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Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876.

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"Alle diese Reden und Beschlüsse können zu nichts führen",
urtheilte Benoit am 9. März, und bereits in denselben Tagen,
in welchen der König Warschau verließ, entschied sich das
Schicksal seines Sohnes. Die Feldherren rührten sich trotz des
Senatsbeschlusses für ihn nicht, und die Popularität, deren er
sich in Polen, zum Theil in Folge seiner heimlichen Ehe mit
einer Krasinska erfreute, reichte nicht aus, um die Masse des
Adels für ihn zum Aufsitzen zu bewegen. Nur etwa 40 Edel-
leute aus Lithauen ritten ihm in seiner Bedrängniß nach Mitau
zu: am 26. April räumte er für immer die Stadt und das Land.

Es war weder ein rein persönliches, noch schlechthin ein
Partheiinteresse, welches die Czartoryski in der kurländischen
Frage zu einer so schroffen Haltung und einer so enschiednen
Partheinahme für Rußland bestimmt hatte. Allerdings war
der Kampf, den sie mit ihren Gegnern führten, auch ein Kampf
um Einfluß und Macht, wie er zu allen Zeiten in Polen
zwischen den großen Familien geführt worden ist; sie hatten
aber vor ihren Gegnern das voraus, daß sie zugleich die Idee
der Reform vertraten, von welcher jene nichts wissen wollten.
Nachdem sie mehrmals vergebens versucht hatten, in der Ver-
bindung mit dem Hofe mit der Durchführung dieser Idee
wenigstens einen Anfang zu machen, hatten sie, durch den Hof
selbst in die Opposition getrieben, jene Ideen keineswegs fallen
lassen, vielmehr für deren Verbreitung in der Nation nach
Kräften gewirkt. Die berühmte Schrift des Piaristen Stanis-
law Konarski, welcher in seiner Jugend gleich den Czartoryski
zur Parthei Leszczynski's gehört hatte, "Über das Mittel zu er-
folgreichen Berathungen", in den Jahren 1760--1763 erschienen,

letztern unterschrieben das Senatsconsilium, welches Stolterfoth voll-
ständig giebt (S. 835), die folgenden 11 Senatoren nicht: Massalski,
Bischof von Wilna; Szepticki, Bischof von Ploczk; Anton Ostrowski,
Bischof von Liefland; Michael Massalski, Kastellan von Wilna; Andreas
Zamoyski, Palatin von Inowraclaw; Michael und August Czartoryski;
Michael Rzewuski, Palatin von Podolien; Andreas Moszczenski, Kastellan
von Inowraclaw; Matthias Soltyk, Kastellan von Sandomir; Joseph
Jaklinski, Kastellan von Oswiecim (Auschwitz).

„Alle dieſe Reden und Beſchlüſſe können zu nichts führen“,
urtheilte Benoit am 9. März, und bereits in denſelben Tagen,
in welchen der König Warſchau verließ, entſchied ſich das
Schickſal ſeines Sohnes. Die Feldherren rührten ſich trotz des
Senatsbeſchluſſes für ihn nicht, und die Popularität, deren er
ſich in Polen, zum Theil in Folge ſeiner heimlichen Ehe mit
einer Kraſinska erfreute, reichte nicht aus, um die Maſſe des
Adels für ihn zum Aufſitzen zu bewegen. Nur etwa 40 Edel-
leute aus Lithauen ritten ihm in ſeiner Bedrängniß nach Mitau
zu: am 26. April räumte er für immer die Stadt und das Land.

Es war weder ein rein perſönliches, noch ſchlechthin ein
Partheiintereſſe, welches die Czartoryski in der kurländiſchen
Frage zu einer ſo ſchroffen Haltung und einer ſo enſchiednen
Partheinahme für Rußland beſtimmt hatte. Allerdings war
der Kampf, den ſie mit ihren Gegnern führten, auch ein Kampf
um Einfluß und Macht, wie er zu allen Zeiten in Polen
zwiſchen den großen Familien geführt worden iſt; ſie hatten
aber vor ihren Gegnern das voraus, daß ſie zugleich die Idee
der Reform vertraten, von welcher jene nichts wiſſen wollten.
Nachdem ſie mehrmals vergebens verſucht hatten, in der Ver-
bindung mit dem Hofe mit der Durchführung dieſer Idee
wenigſtens einen Anfang zu machen, hatten ſie, durch den Hof
ſelbſt in die Oppoſition getrieben, jene Ideen keineswegs fallen
laſſen, vielmehr für deren Verbreitung in der Nation nach
Kräften gewirkt. Die berühmte Schrift des Piariſten Stanis-
law Konarski, welcher in ſeiner Jugend gleich den Czartoryski
zur Parthei Leszczynski’s gehört hatte, „Über das Mittel zu er-
folgreichen Berathungen“, in den Jahren 1760—1763 erſchienen,

letztern unterſchrieben das Senatsconſilium, welches Stolterfoth voll-
ſtändig giebt (S. 835), die folgenden 11 Senatoren nicht: Maſſalski,
Biſchof von Wilna; Szepticki, Biſchof von Ploczk; Anton Oſtrowski,
Biſchof von Liefland; Michael Maſſalski, Kaſtellan von Wilna; Andreas
Zamoyski, Palatin von Inowraclaw; Michael und Auguſt Czartoryski;
Michael Rzewuski, Palatin von Podolien; Andreas Moszczenski, Kaſtellan
von Inowraclaw; Matthias Soltyk, Kaſtellan von Sandomir; Joſeph
Jaklinski, Kaſtellan von Oſwięcim (Auſchwitz).
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[175/0189] „Alle dieſe Reden und Beſchlüſſe können zu nichts führen“, urtheilte Benoit am 9. März, und bereits in denſelben Tagen, in welchen der König Warſchau verließ, entſchied ſich das Schickſal ſeines Sohnes. Die Feldherren rührten ſich trotz des Senatsbeſchluſſes für ihn nicht, und die Popularität, deren er ſich in Polen, zum Theil in Folge ſeiner heimlichen Ehe mit einer Kraſinska erfreute, reichte nicht aus, um die Maſſe des Adels für ihn zum Aufſitzen zu bewegen. Nur etwa 40 Edel- leute aus Lithauen ritten ihm in ſeiner Bedrängniß nach Mitau zu: am 26. April räumte er für immer die Stadt und das Land. Es war weder ein rein perſönliches, noch ſchlechthin ein Partheiintereſſe, welches die Czartoryski in der kurländiſchen Frage zu einer ſo ſchroffen Haltung und einer ſo enſchiednen Partheinahme für Rußland beſtimmt hatte. Allerdings war der Kampf, den ſie mit ihren Gegnern führten, auch ein Kampf um Einfluß und Macht, wie er zu allen Zeiten in Polen zwiſchen den großen Familien geführt worden iſt; ſie hatten aber vor ihren Gegnern das voraus, daß ſie zugleich die Idee der Reform vertraten, von welcher jene nichts wiſſen wollten. Nachdem ſie mehrmals vergebens verſucht hatten, in der Ver- bindung mit dem Hofe mit der Durchführung dieſer Idee wenigſtens einen Anfang zu machen, hatten ſie, durch den Hof ſelbſt in die Oppoſition getrieben, jene Ideen keineswegs fallen laſſen, vielmehr für deren Verbreitung in der Nation nach Kräften gewirkt. Die berühmte Schrift des Piariſten Stanis- law Konarski, welcher in ſeiner Jugend gleich den Czartoryski zur Parthei Leszczynski’s gehört hatte, „Über das Mittel zu er- folgreichen Berathungen“, in den Jahren 1760—1763 erſchienen, 2) 2) letztern unterſchrieben das Senatsconſilium, welches Stolterfoth voll- ſtändig giebt (S. 835), die folgenden 11 Senatoren nicht: Maſſalski, Biſchof von Wilna; Szepticki, Biſchof von Ploczk; Anton Oſtrowski, Biſchof von Liefland; Michael Maſſalski, Kaſtellan von Wilna; Andreas Zamoyski, Palatin von Inowraclaw; Michael und Auguſt Czartoryski; Michael Rzewuski, Palatin von Podolien; Andreas Moszczenski, Kaſtellan von Inowraclaw; Matthias Soltyk, Kaſtellan von Sandomir; Joſeph Jaklinski, Kaſtellan von Oſwięcim (Auſchwitz).

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Zitationshilfe: Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876/189>, abgerufen am 21.11.2024.