50% betrage.

Von den neun belgischen Provinzen haben fünf ihre Beteiligung auf ein Drittel festgesetzt, nämlich Antwerpen, Lüttich, Luxemburg, Limburg und Namur. Die vier anderen Provinzen, Brabant, der Hennegau und die beiden Flandern haben ihre Beteiligung auf ein Viertel beschränkt. Unter diesen Umständen bleibt für die Gemeinden nur ein Sechstel oder ein Viertel, je nachdem sie zu den ersteren oder den letzteren Provinzen gehören. Die Gesamtheit oder die Gruppe der Gemeinden, die an der betreffenden Linie ein Interesse haben, hat dieses Viertel oder Sechstel zu übernehmen. Über die Verteilung der so bestimmten Summe unter den Gemeinden enthält das Gesetz keine Bestimmung.

Bei den ersten Fällen der Gesetzanwendung wählte man als Grundlage für die Beteiligung der Gemeinden einen doppelten Maßstab, nämlich die Bevölkerungsziffer einer Gemeinde und die Länge der Strecke auf ihrem Gebiet. Jeder dieser Faktoren ergibt eine Zahl, und die Durchschnittssumme ist für die Beteiligung der Gemeinde maßgebend.

Dieses System wird von den Interessenten fast allgemein angewandt, die sich übrigens untereinander wegen einer Änderung der aus einer solchen Berechnung sich ergebenden Summe verständigen können, da es der Societe nationale genügt, wenn die Gesamtheit der in Betracht kommenden Gemeinden den Teil des Kapitals aufbringt, der auf sie entfällt. Auch Privatpersonen können zur Zeichnung von Aktien zugelassen werden, u. zw. verringert sich in diesem Falle der Anteil der Gemeinden verhältnismäßig. Nur können Privatpersonen vom Rentensystem keinen Gebrauch machen, sie müssen vielmehr ihren Anteil sofort einzahlen. Ferner kann die Beteiligung von Privatpersonen an einer bestimmten Linie ein Drittel des betreffenden Kapitals nicht übersteigen.


Anlage von Nebenbahnen, deren Zweckmäßigkeit erkannt ist, zu bewirken.

Die Kommission beendigte ihre Arbeiten am 6. April 1881, und etwa ein Jahr später (am 22. Mai 1882) legte der Finanzminister der Kammer einen Gesetzentwurf, betreffend die Errichtung einer nationalen Gesellschaft für Nebenbahnen, vor. Aus dieser Vorlage entstand das Gesetz vom 28. Mai 1884, an dessen Stelle bald das Gesetz vom 24. Juni 1885 getreten ist, das sich von dem ersteren nur in wenigen Punkten unterscheidet. Die Änderungen lassen die Grundzüge der neuen Organisation, wie sie in dem Gesetz von 1884 vorgesehen sind, unberührt.

Dieses Gesetz stellt folgende Grundsätze auf:

1. Die Anlage der Nebenbahnen wird einem einheitlichen Unternehmen anvertraut: der „Société nationale des chemins de fer vicinaux“. Diese wird von gewissen Steuern und Abgaben befreit und außerdem wird ihr ein Monopol gewährt. Die Regierung kann jedoch Konzessionen auch an Dritte vergeben, wenn die Société nationale nicht innerhalb Jahresfrist darum eingekommen ist und ihren Entwurf nicht in der vorgeschriebenen Frist fertiggestellt hat. Die Satzungen der neuen Gesellschaft sind durch das Gesetz festgelegt; sie bilden einen wesentlichen Teil des Gesetzes und können nur im Wege der Gesetzgebung geändert werden.

2. Die der Société nationale verliehenen Konzessionen sind von unbestimmter Dauer, wie die Gesellschaft selbst; die an andere verliehenen Konzessionen dürfen eine Dauer von 90 Jahren nicht überschreiten. Der Staat kann jederzeit die Konzessionen zu den in der Konzessionsurkunde festgesetzten Bedingungen zurückkaufen.

3. Die Société nationale steht unter der Aufsicht der Regierung, die das Recht besitzt:

a) die Tarife zu genehmigen und jederzeit deren Erhöhung zu verlangen;

b) die Ausführung von Maßnahmen zu untersagen, die dem Gesetz, den Satzungen oder den Staatsinteressen zuwiderlaufen;

c) für die Nebenbahnen polizeiliche Vorschriften zu erlassen und im öffentlichen Interesse gewisse Beförderungen ohne Entgelt zu verlangen.

4. Das Kapital wird beschafft durch die Übernahme von Aktien durch den Staat, die Provinzen und die Gemeinden.

Dies ist einer der eigentümlichsten und beachtenswertesten Punkte der Organisation. Früher waren alle Eisenbahnen entweder unmittelbar vom Staate oder von Privatgesellschaften gebaut worden, aber ohne eine finanzielle Mitwirkung der Provinzen und der Gemeinden. Man beschritt demnach einen ganz neuen Weg und war gezwungen, die beschließenden Körperschaften der Gemeinden und der Provinzen mit diesem bis dahin unbekannten Gedanken einer Beteiligung an einem Unternehmen von ganz besonderem Charakter vertraut zu machen, das zwar von öffentlichem Interesse ist, aber auch etwas von dem Charakter eines industriellen Unternehmens mit Risiko und Ungewißheiten aufweist. Es wurde hierbei eine Art der Finanzierung gewählt, die es dem Staate, den Provinzen und Gemeinden ermöglicht, eine finanzielle Beteiligung zu übernehmen, ohne daß sie bares Geld auszulegen brauchen. Sie verpflichten sich nur, auf die Dauer von 90 Jahren für die Verzinsung und Tilgung der erforderlichen Beträge aufzukommen, sofern das Erträgnis der Bahn hierfür nicht ausreicht. Im anderen Falle erhält sie den Mehrbetrag. Nach Prüfung des Geldmarktes wurde der Zinsfuß für die Jahresrenten auf 31/2% festgesetzt. Dieser Zinssatz ändert sich nur, wenn sich der Geldmarkt für die Unterbringung der Obligationen der Société nationale schwieriger oder weniger günstig gestaltet. (Die Société nationale ist im Jahre 1908 gezwungen worden, infolge des Sinkens der Staatsrente den Zinsfuß für die Jahresrente auf 3·65% zu erhöhen.)

Der Staat begann damit, sich mit einem Viertel zu beteiligen. Mit Rücksicht auf die geringe Belastung, die hieraus dem Staate erwuchs, entschied der damalige Finanzminister im Jahre 1896, daß in Zukunft die Beteiligung des Staates für alle Nebenbahnlinien die Hälfte des erforderlichen Kapitals betragen solle. Das Gesetz verbietet der Regierung, über die Hälfte hinauszugehen. Man wollte, daß bei jedem Unternehmen dieser Art das Interesse der Gemeinden und Provinzen mindestens 50% betrage.

Von den neun belgischen Provinzen haben fünf ihre Beteiligung auf ein Drittel festgesetzt, nämlich Antwerpen, Lüttich, Luxemburg, Limburg und Namur. Die vier anderen Provinzen, Brabant, der Hennegau und die beiden Flandern haben ihre Beteiligung auf ein Viertel beschränkt. Unter diesen Umständen bleibt für die Gemeinden nur ein Sechstel oder ein Viertel, je nachdem sie zu den ersteren oder den letzteren Provinzen gehören. Die Gesamtheit oder die Gruppe der Gemeinden, die an der betreffenden Linie ein Interesse haben, hat dieses Viertel oder Sechstel zu übernehmen. Über die Verteilung der so bestimmten Summe unter den Gemeinden enthält das Gesetz keine Bestimmung.

Bei den ersten Fällen der Gesetzanwendung wählte man als Grundlage für die Beteiligung der Gemeinden einen doppelten Maßstab, nämlich die Bevölkerungsziffer einer Gemeinde und die Länge der Strecke auf ihrem Gebiet. Jeder dieser Faktoren ergibt eine Zahl, und die Durchschnittssumme ist für die Beteiligung der Gemeinde maßgebend.

Dieses System wird von den Interessenten fast allgemein angewandt, die sich übrigens untereinander wegen einer Änderung der aus einer solchen Berechnung sich ergebenden Summe verständigen können, da es der Société nationale genügt, wenn die Gesamtheit der in Betracht kommenden Gemeinden den Teil des Kapitals aufbringt, der auf sie entfällt. Auch Privatpersonen können zur Zeichnung von Aktien zugelassen werden, u. zw. verringert sich in diesem Falle der Anteil der Gemeinden verhältnismäßig. Nur können Privatpersonen vom Rentensystem keinen Gebrauch machen, sie müssen vielmehr ihren Anteil sofort einzahlen. Ferner kann die Beteiligung von Privatpersonen an einer bestimmten Linie ein Drittel des betreffenden Kapitals nicht übersteigen.


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[199/0209] Anlage von Nebenbahnen, deren Zweckmäßigkeit erkannt ist, zu bewirken. Die Kommission beendigte ihre Arbeiten am 6. April 1881, und etwa ein Jahr später (am 22. Mai 1882) legte der Finanzminister der Kammer einen Gesetzentwurf, betreffend die Errichtung einer nationalen Gesellschaft für Nebenbahnen, vor. Aus dieser Vorlage entstand das Gesetz vom 28. Mai 1884, an dessen Stelle bald das Gesetz vom 24. Juni 1885 getreten ist, das sich von dem ersteren nur in wenigen Punkten unterscheidet. Die Änderungen lassen die Grundzüge der neuen Organisation, wie sie in dem Gesetz von 1884 vorgesehen sind, unberührt. Dieses Gesetz stellt folgende Grundsätze auf: 1. Die Anlage der Nebenbahnen wird einem einheitlichen Unternehmen anvertraut: der „Société nationale des chemins de fer vicinaux“. Diese wird von gewissen Steuern und Abgaben befreit und außerdem wird ihr ein Monopol gewährt. Die Regierung kann jedoch Konzessionen auch an Dritte vergeben, wenn die Société nationale nicht innerhalb Jahresfrist darum eingekommen ist und ihren Entwurf nicht in der vorgeschriebenen Frist fertiggestellt hat. Die Satzungen der neuen Gesellschaft sind durch das Gesetz festgelegt; sie bilden einen wesentlichen Teil des Gesetzes und können nur im Wege der Gesetzgebung geändert werden. 2. Die der Société nationale verliehenen Konzessionen sind von unbestimmter Dauer, wie die Gesellschaft selbst; die an andere verliehenen Konzessionen dürfen eine Dauer von 90 Jahren nicht überschreiten. Der Staat kann jederzeit die Konzessionen zu den in der Konzessionsurkunde festgesetzten Bedingungen zurückkaufen. 3. Die Société nationale steht unter der Aufsicht der Regierung, die das Recht besitzt: a) die Tarife zu genehmigen und jederzeit deren Erhöhung zu verlangen; b) die Ausführung von Maßnahmen zu untersagen, die dem Gesetz, den Satzungen oder den Staatsinteressen zuwiderlaufen; c) für die Nebenbahnen polizeiliche Vorschriften zu erlassen und im öffentlichen Interesse gewisse Beförderungen ohne Entgelt zu verlangen. 4. Das Kapital wird beschafft durch die Übernahme von Aktien durch den Staat, die Provinzen und die Gemeinden. Dies ist einer der eigentümlichsten und beachtenswertesten Punkte der Organisation. Früher waren alle Eisenbahnen entweder unmittelbar vom Staate oder von Privatgesellschaften gebaut worden, aber ohne eine finanzielle Mitwirkung der Provinzen und der Gemeinden. Man beschritt demnach einen ganz neuen Weg und war gezwungen, die beschließenden Körperschaften der Gemeinden und der Provinzen mit diesem bis dahin unbekannten Gedanken einer Beteiligung an einem Unternehmen von ganz besonderem Charakter vertraut zu machen, das zwar von öffentlichem Interesse ist, aber auch etwas von dem Charakter eines industriellen Unternehmens mit Risiko und Ungewißheiten aufweist. Es wurde hierbei eine Art der Finanzierung gewählt, die es dem Staate, den Provinzen und Gemeinden ermöglicht, eine finanzielle Beteiligung zu übernehmen, ohne daß sie bares Geld auszulegen brauchen. Sie verpflichten sich nur, auf die Dauer von 90 Jahren für die Verzinsung und Tilgung der erforderlichen Beträge aufzukommen, sofern das Erträgnis der Bahn hierfür nicht ausreicht. Im anderen Falle erhält sie den Mehrbetrag. Nach Prüfung des Geldmarktes wurde der Zinsfuß für die Jahresrenten auf 31/2% festgesetzt. Dieser Zinssatz ändert sich nur, wenn sich der Geldmarkt für die Unterbringung der Obligationen der Société nationale schwieriger oder weniger günstig gestaltet. (Die Société nationale ist im Jahre 1908 gezwungen worden, infolge des Sinkens der Staatsrente den Zinsfuß für die Jahresrente auf 3·65% zu erhöhen.) Der Staat begann damit, sich mit einem Viertel zu beteiligen. Mit Rücksicht auf die geringe Belastung, die hieraus dem Staate erwuchs, entschied der damalige Finanzminister im Jahre 1896, daß in Zukunft die Beteiligung des Staates für alle Nebenbahnlinien die Hälfte des erforderlichen Kapitals betragen solle. Das Gesetz verbietet der Regierung, über die Hälfte hinauszugehen. Man wollte, daß bei jedem Unternehmen dieser Art das Interesse der Gemeinden und Provinzen mindestens 50% betrage. Von den neun belgischen Provinzen haben fünf ihre Beteiligung auf ein Drittel festgesetzt, nämlich Antwerpen, Lüttich, Luxemburg, Limburg und Namur. Die vier anderen Provinzen, Brabant, der Hennegau und die beiden Flandern haben ihre Beteiligung auf ein Viertel beschränkt. Unter diesen Umständen bleibt für die Gemeinden nur ein Sechstel oder ein Viertel, je nachdem sie zu den ersteren oder den letzteren Provinzen gehören. Die Gesamtheit oder die Gruppe der Gemeinden, die an der betreffenden Linie ein Interesse haben, hat dieses Viertel oder Sechstel zu übernehmen. Über die Verteilung der so bestimmten Summe unter den Gemeinden enthält das Gesetz keine Bestimmung. Bei den ersten Fällen der Gesetzanwendung wählte man als Grundlage für die Beteiligung der Gemeinden einen doppelten Maßstab, nämlich die Bevölkerungsziffer einer Gemeinde und die Länge der Strecke auf ihrem Gebiet. Jeder dieser Faktoren ergibt eine Zahl, und die Durchschnittssumme ist für die Beteiligung der Gemeinde maßgebend. Dieses System wird von den Interessenten fast allgemein angewandt, die sich übrigens untereinander wegen einer Änderung der aus einer solchen Berechnung sich ergebenden Summe verständigen können, da es der Société nationale genügt, wenn die Gesamtheit der in Betracht kommenden Gemeinden den Teil des Kapitals aufbringt, der auf sie entfällt. Auch Privatpersonen können zur Zeichnung von Aktien zugelassen werden, u. zw. verringert sich in diesem Falle der Anteil der Gemeinden verhältnismäßig. Nur können Privatpersonen vom Rentensystem keinen Gebrauch machen, sie müssen vielmehr ihren Anteil sofort einzahlen. Ferner kann die Beteiligung von Privatpersonen an einer bestimmten Linie ein Drittel des betreffenden Kapitals nicht übersteigen.

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Zitationshilfe: Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 2. Berlin, Wien, 1912, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roell_eisenbahnwesen02_1912/209>, abgerufen am 22.12.2024.