Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 5. Berlin, Wien, 1914.Da die Interessen der privatwirtschaftlichen Eisenbahnverwaltungen und die allgemeinen staatlichen und wirtschaftlichen Interessen in wichtigen Beziehungen auseinandergehen, so werden die letzteren bei der privatwirtschaftlichen Tarifgestaltung oft nicht genügend berücksichtigt, häufig sogar geradezu geschädigt. Diese erhebt ohne Rücksicht auf die allgemeinen wirtschaftlichen Interessen so hohe Transportpreise, als die betreffenden Transporte irgend vertragen können, sie begünstigt oft entgegen der Zoll- und Handelspolitik aus eigensüchtigen Interessen konkurrierende ausländische Erzeugnisse gegenüber den inländischen. Um diese und andere Nachteile der privatwirtschaftlichen Tarifgestaltung zu verhüten oder zu beschränken, hat der Staat in Ausübung der ihm zustehenden Tarifhoheit fast überall durch Gesetze, Konzessionen und im Aufsichtsweg Bestimmungen bezüglich der Tarifgestaltung getroffen. Zunächst hat der Staat einen direkten Einfluß auf die Höhe der Tarife angestrebt durch Festsetzung von Höchsttarifen, indes ohne erheblichen Erfolg; ferner dadurch, daß er den Bahnen die Verpflichtung auferlegt, für gewisse Verkehre oder zu bestimmten Zwecken (Notstandstarife, Post- und Militärtarife) niedrige Tarife zu gewähren. Dies mag notwendig und nützlich sein, hat jedoch für den allgemeinen Verkehr keine praktische Bedeutung, weil ihm diese ausnahmsweise ermäßigten Tarife nicht zu gute kommen. Endlich hat sich der Staat bisweilen das Recht vorbehalten, die Einführung ermäßigter Tarife für den allgemeinen Verkehr vorzuschreiben, allerdings in der Regel gegen Entschädigung des den Bahnen hierdurch etwa entstehenden Einnahmeausfalls (Niederlande, Italien). Daneben hat der Staat vielfach durch formelle Vorschriften und Kontrollen eine Regelung der Tarifgestaltung versucht. Hierher gehören: a) Der Vorbehalt der Genehmigung von Tariferhöhungen. Diese Vorschrift hat bei der fortdauernden Ermäßigung der Güterfrachten keine sehr große Bedeutung. Oft wirkt sie sogar insofern schädlich, als sie die Privateisenbahnen davon abhält, Ermäßigungen einzuführen, von denen es nicht ganz sicher ist, ob sie von finanziellem Vorteil sein werden. b) Von größerer Bedeutung ist es dagegen, wenn jede Tarifänderung, insbesondere auch die Einführung eines jeden Ausnahmetarifs, der Genehmigung der Aufsichtsbehörde bedarf. Es ist hierdurch die Möglichkeit gegeben, die Einführung von Ausnahmetarifen auf ein zulässiges Maß zu beschränken oder zu verhindern, daß solche Ausnahmetarife eingeführt werden, die den allgemeinen Interessen geradezu widersprechen, z. B. das Ausland gegenüber dem Inland begünstigen und der nationalen Handels- und Zollpolitik entgegenarbeiten. c) Die Vorschrift, daß jeder Tarif eine bestimmte Zeit bestehen bleiben muß, bietet eine erwünschte Sicherheit gegen allzuhäufige Tarifänderungen und gibt den Tarifen mindestens eine gewisse Stetigkeit. d) Die Vorschrift der Öffentlichkeit und rechtzeitigen Veröffentlichung der Tarife ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung, obwohl dadurch die Gewährung geheimer Vorteile (Refaktien) nicht mit Sicherheit verhindert werden kann. e) Die Bestimmung, daß nach einer auf derselben Linie vorliegenden Station niemals mehr an Fracht erhoben werden darf als nach einer dahinter liegenden entfernteren Station, beschränkt die Differentialtarife oder vermeidet wenigstens die sog. Frachtdisparitäten. f) Ferner finden sich vielfach Vorschriften, wonach keine Eisenbahngesellschaft direkten Verkehr und direkte Tarife verweigern darf. Diese Sicherung des direkten Verkehrs ist unter Umständen nützlich, da seine Verweigerung bei Wettbewerbskämpfen wohl vorkommt. g) Endlich ist noch zu gedenken der in der Gesetzgebung oder den Eisenbahnkonzessionen fast aller Kulturstaaten in irgend einer Form sich findenden Bestimmung, wonach die Transportleistungen der Eisenbahnen für jedermann ohne Unterschied und unter gleichen Bedingungen erfolgen solle. Diese an sich wichtigste Vorschrift hat fast überall das Schicksal gehabt, mehr oder weniger auf dem Papier zu bleiben, weil die Umgehung zu leicht, die Kontrolle zu schwierig ist. Es sind hier insbesondere die geheimen Frachtvergünstigungen (Bonifikationen, Refaktien, Rückvergütungen) zu erwähnen, die in vielen Ländern durch Gesetz oder Konzessionen und behördliche Erlässe verboten sind, aber erfahrungsgemäß trotzdem vorkommen. Im großen und ganzen kann man mit Recht behaupten, daß alle staatlichen Aufsichtsrechte und Vorschriften, selbst wenn sie streng gehandhabt werden, wohl den einen oder andern Auswuchs der privatwirtschaftlichen Tarifgestaltung verhüten oder beschränken können, daß sie aber das eigentliche Wesen der privatwirtschaftlichen Tarifgestaltung zu ändern nicht imstande sind. Alle Erfahrungen der Eisenbahngeschichte weisen vielmehr auf die Notwendigkeit hin, die privatwirtschaftliche Tarifgestaltung zu beseitigen Da die Interessen der privatwirtschaftlichen Eisenbahnverwaltungen und die allgemeinen staatlichen und wirtschaftlichen Interessen in wichtigen Beziehungen auseinandergehen, so werden die letzteren bei der privatwirtschaftlichen Tarifgestaltung oft nicht genügend berücksichtigt, häufig sogar geradezu geschädigt. Diese erhebt ohne Rücksicht auf die allgemeinen wirtschaftlichen Interessen so hohe Transportpreise, als die betreffenden Transporte irgend vertragen können, sie begünstigt oft entgegen der Zoll- und Handelspolitik aus eigensüchtigen Interessen konkurrierende ausländische Erzeugnisse gegenüber den inländischen. Um diese und andere Nachteile der privatwirtschaftlichen Tarifgestaltung zu verhüten oder zu beschränken, hat der Staat in Ausübung der ihm zustehenden Tarifhoheit fast überall durch Gesetze, Konzessionen und im Aufsichtsweg Bestimmungen bezüglich der Tarifgestaltung getroffen. Zunächst hat der Staat einen direkten Einfluß auf die Höhe der Tarife angestrebt durch Festsetzung von Höchsttarifen, indes ohne erheblichen Erfolg; ferner dadurch, daß er den Bahnen die Verpflichtung auferlegt, für gewisse Verkehre oder zu bestimmten Zwecken (Notstandstarife, Post- und Militärtarife) niedrige Tarife zu gewähren. Dies mag notwendig und nützlich sein, hat jedoch für den allgemeinen Verkehr keine praktische Bedeutung, weil ihm diese ausnahmsweise ermäßigten Tarife nicht zu gute kommen. Endlich hat sich der Staat bisweilen das Recht vorbehalten, die Einführung ermäßigter Tarife für den allgemeinen Verkehr vorzuschreiben, allerdings in der Regel gegen Entschädigung des den Bahnen hierdurch etwa entstehenden Einnahmeausfalls (Niederlande, Italien). Daneben hat der Staat vielfach durch formelle Vorschriften und Kontrollen eine Regelung der Tarifgestaltung versucht. Hierher gehören: a) Der Vorbehalt der Genehmigung von Tariferhöhungen. Diese Vorschrift hat bei der fortdauernden Ermäßigung der Güterfrachten keine sehr große Bedeutung. Oft wirkt sie sogar insofern schädlich, als sie die Privateisenbahnen davon abhält, Ermäßigungen einzuführen, von denen es nicht ganz sicher ist, ob sie von finanziellem Vorteil sein werden. b) Von größerer Bedeutung ist es dagegen, wenn jede Tarifänderung, insbesondere auch die Einführung eines jeden Ausnahmetarifs, der Genehmigung der Aufsichtsbehörde bedarf. Es ist hierdurch die Möglichkeit gegeben, die Einführung von Ausnahmetarifen auf ein zulässiges Maß zu beschränken oder zu verhindern, daß solche Ausnahmetarife eingeführt werden, die den allgemeinen Interessen geradezu widersprechen, z. B. das Ausland gegenüber dem Inland begünstigen und der nationalen Handels- und Zollpolitik entgegenarbeiten. c) Die Vorschrift, daß jeder Tarif eine bestimmte Zeit bestehen bleiben muß, bietet eine erwünschte Sicherheit gegen allzuhäufige Tarifänderungen und gibt den Tarifen mindestens eine gewisse Stetigkeit. d) Die Vorschrift der Öffentlichkeit und rechtzeitigen Veröffentlichung der Tarife ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung, obwohl dadurch die Gewährung geheimer Vorteile (Refaktien) nicht mit Sicherheit verhindert werden kann. e) Die Bestimmung, daß nach einer auf derselben Linie vorliegenden Station niemals mehr an Fracht erhoben werden darf als nach einer dahinter liegenden entfernteren Station, beschränkt die Differentialtarife oder vermeidet wenigstens die sog. Frachtdisparitäten. f) Ferner finden sich vielfach Vorschriften, wonach keine Eisenbahngesellschaft direkten Verkehr und direkte Tarife verweigern darf. Diese Sicherung des direkten Verkehrs ist unter Umständen nützlich, da seine Verweigerung bei Wettbewerbskämpfen wohl vorkommt. g) Endlich ist noch zu gedenken der in der Gesetzgebung oder den Eisenbahnkonzessionen fast aller Kulturstaaten in irgend einer Form sich findenden Bestimmung, wonach die Transportleistungen der Eisenbahnen für jedermann ohne Unterschied und unter gleichen Bedingungen erfolgen solle. Diese an sich wichtigste Vorschrift hat fast überall das Schicksal gehabt, mehr oder weniger auf dem Papier zu bleiben, weil die Umgehung zu leicht, die Kontrolle zu schwierig ist. Es sind hier insbesondere die geheimen Frachtvergünstigungen (Bonifikationen, Refaktien, Rückvergütungen) zu erwähnen, die in vielen Ländern durch Gesetz oder Konzessionen und behördliche Erlässe verboten sind, aber erfahrungsgemäß trotzdem vorkommen. Im großen und ganzen kann man mit Recht behaupten, daß alle staatlichen Aufsichtsrechte und Vorschriften, selbst wenn sie streng gehandhabt werden, wohl den einen oder andern Auswuchs der privatwirtschaftlichen Tarifgestaltung verhüten oder beschränken können, daß sie aber das eigentliche Wesen der privatwirtschaftlichen Tarifgestaltung zu ändern nicht imstande sind. Alle Erfahrungen der Eisenbahngeschichte weisen vielmehr auf die Notwendigkeit hin, die privatwirtschaftliche Tarifgestaltung zu beseitigen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="lexiconEntry" n="2"> <p> <pb facs="#f0478" n="466"/> </p><lb/> <p>Da die Interessen der privatwirtschaftlichen Eisenbahnverwaltungen und die allgemeinen staatlichen und wirtschaftlichen Interessen in wichtigen Beziehungen auseinandergehen, so werden die letzteren bei der privatwirtschaftlichen Tarifgestaltung oft nicht genügend berücksichtigt, häufig sogar geradezu geschädigt. 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Dies mag notwendig und nützlich sein, hat jedoch für den allgemeinen Verkehr keine praktische Bedeutung, weil ihm diese ausnahmsweise ermäßigten Tarife nicht zu gute kommen. Endlich hat sich der Staat bisweilen das Recht vorbehalten, die Einführung ermäßigter Tarife für den allgemeinen Verkehr vorzuschreiben, allerdings in der Regel gegen Entschädigung des den Bahnen hierdurch etwa entstehenden Einnahmeausfalls (Niederlande, Italien). Daneben hat der Staat vielfach durch formelle Vorschriften und Kontrollen eine Regelung der Tarifgestaltung versucht. Hierher gehören:</p><lb/> <p><hi rendition="#i">a)</hi> Der Vorbehalt der Genehmigung von Tariferhöhungen. Diese Vorschrift hat bei der fortdauernden Ermäßigung der Güterfrachten keine sehr große Bedeutung. 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Da die Interessen der privatwirtschaftlichen Eisenbahnverwaltungen und die allgemeinen staatlichen und wirtschaftlichen Interessen in wichtigen Beziehungen auseinandergehen, so werden die letzteren bei der privatwirtschaftlichen Tarifgestaltung oft nicht genügend berücksichtigt, häufig sogar geradezu geschädigt. Diese erhebt ohne Rücksicht auf die allgemeinen wirtschaftlichen Interessen so hohe Transportpreise, als die betreffenden Transporte irgend vertragen können, sie begünstigt oft entgegen der Zoll- und Handelspolitik aus eigensüchtigen Interessen konkurrierende ausländische Erzeugnisse gegenüber den inländischen.
Um diese und andere Nachteile der privatwirtschaftlichen Tarifgestaltung zu verhüten oder zu beschränken, hat der Staat in Ausübung der ihm zustehenden Tarifhoheit fast überall durch Gesetze, Konzessionen und im Aufsichtsweg Bestimmungen bezüglich der Tarifgestaltung getroffen. Zunächst hat der Staat einen direkten Einfluß auf die Höhe der Tarife angestrebt durch Festsetzung von Höchsttarifen, indes ohne erheblichen Erfolg; ferner dadurch, daß er den Bahnen die Verpflichtung auferlegt, für gewisse Verkehre oder zu bestimmten Zwecken (Notstandstarife, Post- und Militärtarife) niedrige Tarife zu gewähren. Dies mag notwendig und nützlich sein, hat jedoch für den allgemeinen Verkehr keine praktische Bedeutung, weil ihm diese ausnahmsweise ermäßigten Tarife nicht zu gute kommen. Endlich hat sich der Staat bisweilen das Recht vorbehalten, die Einführung ermäßigter Tarife für den allgemeinen Verkehr vorzuschreiben, allerdings in der Regel gegen Entschädigung des den Bahnen hierdurch etwa entstehenden Einnahmeausfalls (Niederlande, Italien). Daneben hat der Staat vielfach durch formelle Vorschriften und Kontrollen eine Regelung der Tarifgestaltung versucht. Hierher gehören:
a) Der Vorbehalt der Genehmigung von Tariferhöhungen. Diese Vorschrift hat bei der fortdauernden Ermäßigung der Güterfrachten keine sehr große Bedeutung. Oft wirkt sie sogar insofern schädlich, als sie die Privateisenbahnen davon abhält, Ermäßigungen einzuführen, von denen es nicht ganz sicher ist, ob sie von finanziellem Vorteil sein werden.
b) Von größerer Bedeutung ist es dagegen, wenn jede Tarifänderung, insbesondere auch die Einführung eines jeden Ausnahmetarifs, der Genehmigung der Aufsichtsbehörde bedarf. Es ist hierdurch die Möglichkeit gegeben, die Einführung von Ausnahmetarifen auf ein zulässiges Maß zu beschränken oder zu verhindern, daß solche Ausnahmetarife eingeführt werden, die den allgemeinen Interessen geradezu widersprechen, z. B. das Ausland gegenüber dem Inland begünstigen und der nationalen Handels- und Zollpolitik entgegenarbeiten.
c) Die Vorschrift, daß jeder Tarif eine bestimmte Zeit bestehen bleiben muß, bietet eine erwünschte Sicherheit gegen allzuhäufige Tarifänderungen und gibt den Tarifen mindestens eine gewisse Stetigkeit.
d) Die Vorschrift der Öffentlichkeit und rechtzeitigen Veröffentlichung der Tarife ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung, obwohl dadurch die Gewährung geheimer Vorteile (Refaktien) nicht mit Sicherheit verhindert werden kann.
e) Die Bestimmung, daß nach einer auf derselben Linie vorliegenden Station niemals mehr an Fracht erhoben werden darf als nach einer dahinter liegenden entfernteren Station, beschränkt die Differentialtarife oder vermeidet wenigstens die sog. Frachtdisparitäten.
f) Ferner finden sich vielfach Vorschriften, wonach keine Eisenbahngesellschaft direkten Verkehr und direkte Tarife verweigern darf. Diese Sicherung des direkten Verkehrs ist unter Umständen nützlich, da seine Verweigerung bei Wettbewerbskämpfen wohl vorkommt.
g) Endlich ist noch zu gedenken der in der Gesetzgebung oder den Eisenbahnkonzessionen fast aller Kulturstaaten in irgend einer Form sich findenden Bestimmung, wonach die Transportleistungen der Eisenbahnen für jedermann ohne Unterschied und unter gleichen Bedingungen erfolgen solle. Diese an sich wichtigste Vorschrift hat fast überall das Schicksal gehabt, mehr oder weniger auf dem Papier zu bleiben, weil die Umgehung zu leicht, die Kontrolle zu schwierig ist. Es sind hier insbesondere die geheimen Frachtvergünstigungen (Bonifikationen, Refaktien, Rückvergütungen) zu erwähnen, die in vielen Ländern durch Gesetz oder Konzessionen und behördliche Erlässe verboten sind, aber erfahrungsgemäß trotzdem vorkommen.
Im großen und ganzen kann man mit Recht behaupten, daß alle staatlichen Aufsichtsrechte und Vorschriften, selbst wenn sie streng gehandhabt werden, wohl den einen oder andern Auswuchs der privatwirtschaftlichen Tarifgestaltung verhüten oder beschränken können, daß sie aber das eigentliche Wesen der privatwirtschaftlichen Tarifgestaltung zu ändern nicht imstande sind. Alle Erfahrungen der Eisenbahngeschichte weisen vielmehr auf die Notwendigkeit hin, die privatwirtschaftliche Tarifgestaltung zu beseitigen
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