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Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876.

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zivil und Sapieha, dann der Czartoryski, so zu sagen in
einem nur selten unterbrochenem Kriegszustande befunden 1).
Auch jetzt strömte gegen die Mitte April eine ganz besonders
große Masse von Anhängern beider Partheien nach Wilna.
Die ganze Stadt ward auf der einen Seite von den "Al-
benczyk"
(Weißhemden) und Partheigängern Radzivils, auf
der andern von Haufen des lithauischen Heeres und den
Partheigängern des alten Feldherrn Massalski erfüllt, der es
mit den Czartoryskis hielt. Von diesen fand sich der alte
Kanzler mit seinem Neffen Stanislaw Poniatowski und seinen
Schwiegersöhnen Oginski und Flemming, von welchen der erste
Staatssecretair und der letztere Unterschatzmeister von Lithauen
war, in Person ein. Die Wahlen der Deputirten zum Tri-
bunal waren so überwiegend für die Parthei Radzivils ausge-
fallen, daß seine Wahl zum Marschall, wie unfähig er auch zu
diesem Amt seinem ganzen Wesen nach war, gesichert erschien.
Die Kommissare der Krone, Adam Krasinski, Bischof von Ka-
miniec, und Adam Brzostowski, Kastellan von Poloczk, sahen
den kommenden Sturm voraus, ohne ihn bei aller Bemühung
verhindern zu können. Als in der Versammlung der Parthei
der Czartoryski mitgetheilt ward, daß Radzivil, wie es aller-
dings von ihm erwartet werden konnte, seine Wahl mit Ge-
walt erzwingen wolle, stellte Tyzenhaus, der Staatssecretair
von Lithauen, den russischen Obersten Puszkin als einen Ab-
gesandten der Kaiserin vor, welche für die "Freiheit des Adels"
einzutreten bereit sei. "Der erkaufte Adel schrie, daß er dies
Tribunal nicht wolle, und um die Protection der Kaiserin bitte."
Sofort verlas Odachowski, Starost von Poloczk, ein Manifest,
in welchem gegen Radzivils Verfahren protestirt und die Hilfe
der Kaiserin erbeten ward. Die Versammlung unterschrieb.
Neue Unterhandlungen mit Radzivil folgten, ohne zum Ziele
zu führen. Endlich entschloß sich Radzivil, auf seine eigne
Hand das Tribunal zu constituiren. Da er die Kathedral-
kirche, in welcher der herkömmlich vorangehende Gottesdienst

1) Unterrichtend hieher sind Stanisl. Poniat., Pam., p. 177 sq.

zivil und Sapieha, dann der Czartoryski, ſo zu ſagen in
einem nur ſelten unterbrochenem Kriegszuſtande befunden 1).
Auch jetzt ſtrömte gegen die Mitte April eine ganz beſonders
große Maſſe von Anhängern beider Partheien nach Wilna.
Die ganze Stadt ward auf der einen Seite von den „Al-
benczyk“
(Weißhemden) und Partheigängern Radzivils, auf
der andern von Haufen des lithauiſchen Heeres und den
Partheigängern des alten Feldherrn Maſſalski erfüllt, der es
mit den Czartoryskis hielt. Von dieſen fand ſich der alte
Kanzler mit ſeinem Neffen Stanislaw Poniatowski und ſeinen
Schwiegerſöhnen Oginski und Flemming, von welchen der erſte
Staatsſecretair und der letztere Unterſchatzmeiſter von Lithauen
war, in Perſon ein. Die Wahlen der Deputirten zum Tri-
bunal waren ſo überwiegend für die Parthei Radzivils ausge-
fallen, daß ſeine Wahl zum Marſchall, wie unfähig er auch zu
dieſem Amt ſeinem ganzen Weſen nach war, geſichert erſchien.
Die Kommiſſare der Krone, Adam Kraſinski, Biſchof von Ka-
miniec, und Adam Brzostowski, Kaſtellan von Poloczk, ſahen
den kommenden Sturm voraus, ohne ihn bei aller Bemühung
verhindern zu können. Als in der Verſammlung der Parthei
der Czartoryski mitgetheilt ward, daß Radzivil, wie es aller-
dings von ihm erwartet werden konnte, ſeine Wahl mit Ge-
walt erzwingen wolle, ſtellte Tyzenhaus, der Staatsſecretair
von Lithauen, den ruſſiſchen Oberſten Puszkin als einen Ab-
geſandten der Kaiſerin vor, welche für die „Freiheit des Adels“
einzutreten bereit ſei. „Der erkaufte Adel ſchrie, daß er dies
Tribunal nicht wolle, und um die Protection der Kaiſerin bitte.“
Sofort verlas Odachowski, Staroſt von Poloczk, ein Manifeſt,
in welchem gegen Radzivils Verfahren proteſtirt und die Hilfe
der Kaiſerin erbeten ward. Die Verſammlung unterſchrieb.
Neue Unterhandlungen mit Radzivil folgten, ohne zum Ziele
zu führen. Endlich entſchloß ſich Radzivil, auf ſeine eigne
Hand das Tribunal zu conſtituiren. Da er die Kathedral-
kirche, in welcher der herkömmlich vorangehende Gottesdienſt

1) Unterrichtend hieher ſind Stanisl. Poniat., Pam., p. 177 sq.
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[183/0197] zivil und Sapieha, dann der Czartoryski, ſo zu ſagen in einem nur ſelten unterbrochenem Kriegszuſtande befunden 1). Auch jetzt ſtrömte gegen die Mitte April eine ganz beſonders große Maſſe von Anhängern beider Partheien nach Wilna. Die ganze Stadt ward auf der einen Seite von den „Al- benczyk“ (Weißhemden) und Partheigängern Radzivils, auf der andern von Haufen des lithauiſchen Heeres und den Partheigängern des alten Feldherrn Maſſalski erfüllt, der es mit den Czartoryskis hielt. Von dieſen fand ſich der alte Kanzler mit ſeinem Neffen Stanislaw Poniatowski und ſeinen Schwiegerſöhnen Oginski und Flemming, von welchen der erſte Staatsſecretair und der letztere Unterſchatzmeiſter von Lithauen war, in Perſon ein. Die Wahlen der Deputirten zum Tri- bunal waren ſo überwiegend für die Parthei Radzivils ausge- fallen, daß ſeine Wahl zum Marſchall, wie unfähig er auch zu dieſem Amt ſeinem ganzen Weſen nach war, geſichert erſchien. Die Kommiſſare der Krone, Adam Kraſinski, Biſchof von Ka- miniec, und Adam Brzostowski, Kaſtellan von Poloczk, ſahen den kommenden Sturm voraus, ohne ihn bei aller Bemühung verhindern zu können. Als in der Verſammlung der Parthei der Czartoryski mitgetheilt ward, daß Radzivil, wie es aller- dings von ihm erwartet werden konnte, ſeine Wahl mit Ge- walt erzwingen wolle, ſtellte Tyzenhaus, der Staatsſecretair von Lithauen, den ruſſiſchen Oberſten Puszkin als einen Ab- geſandten der Kaiſerin vor, welche für die „Freiheit des Adels“ einzutreten bereit ſei. „Der erkaufte Adel ſchrie, daß er dies Tribunal nicht wolle, und um die Protection der Kaiſerin bitte.“ Sofort verlas Odachowski, Staroſt von Poloczk, ein Manifeſt, in welchem gegen Radzivils Verfahren proteſtirt und die Hilfe der Kaiſerin erbeten ward. Die Verſammlung unterſchrieb. Neue Unterhandlungen mit Radzivil folgten, ohne zum Ziele zu führen. Endlich entſchloß ſich Radzivil, auf ſeine eigne Hand das Tribunal zu conſtituiren. Da er die Kathedral- kirche, in welcher der herkömmlich vorangehende Gottesdienſt 1) Unterrichtend hieher ſind Stanisl. Poniat., Pam., p. 177 sq.

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Zitationshilfe: Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876/197>, abgerufen am 21.11.2024.