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Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 6. Berlin, Wien, 1914.

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II. Internationales Recht.

Soweit die rechtliche Stellung der Eisenbahnen in bezug auf die Befugnisse der kriegführenden Gegner, Eisenbahnen, die ihnen nicht gehören, zu Kriegszwecken zu verwenden, nach internationalem Recht überhaupt geregelt ist, sind die betreffenden Bestimmungen in den Abkommen enthalten, die auf der 2. Friedenskonferenz in Haag am 18. Oktober 1907 geschlossen worden sind; die dort getroffenen Festsetzungen entsprechen im allgemeinen dem vorher schon bestehenden Gebrauch. Dieses Abkommen ist von Deutschland, den Vereinigten Staaten von Nordamerika, Österreich-Ungarn, Bolivien, Dänemark, Großbritannien, den Niederlanden, Rußland, Salvador, Schweden, nachträglich auch von Guatemala, Panama, Portugal, Rumänien und Kuba anerkannt; einzelne Staaten haben dabei gewisse Vorbehalte gemacht, die aber, mit Ausnahme derjenigen von Kuba, für die Eisenbahnen nicht in Frage kommen.

Anlage 4 zu dem Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges, das zu dem genannten Abkommen gehört, untersagt im zweiten Abschnitt: Feindseligkeiten, Artikel 23: " ... die Zerstörung oder Wegnahme feindlichen Eigentums, außer in Fällen, wo diese Zerstörung oder Wegnahme durch die Erfordernisse des Krieges dringend erheischt wird." Bei der wichtigen Rolle, die die Eisenbahnen im Kriege spielen, wird sich diese Notwendigkeit stets begründen lassen, wenn Gelegenheit gegeben ist, eine Eisenbahn oder ihre Betriebsmittel zu benutzen. Infolgedessen wird auch Artikel 46, wonach Privateigentum geachtet werden soll, kaum auf die Privateisenbahnen bezogen werden können, zumal Artikel 53 die Berechtigung zu ihrer Beschlagnahme ausspricht. Dieser Artikel enthält zunächst die Bestimmung: "Das ein Gebiet besetzende Heer kann nur mit Beschlag belegen ... Beförderungsmittel ... sowie überhaupt alles bewegliche Eigentum des Staates, das geeignet ist, den Kriegsunternehmungen zu dienen." Darüber, daß Eisenbahnen hierzu gehören, kann kein Zweifel sein. Ferner bestimmt dieser Artikel: "Alle Mittel, die zu Land, zu Wasser oder in der Luft zur Weitergabe von Nachrichten, und zur Beförderung von Personen oder Sachen dienen ... und überhaupt jede Art von Kriegsvorräten können, selbst wenn sie Privatpersonen gehören, mit Beschlag belegt werden. Beim Friedensschluß müssen sie aber zurückgegeben und die Entschädigung geregelt werden." Auch hier muß wohl zugegeben werden, daß bei der Bedeutung der Eisenbahnen für die Kriegführung, auch wenn sie nicht als Beförderungsmittel ausdrücklich genannt wären, die Betriebsmittel und der Wagenpark, die Vorräte und Betriebsstoffe und vieles sonstige Eigentum der Eisenbahnen, auch wenn sie Privateigentum sind, der Beschlagnahme unterliegen. Denn die Eisenbahnen sind ein sogenanntes absolutes Kriegsmittel, weil bei ihnen schon im Frieden auf die Landesverteidigung Rücksicht genommen wird, was soweit geht, daß manche Eisenbahnen ausschließlich für die Zwecke des Heeres angelegt sind. Relative Kriegsmittel sind demgegenüber solche, die erst bei Beginn des Krieges in besondere Beziehungen zum Heer treten.

Daß die Staatseisenbahnen des Feindes vom Gegner benutzt werden dürfen, darüber besteht kein Zweifel; für ihre Benutzung und den Schaden, der dabei angerichtet wird, ist auch keine Entschädigung zu zahlen, weil das feindliche Staatseigentum nach anerkannten Grundsätzen des Kriegs- und Völkerrechts ohneweiteres weggenommen werden kann. Der Gegner erwirbt bei der Beschlagnahme feindlicher Eisenbahnen nur ein Besitz-, nicht ein Eigentumsrecht. Er ist verpflichtet, bei der Benutzung der Eisenbahnen eine gewisse Sorgfalt walten zu lassen. Daß die meisten Felddienstordnungen, darunter auch die deutsche (Artikel 518) die Zerstörung von Eisenbahnen auf längere Zeit nur nach den Bestimmungen der obersten Heeresleitung, des Oberbefehlshabers einer Armee oder eines selbständig kommandierenden Generals für zulässig erklären, hängt wohl weniger mit Rücksichten auf die Rechtsverhältnisse als vielmehr damit zusammen, daß die Zerstörung einer Eisenbahn eine zu folgenschwere Handlung ist, als daß die Entscheidung darüber, ob sie vorgenommen werden soll oder nicht, unteren Führern überlassen werden könnte.

Ob eine kriegführende Partei auf Eisenbahnen in Feindesland eine eigene Eisenbahnverwaltung einrichten darf, ist völkerrechtlich bestritten, es ist aber meistens geschehen. So hat z. B. 1870/71 Deutschland erst den Wirkungskreis der Eisenbahndirektion Saarbrücken auf die benachbarten französischen Eisenbahnen ausgedehnt und dann auch Eisenbahnbehörden auf allen besetzten französischen Eisenbahnen eingerichtet.

Da die Eisenbahnen ein Kriegsmittel sind, können ihre Beamten zu Kriegsgefangenen gemacht werden. Sie können auch, mit Ausnahme der Staatsbeamten, gezwungen werden, den Dienst auf den besetzten Eisenbahnen zu versehen, doch darf ihnen nicht zugemutet werden, bei Unternehmungen gegen das Vaterland mitzuwirken.

Die Verhältnisse der Bahnen neutraler Staaten gegenüber den Kriegführenden regelt das Abkommen betreffend die Rechte und Pflichten der neutralen Personen und Mächte im Falle eines Landkrieges, das ebenfalls zu den auf der 2. Haager Friedenskonferenz geschlossenen Abkommen gehört. Es bestimmt im 4. Kapitel, Artikel 19: "Das aus dem Gebiete einer neutralen Macht herrührende Eisenbahnmaterial, das entweder dieser Macht oder Gesellschaften oder Privatpersonen gehört und als solches erkennbar ist, darf von den kriegführenden Parteien nur in dem Fall und in dem Maße, in dem die gebieterische Notwendigkeit es verlangt, angefordert und benutzt werden. Es muß möglichst bald in das Herkunftsland zurückgesandt werden. Desgleichen kann die neutrale Macht im Falle der Not die aus dem Gebiete der kriegführenden Mächte herrührenden Materialien in entsprechendem Umfange festhalten und benutzen. Von der einen wie von der anderen Seite soll eine Entschädigung nach Verhältnis des benutzten Materials und der Dauer der Benutzung bezahlt werden."

Bei der Beschlagnahme von Eisenbahnen im Kriege darf nicht außer acht gelassen werden, daß sie nicht nur dem Gegner allein dienen; die Einstellung des Betriebes schädigt also nicht nur den Gegner, sondern auch der internationale Verkehr kann dadurch in Mitleidenschaft gezogen werden. Die Rücksichten, die auf die feindlichen Staatseisenbahnen genommen werden müssen, obgleich diese als Eigentum des feindlichen Staates eigentlich zu allererst der Beschlagnahme unterliegen müßten, gründet sich also nicht auf ihre Eigenschaft als Staatsgut; diese Eigenschaft würde sie vielmehr vollständig in die Hand des Gegners liefern. Sie beruhen vielmehr auf ihrer Bedeutung für den internationalen Verkehr, und an diesem können Staaten beteiligt sein, die dem Kriege vollständig fern stehen. Solche sollen aber anerkanntermaßen vom Kriege nicht in Mitleidenschaft gezogen werden. Anderseits

II. Internationales Recht.

Soweit die rechtliche Stellung der Eisenbahnen in bezug auf die Befugnisse der kriegführenden Gegner, Eisenbahnen, die ihnen nicht gehören, zu Kriegszwecken zu verwenden, nach internationalem Recht überhaupt geregelt ist, sind die betreffenden Bestimmungen in den Abkommen enthalten, die auf der 2. Friedenskonferenz in Haag am 18. Oktober 1907 geschlossen worden sind; die dort getroffenen Festsetzungen entsprechen im allgemeinen dem vorher schon bestehenden Gebrauch. Dieses Abkommen ist von Deutschland, den Vereinigten Staaten von Nordamerika, Österreich-Ungarn, Bolivien, Dänemark, Großbritannien, den Niederlanden, Rußland, Salvador, Schweden, nachträglich auch von Guatemala, Panama, Portugal, Rumänien und Kuba anerkannt; einzelne Staaten haben dabei gewisse Vorbehalte gemacht, die aber, mit Ausnahme derjenigen von Kuba, für die Eisenbahnen nicht in Frage kommen.

Anlage 4 zu dem Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges, das zu dem genannten Abkommen gehört, untersagt im zweiten Abschnitt: Feindseligkeiten, Artikel 23: „ ... die Zerstörung oder Wegnahme feindlichen Eigentums, außer in Fällen, wo diese Zerstörung oder Wegnahme durch die Erfordernisse des Krieges dringend erheischt wird.“ Bei der wichtigen Rolle, die die Eisenbahnen im Kriege spielen, wird sich diese Notwendigkeit stets begründen lassen, wenn Gelegenheit gegeben ist, eine Eisenbahn oder ihre Betriebsmittel zu benutzen. Infolgedessen wird auch Artikel 46, wonach Privateigentum geachtet werden soll, kaum auf die Privateisenbahnen bezogen werden können, zumal Artikel 53 die Berechtigung zu ihrer Beschlagnahme ausspricht. Dieser Artikel enthält zunächst die Bestimmung: „Das ein Gebiet besetzende Heer kann nur mit Beschlag belegen ... Beförderungsmittel ... sowie überhaupt alles bewegliche Eigentum des Staates, das geeignet ist, den Kriegsunternehmungen zu dienen.“ Darüber, daß Eisenbahnen hierzu gehören, kann kein Zweifel sein. Ferner bestimmt dieser Artikel: „Alle Mittel, die zu Land, zu Wasser oder in der Luft zur Weitergabe von Nachrichten, und zur Beförderung von Personen oder Sachen dienen ... und überhaupt jede Art von Kriegsvorräten können, selbst wenn sie Privatpersonen gehören, mit Beschlag belegt werden. Beim Friedensschluß müssen sie aber zurückgegeben und die Entschädigung geregelt werden.“ Auch hier muß wohl zugegeben werden, daß bei der Bedeutung der Eisenbahnen für die Kriegführung, auch wenn sie nicht als Beförderungsmittel ausdrücklich genannt wären, die Betriebsmittel und der Wagenpark, die Vorräte und Betriebsstoffe und vieles sonstige Eigentum der Eisenbahnen, auch wenn sie Privateigentum sind, der Beschlagnahme unterliegen. Denn die Eisenbahnen sind ein sogenanntes absolutes Kriegsmittel, weil bei ihnen schon im Frieden auf die Landesverteidigung Rücksicht genommen wird, was soweit geht, daß manche Eisenbahnen ausschließlich für die Zwecke des Heeres angelegt sind. Relative Kriegsmittel sind demgegenüber solche, die erst bei Beginn des Krieges in besondere Beziehungen zum Heer treten.

Daß die Staatseisenbahnen des Feindes vom Gegner benutzt werden dürfen, darüber besteht kein Zweifel; für ihre Benutzung und den Schaden, der dabei angerichtet wird, ist auch keine Entschädigung zu zahlen, weil das feindliche Staatseigentum nach anerkannten Grundsätzen des Kriegs- und Völkerrechts ohneweiteres weggenommen werden kann. Der Gegner erwirbt bei der Beschlagnahme feindlicher Eisenbahnen nur ein Besitz-, nicht ein Eigentumsrecht. Er ist verpflichtet, bei der Benutzung der Eisenbahnen eine gewisse Sorgfalt walten zu lassen. Daß die meisten Felddienstordnungen, darunter auch die deutsche (Artikel 518) die Zerstörung von Eisenbahnen auf längere Zeit nur nach den Bestimmungen der obersten Heeresleitung, des Oberbefehlshabers einer Armee oder eines selbständig kommandierenden Generals für zulässig erklären, hängt wohl weniger mit Rücksichten auf die Rechtsverhältnisse als vielmehr damit zusammen, daß die Zerstörung einer Eisenbahn eine zu folgenschwere Handlung ist, als daß die Entscheidung darüber, ob sie vorgenommen werden soll oder nicht, unteren Führern überlassen werden könnte.

Ob eine kriegführende Partei auf Eisenbahnen in Feindesland eine eigene Eisenbahnverwaltung einrichten darf, ist völkerrechtlich bestritten, es ist aber meistens geschehen. So hat z. B. 1870/71 Deutschland erst den Wirkungskreis der Eisenbahndirektion Saarbrücken auf die benachbarten französischen Eisenbahnen ausgedehnt und dann auch Eisenbahnbehörden auf allen besetzten französischen Eisenbahnen eingerichtet.

Da die Eisenbahnen ein Kriegsmittel sind, können ihre Beamten zu Kriegsgefangenen gemacht werden. Sie können auch, mit Ausnahme der Staatsbeamten, gezwungen werden, den Dienst auf den besetzten Eisenbahnen zu versehen, doch darf ihnen nicht zugemutet werden, bei Unternehmungen gegen das Vaterland mitzuwirken.

Die Verhältnisse der Bahnen neutraler Staaten gegenüber den Kriegführenden regelt das Abkommen betreffend die Rechte und Pflichten der neutralen Personen und Mächte im Falle eines Landkrieges, das ebenfalls zu den auf der 2. Haager Friedenskonferenz geschlossenen Abkommen gehört. Es bestimmt im 4. Kapitel, Artikel 19: „Das aus dem Gebiete einer neutralen Macht herrührende Eisenbahnmaterial, das entweder dieser Macht oder Gesellschaften oder Privatpersonen gehört und als solches erkennbar ist, darf von den kriegführenden Parteien nur in dem Fall und in dem Maße, in dem die gebieterische Notwendigkeit es verlangt, angefordert und benutzt werden. Es muß möglichst bald in das Herkunftsland zurückgesandt werden. Desgleichen kann die neutrale Macht im Falle der Not die aus dem Gebiete der kriegführenden Mächte herrührenden Materialien in entsprechendem Umfange festhalten und benutzen. Von der einen wie von der anderen Seite soll eine Entschädigung nach Verhältnis des benutzten Materials und der Dauer der Benutzung bezahlt werden.“

Bei der Beschlagnahme von Eisenbahnen im Kriege darf nicht außer acht gelassen werden, daß sie nicht nur dem Gegner allein dienen; die Einstellung des Betriebes schädigt also nicht nur den Gegner, sondern auch der internationale Verkehr kann dadurch in Mitleidenschaft gezogen werden. Die Rücksichten, die auf die feindlichen Staatseisenbahnen genommen werden müssen, obgleich diese als Eigentum des feindlichen Staates eigentlich zu allererst der Beschlagnahme unterliegen müßten, gründet sich also nicht auf ihre Eigenschaft als Staatsgut; diese Eigenschaft würde sie vielmehr vollständig in die Hand des Gegners liefern. Sie beruhen vielmehr auf ihrer Bedeutung für den internationalen Verkehr, und an diesem können Staaten beteiligt sein, die dem Kriege vollständig fern stehen. Solche sollen aber anerkanntermaßen vom Kriege nicht in Mitleidenschaft gezogen werden. Anderseits

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[481/0498] II. Internationales Recht. Soweit die rechtliche Stellung der Eisenbahnen in bezug auf die Befugnisse der kriegführenden Gegner, Eisenbahnen, die ihnen nicht gehören, zu Kriegszwecken zu verwenden, nach internationalem Recht überhaupt geregelt ist, sind die betreffenden Bestimmungen in den Abkommen enthalten, die auf der 2. Friedenskonferenz in Haag am 18. Oktober 1907 geschlossen worden sind; die dort getroffenen Festsetzungen entsprechen im allgemeinen dem vorher schon bestehenden Gebrauch. Dieses Abkommen ist von Deutschland, den Vereinigten Staaten von Nordamerika, Österreich-Ungarn, Bolivien, Dänemark, Großbritannien, den Niederlanden, Rußland, Salvador, Schweden, nachträglich auch von Guatemala, Panama, Portugal, Rumänien und Kuba anerkannt; einzelne Staaten haben dabei gewisse Vorbehalte gemacht, die aber, mit Ausnahme derjenigen von Kuba, für die Eisenbahnen nicht in Frage kommen. Anlage 4 zu dem Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges, das zu dem genannten Abkommen gehört, untersagt im zweiten Abschnitt: Feindseligkeiten, Artikel 23: „ ... die Zerstörung oder Wegnahme feindlichen Eigentums, außer in Fällen, wo diese Zerstörung oder Wegnahme durch die Erfordernisse des Krieges dringend erheischt wird.“ Bei der wichtigen Rolle, die die Eisenbahnen im Kriege spielen, wird sich diese Notwendigkeit stets begründen lassen, wenn Gelegenheit gegeben ist, eine Eisenbahn oder ihre Betriebsmittel zu benutzen. Infolgedessen wird auch Artikel 46, wonach Privateigentum geachtet werden soll, kaum auf die Privateisenbahnen bezogen werden können, zumal Artikel 53 die Berechtigung zu ihrer Beschlagnahme ausspricht. Dieser Artikel enthält zunächst die Bestimmung: „Das ein Gebiet besetzende Heer kann nur mit Beschlag belegen ... Beförderungsmittel ... sowie überhaupt alles bewegliche Eigentum des Staates, das geeignet ist, den Kriegsunternehmungen zu dienen.“ Darüber, daß Eisenbahnen hierzu gehören, kann kein Zweifel sein. Ferner bestimmt dieser Artikel: „Alle Mittel, die zu Land, zu Wasser oder in der Luft zur Weitergabe von Nachrichten, und zur Beförderung von Personen oder Sachen dienen ... und überhaupt jede Art von Kriegsvorräten können, selbst wenn sie Privatpersonen gehören, mit Beschlag belegt werden. Beim Friedensschluß müssen sie aber zurückgegeben und die Entschädigung geregelt werden.“ Auch hier muß wohl zugegeben werden, daß bei der Bedeutung der Eisenbahnen für die Kriegführung, auch wenn sie nicht als Beförderungsmittel ausdrücklich genannt wären, die Betriebsmittel und der Wagenpark, die Vorräte und Betriebsstoffe und vieles sonstige Eigentum der Eisenbahnen, auch wenn sie Privateigentum sind, der Beschlagnahme unterliegen. Denn die Eisenbahnen sind ein sogenanntes absolutes Kriegsmittel, weil bei ihnen schon im Frieden auf die Landesverteidigung Rücksicht genommen wird, was soweit geht, daß manche Eisenbahnen ausschließlich für die Zwecke des Heeres angelegt sind. Relative Kriegsmittel sind demgegenüber solche, die erst bei Beginn des Krieges in besondere Beziehungen zum Heer treten. Daß die Staatseisenbahnen des Feindes vom Gegner benutzt werden dürfen, darüber besteht kein Zweifel; für ihre Benutzung und den Schaden, der dabei angerichtet wird, ist auch keine Entschädigung zu zahlen, weil das feindliche Staatseigentum nach anerkannten Grundsätzen des Kriegs- und Völkerrechts ohneweiteres weggenommen werden kann. Der Gegner erwirbt bei der Beschlagnahme feindlicher Eisenbahnen nur ein Besitz-, nicht ein Eigentumsrecht. Er ist verpflichtet, bei der Benutzung der Eisenbahnen eine gewisse Sorgfalt walten zu lassen. Daß die meisten Felddienstordnungen, darunter auch die deutsche (Artikel 518) die Zerstörung von Eisenbahnen auf längere Zeit nur nach den Bestimmungen der obersten Heeresleitung, des Oberbefehlshabers einer Armee oder eines selbständig kommandierenden Generals für zulässig erklären, hängt wohl weniger mit Rücksichten auf die Rechtsverhältnisse als vielmehr damit zusammen, daß die Zerstörung einer Eisenbahn eine zu folgenschwere Handlung ist, als daß die Entscheidung darüber, ob sie vorgenommen werden soll oder nicht, unteren Führern überlassen werden könnte. Ob eine kriegführende Partei auf Eisenbahnen in Feindesland eine eigene Eisenbahnverwaltung einrichten darf, ist völkerrechtlich bestritten, es ist aber meistens geschehen. So hat z. B. 1870/71 Deutschland erst den Wirkungskreis der Eisenbahndirektion Saarbrücken auf die benachbarten französischen Eisenbahnen ausgedehnt und dann auch Eisenbahnbehörden auf allen besetzten französischen Eisenbahnen eingerichtet. Da die Eisenbahnen ein Kriegsmittel sind, können ihre Beamten zu Kriegsgefangenen gemacht werden. Sie können auch, mit Ausnahme der Staatsbeamten, gezwungen werden, den Dienst auf den besetzten Eisenbahnen zu versehen, doch darf ihnen nicht zugemutet werden, bei Unternehmungen gegen das Vaterland mitzuwirken. Die Verhältnisse der Bahnen neutraler Staaten gegenüber den Kriegführenden regelt das Abkommen betreffend die Rechte und Pflichten der neutralen Personen und Mächte im Falle eines Landkrieges, das ebenfalls zu den auf der 2. Haager Friedenskonferenz geschlossenen Abkommen gehört. Es bestimmt im 4. Kapitel, Artikel 19: „Das aus dem Gebiete einer neutralen Macht herrührende Eisenbahnmaterial, das entweder dieser Macht oder Gesellschaften oder Privatpersonen gehört und als solches erkennbar ist, darf von den kriegführenden Parteien nur in dem Fall und in dem Maße, in dem die gebieterische Notwendigkeit es verlangt, angefordert und benutzt werden. Es muß möglichst bald in das Herkunftsland zurückgesandt werden. Desgleichen kann die neutrale Macht im Falle der Not die aus dem Gebiete der kriegführenden Mächte herrührenden Materialien in entsprechendem Umfange festhalten und benutzen. Von der einen wie von der anderen Seite soll eine Entschädigung nach Verhältnis des benutzten Materials und der Dauer der Benutzung bezahlt werden.“ Bei der Beschlagnahme von Eisenbahnen im Kriege darf nicht außer acht gelassen werden, daß sie nicht nur dem Gegner allein dienen; die Einstellung des Betriebes schädigt also nicht nur den Gegner, sondern auch der internationale Verkehr kann dadurch in Mitleidenschaft gezogen werden. Die Rücksichten, die auf die feindlichen Staatseisenbahnen genommen werden müssen, obgleich diese als Eigentum des feindlichen Staates eigentlich zu allererst der Beschlagnahme unterliegen müßten, gründet sich also nicht auf ihre Eigenschaft als Staatsgut; diese Eigenschaft würde sie vielmehr vollständig in die Hand des Gegners liefern. Sie beruhen vielmehr auf ihrer Bedeutung für den internationalen Verkehr, und an diesem können Staaten beteiligt sein, die dem Kriege vollständig fern stehen. Solche sollen aber anerkanntermaßen vom Kriege nicht in Mitleidenschaft gezogen werden. Anderseits

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Zitationshilfe: Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 6. Berlin, Wien, 1914, S. 481. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roell_eisenbahnwesen06_1914/498>, abgerufen am 22.11.2024.