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Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 5. Berlin, Wien, 1914.

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derart, daß man sie einem der beiden Systeme zurechnen kann. Ein gemischtes System ist sonach nur dann vorhanden, wenn in einem Tarif wesentliche Eigentümlichkeiten des Raum- und Wertsystems so vereinigt sind, daß man nicht sagen kann, daß das eine oder andere dieser Systeme erheblich überwiegt. So war es bei dem gemischten System, das im Jahre 1874 die bayerischen und württembergischen Bahnen einführten und so ist es noch bei dem aus diesem hervorgegangenen deutschen Reformtarif, der im Jahre 1877 von sämtlichen deutschen Bahnen angenommen wurde. Er hat von dem Raumsystem die Bestimmungen bezüglich des Eilguts und Stückguts, ferner die sog. allgemeinen Wagenladungsklassen entnommen, sowie den Grundsatz, daß Wagenladungen in einen Wagen verladen werden müssen. Dagegen ist in den Spezialtarifen für besonders benannte Güter das Wertsystem vertreten.

B. Wirtschaftssysteme.

Während das Tarifsystem, als die eine Grundlage des Tarifs, ihm den äußeren Aufbau gibt, entnimmt er sein Ziel und seine Richtung aus seiner anderen Grundlage, dem geltenden Wirtschaftssystem. Man unterscheidet eine privatwirtschaftliche und eine gemeinwirtschaftliche Tarifgestaltung, je nachdem die Grundlage und der Zweck der Festsetzung der Tarife die Erzielung eines möglichst hohen Reinertrages für die Eisenbahnverwaltung ist oder die Tarife so festgesetzt werden, wie sie den Interessen des Landes und der Volkswirtschaft am besten dienen.

Wenn, oder solange eine Eisenbahn der Privatwirtschaft angehört, also Privateisenbahn ist, kann und wird sie nur nach dem privatwirtschaftlichen oder Erwerbsgrundsatz verwaltet werden und auch diesen zur alleinigen Grundlage ihrer Tarifgestaltung machen, gemeinwirtschaftliche und allgemeine Interessen dabei aber nur soweit berücksichtigen, als diese mit ihren Erwerbsinteressen zusammenfallen, oder als sie durch Gesetz oder Konzessionsbestimmungen dazu gezwungen ist. Gehört die Eisenbahn aber der Gemeinwirtschaft an, ist sie also Staatsbahn, so hat sie selbstverständlich in erster Linie die Interessen der Gemeinwirtschaft bei der Tarifgestaltung wahrzunehmen, die Erwerbsinteressen aber nur insoweit, als dies den gemeinwirtschaftlichen Interessen entspricht oder nicht damit in Widerstreit gerät. Es ist also klar, daß die Tarifgestaltung eine verschiedene werden muß, je nachdem die Eisenbahnen Privateisenbahnen oder Staatseisenbahnen sind. Im ersteren Fall wird ihr Haupt- und fast einziger Zweck der sein, einen möglichst hohen Reinertrag zu erzielen, im letzteren Fall kann dieser Zweck auch vorhanden sein, wenn eben die allgemeinen Interessen dies wünschenswert erscheinen lassen, wie meist in der ersten Periode des Eisenbahnwesens; aber er wird nicht ausschließlich maßgebend sein, es werden in der Regel daneben auch schon die gemeinwirtschaftlichen Interessen eine gewisse Berücksichtigung finden, und nach der ersten Periode wird in der Regel das Streben nach dem höchsten Reinertrag zurücktreten gegenüber ihrer Aufgabe, die Interessen des Landes und der Volkswirtschaft zu fördern. Es wird dann eine allmähliche Wandlung der privatwirtschaftlichen in eine gemeinwirtschaftliche Tarifgestaltung eintreten, die den Übergang zu der Verwaltung nach dem reinen Gebührenprinzip bilden kann. Diese Verschiedenheit in den Zielen und Verwaltungsgrundsätzen muß aber nicht nur auf die Höhe der Tarifsätze, sondern auch auf die Einrichtung des Tarifs, die Wahl des Tarifsystems u. s. w. von entscheidendem Einfluß sein.

1. Privatwirtschaftliche Tarifgestaltung. Die Entwicklung der privatwirtschaftlichen Tarifgestaltung ist ihrem Charakter und Wesen nach eine individuelle, sie muß es sein, weil eine individualistische Tarifbildung für die Erzielung eines möglichst hohen Reinertrags am günstigsten ist. Infolgedessen haben auch sowohl die Werttarifierung als die differentielle Tarifbildung in der privatwirtschaftlichen Tarifgestaltung ihre ausgedehnteste Anwendung und mannigfaltigste Ausbildung erfahren. Wo in einem Land eine größere Zahl von selbständigen Eisenbahnverwaltungen besteht - und das war bis jetzt in jedem größeren Lande der Fall - da entwickelt sich in der Regel die Wertklassifikation für jedes dieser Eisenbahnnetze individuell, verschieden von der Wertklassifikation der anderen Eisenbahnnetze, und ebenso finden sich die mannigfaltigsten Einheitssätze und Ausnahmetarife innerhalb der verschiedenen Eisenbahngebiete. Während ferner anfangs die Eisenbahntarife verhältnismäßig einfach waren, vielfach nur ein Durchschnittssatz für alle Güter bestand, änderte sich dies bald vollständig. Infolge der ungeheuren Umwälzung, welche die Eisenbahnen insbesondere durch die erhebliche Ermäßigung der Beförderungskosten im wirtschaftlichen Leben mit sich brachten, wurden zahlreiche neue Güter für den Verkehr gewonnen, insbesondere geringwertige Massengüter, die früher gar nicht oder nur in geringem Umfang beförderungsfähig gewesen waren. Diese Entwicklung wurde seitens der

derart, daß man sie einem der beiden Systeme zurechnen kann. Ein gemischtes System ist sonach nur dann vorhanden, wenn in einem Tarif wesentliche Eigentümlichkeiten des Raum- und Wertsystems so vereinigt sind, daß man nicht sagen kann, daß das eine oder andere dieser Systeme erheblich überwiegt. So war es bei dem gemischten System, das im Jahre 1874 die bayerischen und württembergischen Bahnen einführten und so ist es noch bei dem aus diesem hervorgegangenen deutschen Reformtarif, der im Jahre 1877 von sämtlichen deutschen Bahnen angenommen wurde. Er hat von dem Raumsystem die Bestimmungen bezüglich des Eilguts und Stückguts, ferner die sog. allgemeinen Wagenladungsklassen entnommen, sowie den Grundsatz, daß Wagenladungen in einen Wagen verladen werden müssen. Dagegen ist in den Spezialtarifen für besonders benannte Güter das Wertsystem vertreten.

B. Wirtschaftssysteme.

Während das Tarifsystem, als die eine Grundlage des Tarifs, ihm den äußeren Aufbau gibt, entnimmt er sein Ziel und seine Richtung aus seiner anderen Grundlage, dem geltenden Wirtschaftssystem. Man unterscheidet eine privatwirtschaftliche und eine gemeinwirtschaftliche Tarifgestaltung, je nachdem die Grundlage und der Zweck der Festsetzung der Tarife die Erzielung eines möglichst hohen Reinertrages für die Eisenbahnverwaltung ist oder die Tarife so festgesetzt werden, wie sie den Interessen des Landes und der Volkswirtschaft am besten dienen.

Wenn, oder solange eine Eisenbahn der Privatwirtschaft angehört, also Privateisenbahn ist, kann und wird sie nur nach dem privatwirtschaftlichen oder Erwerbsgrundsatz verwaltet werden und auch diesen zur alleinigen Grundlage ihrer Tarifgestaltung machen, gemeinwirtschaftliche und allgemeine Interessen dabei aber nur soweit berücksichtigen, als diese mit ihren Erwerbsinteressen zusammenfallen, oder als sie durch Gesetz oder Konzessionsbestimmungen dazu gezwungen ist. Gehört die Eisenbahn aber der Gemeinwirtschaft an, ist sie also Staatsbahn, so hat sie selbstverständlich in erster Linie die Interessen der Gemeinwirtschaft bei der Tarifgestaltung wahrzunehmen, die Erwerbsinteressen aber nur insoweit, als dies den gemeinwirtschaftlichen Interessen entspricht oder nicht damit in Widerstreit gerät. Es ist also klar, daß die Tarifgestaltung eine verschiedene werden muß, je nachdem die Eisenbahnen Privateisenbahnen oder Staatseisenbahnen sind. Im ersteren Fall wird ihr Haupt- und fast einziger Zweck der sein, einen möglichst hohen Reinertrag zu erzielen, im letzteren Fall kann dieser Zweck auch vorhanden sein, wenn eben die allgemeinen Interessen dies wünschenswert erscheinen lassen, wie meist in der ersten Periode des Eisenbahnwesens; aber er wird nicht ausschließlich maßgebend sein, es werden in der Regel daneben auch schon die gemeinwirtschaftlichen Interessen eine gewisse Berücksichtigung finden, und nach der ersten Periode wird in der Regel das Streben nach dem höchsten Reinertrag zurücktreten gegenüber ihrer Aufgabe, die Interessen des Landes und der Volkswirtschaft zu fördern. Es wird dann eine allmähliche Wandlung der privatwirtschaftlichen in eine gemeinwirtschaftliche Tarifgestaltung eintreten, die den Übergang zu der Verwaltung nach dem reinen Gebührenprinzip bilden kann. Diese Verschiedenheit in den Zielen und Verwaltungsgrundsätzen muß aber nicht nur auf die Höhe der Tarifsätze, sondern auch auf die Einrichtung des Tarifs, die Wahl des Tarifsystems u. s. w. von entscheidendem Einfluß sein.

1. Privatwirtschaftliche Tarifgestaltung. Die Entwicklung der privatwirtschaftlichen Tarifgestaltung ist ihrem Charakter und Wesen nach eine individuelle, sie muß es sein, weil eine individualistische Tarifbildung für die Erzielung eines möglichst hohen Reinertrags am günstigsten ist. Infolgedessen haben auch sowohl die Werttarifierung als die differentielle Tarifbildung in der privatwirtschaftlichen Tarifgestaltung ihre ausgedehnteste Anwendung und mannigfaltigste Ausbildung erfahren. Wo in einem Land eine größere Zahl von selbständigen Eisenbahnverwaltungen besteht – und das war bis jetzt in jedem größeren Lande der Fall – da entwickelt sich in der Regel die Wertklassifikation für jedes dieser Eisenbahnnetze individuell, verschieden von der Wertklassifikation der anderen Eisenbahnnetze, und ebenso finden sich die mannigfaltigsten Einheitssätze und Ausnahmetarife innerhalb der verschiedenen Eisenbahngebiete. Während ferner anfangs die Eisenbahntarife verhältnismäßig einfach waren, vielfach nur ein Durchschnittssatz für alle Güter bestand, änderte sich dies bald vollständig. Infolge der ungeheuren Umwälzung, welche die Eisenbahnen insbesondere durch die erhebliche Ermäßigung der Beförderungskosten im wirtschaftlichen Leben mit sich brachten, wurden zahlreiche neue Güter für den Verkehr gewonnen, insbesondere geringwertige Massengüter, die früher gar nicht oder nur in geringem Umfang beförderungsfähig gewesen waren. Diese Entwicklung wurde seitens der

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[464/0476] derart, daß man sie einem der beiden Systeme zurechnen kann. Ein gemischtes System ist sonach nur dann vorhanden, wenn in einem Tarif wesentliche Eigentümlichkeiten des Raum- und Wertsystems so vereinigt sind, daß man nicht sagen kann, daß das eine oder andere dieser Systeme erheblich überwiegt. So war es bei dem gemischten System, das im Jahre 1874 die bayerischen und württembergischen Bahnen einführten und so ist es noch bei dem aus diesem hervorgegangenen deutschen Reformtarif, der im Jahre 1877 von sämtlichen deutschen Bahnen angenommen wurde. Er hat von dem Raumsystem die Bestimmungen bezüglich des Eilguts und Stückguts, ferner die sog. allgemeinen Wagenladungsklassen entnommen, sowie den Grundsatz, daß Wagenladungen in einen Wagen verladen werden müssen. Dagegen ist in den Spezialtarifen für besonders benannte Güter das Wertsystem vertreten. B. Wirtschaftssysteme. Während das Tarifsystem, als die eine Grundlage des Tarifs, ihm den äußeren Aufbau gibt, entnimmt er sein Ziel und seine Richtung aus seiner anderen Grundlage, dem geltenden Wirtschaftssystem. Man unterscheidet eine privatwirtschaftliche und eine gemeinwirtschaftliche Tarifgestaltung, je nachdem die Grundlage und der Zweck der Festsetzung der Tarife die Erzielung eines möglichst hohen Reinertrages für die Eisenbahnverwaltung ist oder die Tarife so festgesetzt werden, wie sie den Interessen des Landes und der Volkswirtschaft am besten dienen. Wenn, oder solange eine Eisenbahn der Privatwirtschaft angehört, also Privateisenbahn ist, kann und wird sie nur nach dem privatwirtschaftlichen oder Erwerbsgrundsatz verwaltet werden und auch diesen zur alleinigen Grundlage ihrer Tarifgestaltung machen, gemeinwirtschaftliche und allgemeine Interessen dabei aber nur soweit berücksichtigen, als diese mit ihren Erwerbsinteressen zusammenfallen, oder als sie durch Gesetz oder Konzessionsbestimmungen dazu gezwungen ist. Gehört die Eisenbahn aber der Gemeinwirtschaft an, ist sie also Staatsbahn, so hat sie selbstverständlich in erster Linie die Interessen der Gemeinwirtschaft bei der Tarifgestaltung wahrzunehmen, die Erwerbsinteressen aber nur insoweit, als dies den gemeinwirtschaftlichen Interessen entspricht oder nicht damit in Widerstreit gerät. Es ist also klar, daß die Tarifgestaltung eine verschiedene werden muß, je nachdem die Eisenbahnen Privateisenbahnen oder Staatseisenbahnen sind. Im ersteren Fall wird ihr Haupt- und fast einziger Zweck der sein, einen möglichst hohen Reinertrag zu erzielen, im letzteren Fall kann dieser Zweck auch vorhanden sein, wenn eben die allgemeinen Interessen dies wünschenswert erscheinen lassen, wie meist in der ersten Periode des Eisenbahnwesens; aber er wird nicht ausschließlich maßgebend sein, es werden in der Regel daneben auch schon die gemeinwirtschaftlichen Interessen eine gewisse Berücksichtigung finden, und nach der ersten Periode wird in der Regel das Streben nach dem höchsten Reinertrag zurücktreten gegenüber ihrer Aufgabe, die Interessen des Landes und der Volkswirtschaft zu fördern. Es wird dann eine allmähliche Wandlung der privatwirtschaftlichen in eine gemeinwirtschaftliche Tarifgestaltung eintreten, die den Übergang zu der Verwaltung nach dem reinen Gebührenprinzip bilden kann. Diese Verschiedenheit in den Zielen und Verwaltungsgrundsätzen muß aber nicht nur auf die Höhe der Tarifsätze, sondern auch auf die Einrichtung des Tarifs, die Wahl des Tarifsystems u. s. w. von entscheidendem Einfluß sein. 1. Privatwirtschaftliche Tarifgestaltung. Die Entwicklung der privatwirtschaftlichen Tarifgestaltung ist ihrem Charakter und Wesen nach eine individuelle, sie muß es sein, weil eine individualistische Tarifbildung für die Erzielung eines möglichst hohen Reinertrags am günstigsten ist. Infolgedessen haben auch sowohl die Werttarifierung als die differentielle Tarifbildung in der privatwirtschaftlichen Tarifgestaltung ihre ausgedehnteste Anwendung und mannigfaltigste Ausbildung erfahren. Wo in einem Land eine größere Zahl von selbständigen Eisenbahnverwaltungen besteht – und das war bis jetzt in jedem größeren Lande der Fall – da entwickelt sich in der Regel die Wertklassifikation für jedes dieser Eisenbahnnetze individuell, verschieden von der Wertklassifikation der anderen Eisenbahnnetze, und ebenso finden sich die mannigfaltigsten Einheitssätze und Ausnahmetarife innerhalb der verschiedenen Eisenbahngebiete. Während ferner anfangs die Eisenbahntarife verhältnismäßig einfach waren, vielfach nur ein Durchschnittssatz für alle Güter bestand, änderte sich dies bald vollständig. Infolge der ungeheuren Umwälzung, welche die Eisenbahnen insbesondere durch die erhebliche Ermäßigung der Beförderungskosten im wirtschaftlichen Leben mit sich brachten, wurden zahlreiche neue Güter für den Verkehr gewonnen, insbesondere geringwertige Massengüter, die früher gar nicht oder nur in geringem Umfang beförderungsfähig gewesen waren. Diese Entwicklung wurde seitens der

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Zitationshilfe: Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 5. Berlin, Wien, 1914, S. 464. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roell_eisenbahnwesen05_1914/476>, abgerufen am 25.11.2024.