Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 4. Berlin, Wien, 1913.Bestimmungen, die bestehenden Eisenbahnunternehmungen ein Widerspruchsrecht gegen die Anlegung von Parallel- und Konkurrenzbahnen einräumen, für das Reich aufhebt und weiter festsetzt, daß ein solches Widerspruchsrecht auch in den künftig zu erteilenden Konzessionen nicht weiter verliehen werden kann. Dagegen ist heute die Volkswirtschaftslehre damit einverstanden, daß die Eisenbahnen ein faktisches oder natürliches Monopol besitzen. Dieses Monopol entspringt hauptsächlich aus zwei Gründen. Einmal ist die Eisenbahn innerhalb ihres Gebiets ihrem Wesen nach von verschiedenen Verkehrsmitteln das vollkommenste; sie befördert Personen und Güter bequemer, schneller und meist auch billiger als jedes andere Verkehrsmittel und schließt damit andere Verkehrsmittel aus ihrem Gebiet tatsächlich aus. Sodann erfordert die Anlage einer Eisenbahn so erhebliche Geldmittel, daß nach Herstellung einer Eisenbahn zwischen zwei Endpunkten es tatsächlich bisher niemals gelungen ist, zur Anlage einer oder mehrerer weiteren Eisenbahnen in derselben Richtung und zwischen denselben Zwischen- und Endpunkten die erforderlichen Geldmittel aufzubringen. In der Geschichte des Eisenbahnwesens aller Länder sind Fälle nicht bekannt, daß zwei vollständig nebeneinander parallel laufende Eisenbahnen auf größeren Strecken gebaut worden wären. Die Ansichten der ganz überwiegenden Mehrzahl der Lehrer der Volkswirtschaft aller Länder geht ferner dahin, daß die Überlassung eines solchen Monopols an Privatpersonen zur beliebigen unbeschränkten Ausbeutung wirtschaftlich höchst bedenklich sein würde. Es müßte dies dahin führen, daß nach Willkür des Unternehmers dem einen die Eisenbahn zugänglich gemacht, dem andern verschlossen, daß dem einen hohe, dem anderen niedrige Beförderungspreise gestellt würden, und andere ähnliche, das gesamte wirtschaftliche Leben eines Landes schädigende Ungleichheiten nach der freien Laune des Privatunternehmers entstünden. - Man glaubte aber, es könne solchen Mißständen vorgebeugt werden durch die staatliche Beaufsichtigung der Eisenbahnen, insbesondere ihrer Tarife, und sah auch in der Anlage konkurrierender Eisenbahnen ein geeignetes Mittel zur Verhinderung eines streng monopolistischen Eisenbahnbetriebs. Die Erfahrung aller Länder hat erwiesen, daß die in dem natürlichen Monopol der Eisenbahnen liegenden Gefahren durch derartige Mittel zwar gemildert, aber nicht vollständig beseitigt werden können. Eine noch so strenge und ins einzelne gehende Staatsaufsicht hat es z. B. in Frankreich nicht zu verhindern vermocht, daß das Publikum von den Eisenbahnen ungleich behandelt worden ist. Eine Konkurrenz verschiedener Eisenbahnen untereinander und mit anderen Verkehrsmitteln, insbesondere mit den Wasserstraßen (dem Meere, den Flüssen, den Kanälen), hat auch in den Ländern mit weitest ausgedehnter Eisenbahnfreiheit stets nur vorübergehend auf kurze Zeit sich als wirksam erwiesen und bald dazu geführt, daß die im Wettbewerb stehenden Unternehmungen sich freiwillig über die Art der Verwaltung und die Preisstellung verständigt oder aber miteinander ganz verschmolzen haben. Die Geschichte der Eisenbahnen in England und in den Vereinigten Staaten von Amerika bietet hierfür zahlreiche Beispiele; in beiden Ländern haben die Eisenbahnen insbesondere auch den Kanälen, soweit sie ihnen unbequem wurden, durch ihre Verkehrspolitik den Betrieb zu lohnenden Preisen unmöglich gemacht und sie schließlich wohl auch angekauft. Die Folge derartiger Verschmelzungen ist eine weitere Stärkung des Monopols. Ein Anreiz, von dem Konkurrenzbetrieb zur Verständigung überzugehen, liegt ferner darin, daß der Konkurrenzbetrieb der Natur der Sache nach teurer ist, als der gemeinsame Betrieb. In England und bis zu einem gewissen Grad in den Vereinigten Staaten von Amerika hat die natürliche und freie Entwicklung der Verhältnisse dahin geführt, daß die überwiegende Mehrzahl der Eisenbahnlinien in den Händen weniger Privatunternehmer vereinigt ist, die sich nach ihren Interessen über die Gebiete verständigt haben, die jeder von ihnen ausbeutet und in die einzudringen der andere verzichtet (s. Eisenbahnkönige). Die mit dem Anwachsen einer solchen Macht, wie sie der Besitz eines großen Eisenbahnnetzes gewährt, verbundenen wirtschaftlichen Gefahren werden in beiden Ländern wohl erkannt, man hat sich aber bisher vergeblich bemüht, wirksame Mittel zu ihrer Abwehr zu finden. In Frankreich ist bei Erlaß der ersten umfangreichen gesetzlichen Bestimmungen über die Anlage des Eisenbahnnetzes schon im Jahre 1842 Vorsorge getroffen worden, daß jede einzelne Bahn ein Gebiet des Staates selbständig und unbeeinflußt durch die benachbarten Bahnen betreiben konnte; ähnliche Bestimmungen sind später in den Niederlanden und in Italien erlassen worden. Damit war der Wettbewerb der Bahnen nahezu vollständig beseitigt, aber jedes einzelne Gebiet wurde nunmehr monopolistisch ausgebeutet. Bestimmungen, die bestehenden Eisenbahnunternehmungen ein Widerspruchsrecht gegen die Anlegung von Parallel- und Konkurrenzbahnen einräumen, für das Reich aufhebt und weiter festsetzt, daß ein solches Widerspruchsrecht auch in den künftig zu erteilenden Konzessionen nicht weiter verliehen werden kann. Dagegen ist heute die Volkswirtschaftslehre damit einverstanden, daß die Eisenbahnen ein faktisches oder natürliches Monopol besitzen. Dieses Monopol entspringt hauptsächlich aus zwei Gründen. Einmal ist die Eisenbahn innerhalb ihres Gebiets ihrem Wesen nach von verschiedenen Verkehrsmitteln das vollkommenste; sie befördert Personen und Güter bequemer, schneller und meist auch billiger als jedes andere Verkehrsmittel und schließt damit andere Verkehrsmittel aus ihrem Gebiet tatsächlich aus. Sodann erfordert die Anlage einer Eisenbahn so erhebliche Geldmittel, daß nach Herstellung einer Eisenbahn zwischen zwei Endpunkten es tatsächlich bisher niemals gelungen ist, zur Anlage einer oder mehrerer weiteren Eisenbahnen in derselben Richtung und zwischen denselben Zwischen- und Endpunkten die erforderlichen Geldmittel aufzubringen. In der Geschichte des Eisenbahnwesens aller Länder sind Fälle nicht bekannt, daß zwei vollständig nebeneinander parallel laufende Eisenbahnen auf größeren Strecken gebaut worden wären. Die Ansichten der ganz überwiegenden Mehrzahl der Lehrer der Volkswirtschaft aller Länder geht ferner dahin, daß die Überlassung eines solchen Monopols an Privatpersonen zur beliebigen unbeschränkten Ausbeutung wirtschaftlich höchst bedenklich sein würde. Es müßte dies dahin führen, daß nach Willkür des Unternehmers dem einen die Eisenbahn zugänglich gemacht, dem andern verschlossen, daß dem einen hohe, dem anderen niedrige Beförderungspreise gestellt würden, und andere ähnliche, das gesamte wirtschaftliche Leben eines Landes schädigende Ungleichheiten nach der freien Laune des Privatunternehmers entstünden. – Man glaubte aber, es könne solchen Mißständen vorgebeugt werden durch die staatliche Beaufsichtigung der Eisenbahnen, insbesondere ihrer Tarife, und sah auch in der Anlage konkurrierender Eisenbahnen ein geeignetes Mittel zur Verhinderung eines streng monopolistischen Eisenbahnbetriebs. Die Erfahrung aller Länder hat erwiesen, daß die in dem natürlichen Monopol der Eisenbahnen liegenden Gefahren durch derartige Mittel zwar gemildert, aber nicht vollständig beseitigt werden können. Eine noch so strenge und ins einzelne gehende Staatsaufsicht hat es z. B. in Frankreich nicht zu verhindern vermocht, daß das Publikum von den Eisenbahnen ungleich behandelt worden ist. Eine Konkurrenz verschiedener Eisenbahnen untereinander und mit anderen Verkehrsmitteln, insbesondere mit den Wasserstraßen (dem Meere, den Flüssen, den Kanälen), hat auch in den Ländern mit weitest ausgedehnter Eisenbahnfreiheit stets nur vorübergehend auf kurze Zeit sich als wirksam erwiesen und bald dazu geführt, daß die im Wettbewerb stehenden Unternehmungen sich freiwillig über die Art der Verwaltung und die Preisstellung verständigt oder aber miteinander ganz verschmolzen haben. Die Geschichte der Eisenbahnen in England und in den Vereinigten Staaten von Amerika bietet hierfür zahlreiche Beispiele; in beiden Ländern haben die Eisenbahnen insbesondere auch den Kanälen, soweit sie ihnen unbequem wurden, durch ihre Verkehrspolitik den Betrieb zu lohnenden Preisen unmöglich gemacht und sie schließlich wohl auch angekauft. Die Folge derartiger Verschmelzungen ist eine weitere Stärkung des Monopols. Ein Anreiz, von dem Konkurrenzbetrieb zur Verständigung überzugehen, liegt ferner darin, daß der Konkurrenzbetrieb der Natur der Sache nach teurer ist, als der gemeinsame Betrieb. In England und bis zu einem gewissen Grad in den Vereinigten Staaten von Amerika hat die natürliche und freie Entwicklung der Verhältnisse dahin geführt, daß die überwiegende Mehrzahl der Eisenbahnlinien in den Händen weniger Privatunternehmer vereinigt ist, die sich nach ihren Interessen über die Gebiete verständigt haben, die jeder von ihnen ausbeutet und in die einzudringen der andere verzichtet (s. Eisenbahnkönige). Die mit dem Anwachsen einer solchen Macht, wie sie der Besitz eines großen Eisenbahnnetzes gewährt, verbundenen wirtschaftlichen Gefahren werden in beiden Ländern wohl erkannt, man hat sich aber bisher vergeblich bemüht, wirksame Mittel zu ihrer Abwehr zu finden. In Frankreich ist bei Erlaß der ersten umfangreichen gesetzlichen Bestimmungen über die Anlage des Eisenbahnnetzes schon im Jahre 1842 Vorsorge getroffen worden, daß jede einzelne Bahn ein Gebiet des Staates selbständig und unbeeinflußt durch die benachbarten Bahnen betreiben konnte; ähnliche Bestimmungen sind später in den Niederlanden und in Italien erlassen worden. Damit war der Wettbewerb der Bahnen nahezu vollständig beseitigt, aber jedes einzelne Gebiet wurde nunmehr monopolistisch ausgebeutet. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="lexiconEntry" n="2"> <p><pb facs="#f0096" n="87"/> Bestimmungen, die bestehenden Eisenbahnunternehmungen ein Widerspruchsrecht gegen die Anlegung von Parallel- und Konkurrenzbahnen einräumen, für das Reich aufhebt und weiter festsetzt, daß ein solches Widerspruchsrecht auch in den künftig zu erteilenden Konzessionen nicht weiter verliehen werden kann.</p><lb/> <p>Dagegen ist heute die Volkswirtschaftslehre damit einverstanden, daß die Eisenbahnen ein faktisches oder natürliches Monopol besitzen. Dieses Monopol entspringt hauptsächlich aus <hi rendition="#g">zwei</hi> Gründen. <hi rendition="#g">Einmal</hi> ist die Eisenbahn innerhalb ihres Gebiets ihrem Wesen nach von verschiedenen Verkehrsmitteln das vollkommenste; sie befördert Personen und Güter bequemer, schneller und meist auch billiger als jedes andere Verkehrsmittel und schließt damit andere Verkehrsmittel aus ihrem Gebiet tatsächlich aus. <hi rendition="#g">Sodann</hi> erfordert die Anlage einer Eisenbahn so erhebliche Geldmittel, daß nach Herstellung <hi rendition="#g">einer</hi> Eisenbahn zwischen zwei Endpunkten es tatsächlich bisher niemals gelungen ist, zur Anlage einer oder mehrerer weiteren Eisenbahnen in derselben Richtung und zwischen denselben Zwischen- und Endpunkten die erforderlichen Geldmittel aufzubringen. In der Geschichte des Eisenbahnwesens aller Länder sind Fälle nicht bekannt, daß zwei vollständig nebeneinander parallel laufende Eisenbahnen auf größeren Strecken gebaut worden wären.</p><lb/> <p>Die Ansichten der ganz überwiegenden Mehrzahl der Lehrer der Volkswirtschaft aller Länder geht ferner dahin, daß die Überlassung eines solchen Monopols an Privatpersonen zur beliebigen unbeschränkten Ausbeutung wirtschaftlich höchst bedenklich sein würde. Es müßte dies dahin führen, daß nach Willkür des Unternehmers dem einen die Eisenbahn zugänglich gemacht, dem andern verschlossen, daß dem einen hohe, dem anderen niedrige Beförderungspreise gestellt würden, und andere ähnliche, das gesamte wirtschaftliche Leben eines Landes schädigende Ungleichheiten nach der freien Laune des Privatunternehmers entstünden. – Man glaubte aber, es könne solchen Mißständen vorgebeugt werden durch die staatliche Beaufsichtigung der Eisenbahnen, insbesondere ihrer Tarife, und sah auch in der Anlage konkurrierender Eisenbahnen ein geeignetes Mittel zur Verhinderung eines streng monopolistischen Eisenbahnbetriebs.</p><lb/> <p>Die Erfahrung aller Länder hat erwiesen, daß die in dem natürlichen Monopol der Eisenbahnen liegenden Gefahren durch derartige Mittel zwar gemildert, aber nicht vollständig beseitigt werden können. Eine noch so strenge und ins einzelne gehende Staatsaufsicht hat es z. B. in Frankreich nicht zu verhindern vermocht, daß das Publikum von den Eisenbahnen ungleich behandelt worden ist. Eine Konkurrenz verschiedener Eisenbahnen untereinander und mit anderen Verkehrsmitteln, insbesondere mit den Wasserstraßen (dem Meere, den Flüssen, den Kanälen), hat auch in den Ländern mit weitest ausgedehnter Eisenbahnfreiheit stets nur vorübergehend auf kurze Zeit sich als wirksam erwiesen und bald dazu geführt, daß die im Wettbewerb stehenden Unternehmungen sich freiwillig über die Art der Verwaltung und die Preisstellung verständigt oder aber miteinander ganz verschmolzen haben. Die Geschichte der Eisenbahnen in England und in den Vereinigten Staaten von Amerika bietet hierfür zahlreiche Beispiele; in beiden Ländern haben die Eisenbahnen insbesondere auch den Kanälen, soweit sie ihnen unbequem wurden, durch ihre Verkehrspolitik den Betrieb zu lohnenden Preisen unmöglich gemacht und sie schließlich wohl auch angekauft. Die Folge derartiger Verschmelzungen ist eine weitere Stärkung des Monopols. Ein Anreiz, von dem Konkurrenzbetrieb zur Verständigung überzugehen, liegt ferner darin, daß der Konkurrenzbetrieb der Natur der Sache nach teurer ist, als der gemeinsame Betrieb. In England und bis zu einem gewissen Grad in den Vereinigten Staaten von Amerika hat die natürliche und freie Entwicklung der Verhältnisse dahin geführt, daß die überwiegende Mehrzahl der Eisenbahnlinien in den Händen weniger Privatunternehmer vereinigt ist, die sich nach ihren Interessen über die Gebiete verständigt haben, die jeder von ihnen ausbeutet und in die einzudringen der andere verzichtet (s. Eisenbahnkönige). Die mit dem Anwachsen einer solchen Macht, wie sie der Besitz eines großen Eisenbahnnetzes gewährt, verbundenen wirtschaftlichen Gefahren werden in beiden Ländern wohl erkannt, man hat sich aber bisher vergeblich bemüht, wirksame Mittel zu ihrer Abwehr zu finden. In Frankreich ist bei Erlaß der ersten umfangreichen gesetzlichen Bestimmungen über die Anlage des Eisenbahnnetzes schon im Jahre 1842 Vorsorge getroffen worden, daß jede einzelne Bahn ein Gebiet des Staates selbständig und unbeeinflußt durch die benachbarten Bahnen betreiben konnte; ähnliche Bestimmungen sind später in den Niederlanden und in Italien erlassen worden. Damit war der Wettbewerb der Bahnen nahezu vollständig beseitigt, aber jedes einzelne Gebiet wurde nunmehr monopolistisch ausgebeutet. </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [87/0096]
Bestimmungen, die bestehenden Eisenbahnunternehmungen ein Widerspruchsrecht gegen die Anlegung von Parallel- und Konkurrenzbahnen einräumen, für das Reich aufhebt und weiter festsetzt, daß ein solches Widerspruchsrecht auch in den künftig zu erteilenden Konzessionen nicht weiter verliehen werden kann.
Dagegen ist heute die Volkswirtschaftslehre damit einverstanden, daß die Eisenbahnen ein faktisches oder natürliches Monopol besitzen. Dieses Monopol entspringt hauptsächlich aus zwei Gründen. Einmal ist die Eisenbahn innerhalb ihres Gebiets ihrem Wesen nach von verschiedenen Verkehrsmitteln das vollkommenste; sie befördert Personen und Güter bequemer, schneller und meist auch billiger als jedes andere Verkehrsmittel und schließt damit andere Verkehrsmittel aus ihrem Gebiet tatsächlich aus. Sodann erfordert die Anlage einer Eisenbahn so erhebliche Geldmittel, daß nach Herstellung einer Eisenbahn zwischen zwei Endpunkten es tatsächlich bisher niemals gelungen ist, zur Anlage einer oder mehrerer weiteren Eisenbahnen in derselben Richtung und zwischen denselben Zwischen- und Endpunkten die erforderlichen Geldmittel aufzubringen. In der Geschichte des Eisenbahnwesens aller Länder sind Fälle nicht bekannt, daß zwei vollständig nebeneinander parallel laufende Eisenbahnen auf größeren Strecken gebaut worden wären.
Die Ansichten der ganz überwiegenden Mehrzahl der Lehrer der Volkswirtschaft aller Länder geht ferner dahin, daß die Überlassung eines solchen Monopols an Privatpersonen zur beliebigen unbeschränkten Ausbeutung wirtschaftlich höchst bedenklich sein würde. Es müßte dies dahin führen, daß nach Willkür des Unternehmers dem einen die Eisenbahn zugänglich gemacht, dem andern verschlossen, daß dem einen hohe, dem anderen niedrige Beförderungspreise gestellt würden, und andere ähnliche, das gesamte wirtschaftliche Leben eines Landes schädigende Ungleichheiten nach der freien Laune des Privatunternehmers entstünden. – Man glaubte aber, es könne solchen Mißständen vorgebeugt werden durch die staatliche Beaufsichtigung der Eisenbahnen, insbesondere ihrer Tarife, und sah auch in der Anlage konkurrierender Eisenbahnen ein geeignetes Mittel zur Verhinderung eines streng monopolistischen Eisenbahnbetriebs.
Die Erfahrung aller Länder hat erwiesen, daß die in dem natürlichen Monopol der Eisenbahnen liegenden Gefahren durch derartige Mittel zwar gemildert, aber nicht vollständig beseitigt werden können. Eine noch so strenge und ins einzelne gehende Staatsaufsicht hat es z. B. in Frankreich nicht zu verhindern vermocht, daß das Publikum von den Eisenbahnen ungleich behandelt worden ist. Eine Konkurrenz verschiedener Eisenbahnen untereinander und mit anderen Verkehrsmitteln, insbesondere mit den Wasserstraßen (dem Meere, den Flüssen, den Kanälen), hat auch in den Ländern mit weitest ausgedehnter Eisenbahnfreiheit stets nur vorübergehend auf kurze Zeit sich als wirksam erwiesen und bald dazu geführt, daß die im Wettbewerb stehenden Unternehmungen sich freiwillig über die Art der Verwaltung und die Preisstellung verständigt oder aber miteinander ganz verschmolzen haben. Die Geschichte der Eisenbahnen in England und in den Vereinigten Staaten von Amerika bietet hierfür zahlreiche Beispiele; in beiden Ländern haben die Eisenbahnen insbesondere auch den Kanälen, soweit sie ihnen unbequem wurden, durch ihre Verkehrspolitik den Betrieb zu lohnenden Preisen unmöglich gemacht und sie schließlich wohl auch angekauft. Die Folge derartiger Verschmelzungen ist eine weitere Stärkung des Monopols. Ein Anreiz, von dem Konkurrenzbetrieb zur Verständigung überzugehen, liegt ferner darin, daß der Konkurrenzbetrieb der Natur der Sache nach teurer ist, als der gemeinsame Betrieb. In England und bis zu einem gewissen Grad in den Vereinigten Staaten von Amerika hat die natürliche und freie Entwicklung der Verhältnisse dahin geführt, daß die überwiegende Mehrzahl der Eisenbahnlinien in den Händen weniger Privatunternehmer vereinigt ist, die sich nach ihren Interessen über die Gebiete verständigt haben, die jeder von ihnen ausbeutet und in die einzudringen der andere verzichtet (s. Eisenbahnkönige). Die mit dem Anwachsen einer solchen Macht, wie sie der Besitz eines großen Eisenbahnnetzes gewährt, verbundenen wirtschaftlichen Gefahren werden in beiden Ländern wohl erkannt, man hat sich aber bisher vergeblich bemüht, wirksame Mittel zu ihrer Abwehr zu finden. In Frankreich ist bei Erlaß der ersten umfangreichen gesetzlichen Bestimmungen über die Anlage des Eisenbahnnetzes schon im Jahre 1842 Vorsorge getroffen worden, daß jede einzelne Bahn ein Gebiet des Staates selbständig und unbeeinflußt durch die benachbarten Bahnen betreiben konnte; ähnliche Bestimmungen sind später in den Niederlanden und in Italien erlassen worden. Damit war der Wettbewerb der Bahnen nahezu vollständig beseitigt, aber jedes einzelne Gebiet wurde nunmehr monopolistisch ausgebeutet.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … zeno.org – Contumax GmbH & Co. KG: Bereitstellung der Texttranskription.
(2020-06-17T17:32:48Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Andreas Nolda: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2020-06-17T17:32:48Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht übernommen; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; Hervorhebungen I/J in Fraktur: keine Angabe; i/j in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): keine Angabe; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein Spaltenumbrüche sind nicht markiert. Wiederholungszeichen (") wurden aufgelöst. Komplexe Formeln und Tabellen sind als Grafiken wiedergegeben. Die Abbildungen im Text stammen von zeno.org – Contumax GmbH & Co. KG.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |