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Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 10. Berlin, Wien, 1923.

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erweitert. Während des Weltkriegs hat die Bundesregierung in der Zeit vom 28. Dezember 1917 bis 29. Februar 1920 das ganze Eisenbahnnetz vorübergehend in ihre Verwaltung genommen.

II. Geschichtliches.

Man unterscheidet für die Entwicklung der Eisenbahnen der V. 3 Abschnitte. Der erste reicht bis zur Vollendung der ersten beiden Überlandbahnen im Jahre 18691. Bis gegen Mitte der Fünfzigerjahre war, z. T. beeinflußt durch die starke Einwanderung nach 1848, der erste lebhafte Aufschwung des Eisenbahnbaues und die Fertigstellung der Hauptlinien in den östlichen Gebieten bis nach den großen Seen zu erfolgt. Nach Beendigung des Bürgerkriegs tritt ein neuer Aufschwung ein, der bis 1869 dauert. Der zweite Abschnitt geht bis zum Jahre 1887, dem Erlaß des Bundesverkehrsgesetzes vom 4. Februar 18872. Es ist dies die Zeit, in der sich das Eisenbahnnetz, besonders in den östlichen und mittleren Gebieten, mehr und mehr verdichtete und Kämpfe zwischen den einzelnen Linien um den Verkehr sich entwickelten. Diese Eisenbahnkriege, unter denen die zwischen den Trunk-Lines des Ostens3 in den Jahren 1873 bis 1877 hervortreten, hatten eine Herabsetzung der Gütertarife, besonders der durchgehenden Tarife für Massengüter bei Beibehaltung hoher Tarife im Lokalverkehr zur Folge, in Begleitung von starken Unregelmäßigkeiten und persönlichen Begünstigungen (Refaktien). Durch die niedrigen Tarife wurden die Finanzen der Eisenbahnen geschwächt, es folgten Zahlungseinstellungen (1873 die große Krisis) und der Ankauf der schwächeren durch die mächtigeren Bahnen, also eine weitere Befestigung des Eisenbahnmonopols. Die mit der Monopolstellung verbundenen starken Mißbräuche, besonders die Finanzierung der Eisenbahnen zu ausschließlich spekulativen Zwecken, hatte sich schon in der ersten Periode vereinzelt gezeigt (die Eriebahn mit Daniel Drew, die Vanderbiltbahnen, die Camden-Amboy-Bahn, die Spekulationsbahnen der Gould und Fisk u. s. w.), ihre verderblichen Folgen treten jetzt noch mehr in die Erscheinung. Es bildeten sich besondere Vereine zur Bekämpfung der Monopole (vgl. Art. Antimonopoly leagues, Bd. I, S. 198) und es wurden Versuche gemacht zur Beseitigung der Mißbräuche mit Hilfe staatlicher Aufsichtsbehörden (Railway Commissions). Solche wurden in den mittleren Staaten (Illinois, Wisconsin, Michigan, Minnesota u. s. w.) eingesetzt infolge der agrarischen Bewegung zu Anfang der Siebzigerjahre des vorigen Jahrhunderts (vgl. Art. Granger, Bd. V, S. 365, und Railway Commissions, Bd. VIII, S. 171), hauptsächlich zur Überwachung der Tarife. In anderen Staaten folgte die Einsetzung solcher Behörden mit z. T. abweichenden Befugnissen. Die Zuständigkeit dieser Behörden beschränkte sich aber auf das Gebiet der Einzelstaaten, im zwischenstaatlichen Verkehr, der der bei weitem wichtigste ist, hatten sie keine Rechte. Die Bemühungen der Eisenbahnreformer, eines Simon Stern, Albert Fink und anderer, richteten sich daher auf Erlaß eines Bundesgesetzes zur Beaufsichtigung des zwischenstaatlichen Verkehrs. Nach langen Verhandlungen und Untersuchungen in beiden Häusern des Kongresses kam die Interstate Commerce Act vom 4. Februar 1887 zu stande, womit die zweite Periode der Eisenbahngeschichte der V. abschließt.

Die dritte Periode geht bis zum Erlaß der Transportation Act vom 28. Februar 1920, d. h. einer auf längere Dauer berechneten Umgestaltung des Eisenbahnwesens nach den Erfahrungen seit Erlaß des Bundesverkehrsgesetzes und im Weltkrieg. Die Eisenbahnen setzen zunächst den Anordnungen des Bundesamts, soweit sie ihnen unbequem sind, aktiven und passiven Widerstand entgegen und sind bemüht, das Ansehen der höchsten Bundesbehörde zu schwächen. Sie versuchen, durch neue Gesetze die ihnen besonders lästigen Bestimmungen über Einschränkungen der Differenzialtarife (Long and short haul clause vgl. Bd. VII, S. 232) oder über das Verbot der Eisenbahnverbände (Antipooling clause) zu ändern. Ihre Bemühungen werden gefördert durch die Rechtsprechung, durch die Entscheidungen des Amtes über Beschwerden, besonders in Tariffragen aufgehoben und selbst solche Verbände für unzulässig erklärt werden, die nur nützlich gewirkt haben. Anderseits ist die Regierung im Einverständnis mit der Mehrheit des Kongresses und gestützt durch die öffentliche Meinung bestrebt, die Befugnisse des Bundesverkehrsamtes zu erweitern. Eine solche Erweiterung erfolgt durch wichtige Novellen zum Bundesverkehrsgesetz (vgl. Bd. VI, S. 277). Die Strafbefugnisse des Amtes gegen widerspenstige Eisenbahnen werden verschärft, das Recht der Mitwirkung des Amtes bei Aufstellung der Tarife wird erweitert. Durch regelmäßige Verhandlungen des Bundesamts mit den Eisenbahnaufsichtsämtern der Einzelstaaten wird mit

1 Vgl. Art. Überlandbahnen.
2 Vgl. Art. Interstate Commerce Act, Bd. VI, S. 276 ff.
3 Vgl. u. a. den Aufsatz: Eisenbahnkriege und Eisenbahnverbände bei v. der Leyen, Die nordamerikanischen Eisenbahnen, S. 273 ff.

erweitert. Während des Weltkriegs hat die Bundesregierung in der Zeit vom 28. Dezember 1917 bis 29. Februar 1920 das ganze Eisenbahnnetz vorübergehend in ihre Verwaltung genommen.

II. Geschichtliches.

Man unterscheidet für die Entwicklung der Eisenbahnen der V. 3 Abschnitte. Der erste reicht bis zur Vollendung der ersten beiden Überlandbahnen im Jahre 18691. Bis gegen Mitte der Fünfzigerjahre war, z. T. beeinflußt durch die starke Einwanderung nach 1848, der erste lebhafte Aufschwung des Eisenbahnbaues und die Fertigstellung der Hauptlinien in den östlichen Gebieten bis nach den großen Seen zu erfolgt. Nach Beendigung des Bürgerkriegs tritt ein neuer Aufschwung ein, der bis 1869 dauert. Der zweite Abschnitt geht bis zum Jahre 1887, dem Erlaß des Bundesverkehrsgesetzes vom 4. Februar 18872. Es ist dies die Zeit, in der sich das Eisenbahnnetz, besonders in den östlichen und mittleren Gebieten, mehr und mehr verdichtete und Kämpfe zwischen den einzelnen Linien um den Verkehr sich entwickelten. Diese Eisenbahnkriege, unter denen die zwischen den Trunk-Lines des Ostens3 in den Jahren 1873 bis 1877 hervortreten, hatten eine Herabsetzung der Gütertarife, besonders der durchgehenden Tarife für Massengüter bei Beibehaltung hoher Tarife im Lokalverkehr zur Folge, in Begleitung von starken Unregelmäßigkeiten und persönlichen Begünstigungen (Refaktien). Durch die niedrigen Tarife wurden die Finanzen der Eisenbahnen geschwächt, es folgten Zahlungseinstellungen (1873 die große Krisis) und der Ankauf der schwächeren durch die mächtigeren Bahnen, also eine weitere Befestigung des Eisenbahnmonopols. Die mit der Monopolstellung verbundenen starken Mißbräuche, besonders die Finanzierung der Eisenbahnen zu ausschließlich spekulativen Zwecken, hatte sich schon in der ersten Periode vereinzelt gezeigt (die Eriebahn mit Daniel Drew, die Vanderbiltbahnen, die Camden-Amboy-Bahn, die Spekulationsbahnen der Gould und Fisk u. s. w.), ihre verderblichen Folgen treten jetzt noch mehr in die Erscheinung. Es bildeten sich besondere Vereine zur Bekämpfung der Monopole (vgl. Art. Antimonopoly leagues, Bd. I, S. 198) und es wurden Versuche gemacht zur Beseitigung der Mißbräuche mit Hilfe staatlicher Aufsichtsbehörden (Railway Commissions). Solche wurden in den mittleren Staaten (Illinois, Wisconsin, Michigan, Minnesota u. s. w.) eingesetzt infolge der agrarischen Bewegung zu Anfang der Siebzigerjahre des vorigen Jahrhunderts (vgl. Art. Granger, Bd. V, S. 365, und Railway Commissions, Bd. VIII, S. 171), hauptsächlich zur Überwachung der Tarife. In anderen Staaten folgte die Einsetzung solcher Behörden mit z. T. abweichenden Befugnissen. Die Zuständigkeit dieser Behörden beschränkte sich aber auf das Gebiet der Einzelstaaten, im zwischenstaatlichen Verkehr, der der bei weitem wichtigste ist, hatten sie keine Rechte. Die Bemühungen der Eisenbahnreformer, eines Simon Stern, Albert Fink und anderer, richteten sich daher auf Erlaß eines Bundesgesetzes zur Beaufsichtigung des zwischenstaatlichen Verkehrs. Nach langen Verhandlungen und Untersuchungen in beiden Häusern des Kongresses kam die Interstate Commerce Act vom 4. Februar 1887 zu stande, womit die zweite Periode der Eisenbahngeschichte der V. abschließt.

Die dritte Periode geht bis zum Erlaß der Transportation Act vom 28. Februar 1920, d. h. einer auf längere Dauer berechneten Umgestaltung des Eisenbahnwesens nach den Erfahrungen seit Erlaß des Bundesverkehrsgesetzes und im Weltkrieg. Die Eisenbahnen setzen zunächst den Anordnungen des Bundesamts, soweit sie ihnen unbequem sind, aktiven und passiven Widerstand entgegen und sind bemüht, das Ansehen der höchsten Bundesbehörde zu schwächen. Sie versuchen, durch neue Gesetze die ihnen besonders lästigen Bestimmungen über Einschränkungen der Differenzialtarife (Long and short haul clause vgl. Bd. VII, S. 232) oder über das Verbot der Eisenbahnverbände (Antipooling clause) zu ändern. Ihre Bemühungen werden gefördert durch die Rechtsprechung, durch die Entscheidungen des Amtes über Beschwerden, besonders in Tariffragen aufgehoben und selbst solche Verbände für unzulässig erklärt werden, die nur nützlich gewirkt haben. Anderseits ist die Regierung im Einverständnis mit der Mehrheit des Kongresses und gestützt durch die öffentliche Meinung bestrebt, die Befugnisse des Bundesverkehrsamtes zu erweitern. Eine solche Erweiterung erfolgt durch wichtige Novellen zum Bundesverkehrsgesetz (vgl. Bd. VI, S. 277). Die Strafbefugnisse des Amtes gegen widerspenstige Eisenbahnen werden verschärft, das Recht der Mitwirkung des Amtes bei Aufstellung der Tarife wird erweitert. Durch regelmäßige Verhandlungen des Bundesamts mit den Eisenbahnaufsichtsämtern der Einzelstaaten wird mit

1 Vgl. Art. Überlandbahnen.
2 Vgl. Art. Interstate Commerce Act, Bd. VI, S. 276 ff.
3 Vgl. u. a. den Aufsatz: Eisenbahnkriege und Eisenbahnverbände bei v. der Leyen, Die nordamerikanischen Eisenbahnen, S. 273 ff.
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[102/0115] erweitert. Während des Weltkriegs hat die Bundesregierung in der Zeit vom 28. Dezember 1917 bis 29. Februar 1920 das ganze Eisenbahnnetz vorübergehend in ihre Verwaltung genommen. II. Geschichtliches. Man unterscheidet für die Entwicklung der Eisenbahnen der V. 3 Abschnitte. Der erste reicht bis zur Vollendung der ersten beiden Überlandbahnen im Jahre 1869 1. Bis gegen Mitte der Fünfzigerjahre war, z. T. beeinflußt durch die starke Einwanderung nach 1848, der erste lebhafte Aufschwung des Eisenbahnbaues und die Fertigstellung der Hauptlinien in den östlichen Gebieten bis nach den großen Seen zu erfolgt. Nach Beendigung des Bürgerkriegs tritt ein neuer Aufschwung ein, der bis 1869 dauert. Der zweite Abschnitt geht bis zum Jahre 1887, dem Erlaß des Bundesverkehrsgesetzes vom 4. Februar 1887 2. Es ist dies die Zeit, in der sich das Eisenbahnnetz, besonders in den östlichen und mittleren Gebieten, mehr und mehr verdichtete und Kämpfe zwischen den einzelnen Linien um den Verkehr sich entwickelten. Diese Eisenbahnkriege, unter denen die zwischen den Trunk-Lines des Ostens 3 in den Jahren 1873 bis 1877 hervortreten, hatten eine Herabsetzung der Gütertarife, besonders der durchgehenden Tarife für Massengüter bei Beibehaltung hoher Tarife im Lokalverkehr zur Folge, in Begleitung von starken Unregelmäßigkeiten und persönlichen Begünstigungen (Refaktien). Durch die niedrigen Tarife wurden die Finanzen der Eisenbahnen geschwächt, es folgten Zahlungseinstellungen (1873 die große Krisis) und der Ankauf der schwächeren durch die mächtigeren Bahnen, also eine weitere Befestigung des Eisenbahnmonopols. Die mit der Monopolstellung verbundenen starken Mißbräuche, besonders die Finanzierung der Eisenbahnen zu ausschließlich spekulativen Zwecken, hatte sich schon in der ersten Periode vereinzelt gezeigt (die Eriebahn mit Daniel Drew, die Vanderbiltbahnen, die Camden-Amboy-Bahn, die Spekulationsbahnen der Gould und Fisk u. s. w.), ihre verderblichen Folgen treten jetzt noch mehr in die Erscheinung. Es bildeten sich besondere Vereine zur Bekämpfung der Monopole (vgl. Art. Antimonopoly leagues, Bd. I, S. 198) und es wurden Versuche gemacht zur Beseitigung der Mißbräuche mit Hilfe staatlicher Aufsichtsbehörden (Railway Commissions). Solche wurden in den mittleren Staaten (Illinois, Wisconsin, Michigan, Minnesota u. s. w.) eingesetzt infolge der agrarischen Bewegung zu Anfang der Siebzigerjahre des vorigen Jahrhunderts (vgl. Art. Granger, Bd. V, S. 365, und Railway Commissions, Bd. VIII, S. 171), hauptsächlich zur Überwachung der Tarife. In anderen Staaten folgte die Einsetzung solcher Behörden mit z. T. abweichenden Befugnissen. Die Zuständigkeit dieser Behörden beschränkte sich aber auf das Gebiet der Einzelstaaten, im zwischenstaatlichen Verkehr, der der bei weitem wichtigste ist, hatten sie keine Rechte. Die Bemühungen der Eisenbahnreformer, eines Simon Stern, Albert Fink und anderer, richteten sich daher auf Erlaß eines Bundesgesetzes zur Beaufsichtigung des zwischenstaatlichen Verkehrs. Nach langen Verhandlungen und Untersuchungen in beiden Häusern des Kongresses kam die Interstate Commerce Act vom 4. Februar 1887 zu stande, womit die zweite Periode der Eisenbahngeschichte der V. abschließt. Die dritte Periode geht bis zum Erlaß der Transportation Act vom 28. Februar 1920, d. h. einer auf längere Dauer berechneten Umgestaltung des Eisenbahnwesens nach den Erfahrungen seit Erlaß des Bundesverkehrsgesetzes und im Weltkrieg. Die Eisenbahnen setzen zunächst den Anordnungen des Bundesamts, soweit sie ihnen unbequem sind, aktiven und passiven Widerstand entgegen und sind bemüht, das Ansehen der höchsten Bundesbehörde zu schwächen. Sie versuchen, durch neue Gesetze die ihnen besonders lästigen Bestimmungen über Einschränkungen der Differenzialtarife (Long and short haul clause vgl. Bd. VII, S. 232) oder über das Verbot der Eisenbahnverbände (Antipooling clause) zu ändern. Ihre Bemühungen werden gefördert durch die Rechtsprechung, durch die Entscheidungen des Amtes über Beschwerden, besonders in Tariffragen aufgehoben und selbst solche Verbände für unzulässig erklärt werden, die nur nützlich gewirkt haben. Anderseits ist die Regierung im Einverständnis mit der Mehrheit des Kongresses und gestützt durch die öffentliche Meinung bestrebt, die Befugnisse des Bundesverkehrsamtes zu erweitern. Eine solche Erweiterung erfolgt durch wichtige Novellen zum Bundesverkehrsgesetz (vgl. Bd. VI, S. 277). Die Strafbefugnisse des Amtes gegen widerspenstige Eisenbahnen werden verschärft, das Recht der Mitwirkung des Amtes bei Aufstellung der Tarife wird erweitert. Durch regelmäßige Verhandlungen des Bundesamts mit den Eisenbahnaufsichtsämtern der Einzelstaaten wird mit 1 Vgl. Art. Überlandbahnen. 2 Vgl. Art. Interstate Commerce Act, Bd. VI, S. 276 ff. 3 Vgl. u. a. den Aufsatz: Eisenbahnkriege und Eisenbahnverbände bei v. der Leyen, Die nordamerikanischen Eisenbahnen, S. 273 ff.

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Zitationshilfe: Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 10. Berlin, Wien, 1923, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roell_eisenbahnwesen10_1923/115>, abgerufen am 21.06.2024.