Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

Befehl zum Blutvergießen zu geben. Sie schrieen vielmehr, daß
man die Säbel einstecke, und forderten kurz darauf meinen Bru-
der zu einer Conferenz in der Sakristei auf. Das Ergebniß
derselben war, daß aus Mangel einer hinreichenden Anzahl rechts-
gültig gewählter Deputirten das Tribunal nicht eröffnet werden
konnte. Mein Bruder sagte ihnen: ,Ihr werdet das zu verant-
worten haben.' Es wurde ein Manifest beim Grod eingereicht,
welches die Ursachen nachwies, woher das Tribunal nicht eröffnet
worden sei. Wir gingen alle zur Kastellanin von Kaminiec,
welche, für eine Frau sehr unpassend, die ganze Scene in der
Kirche von der Tribüne der Orgel mit angesehen hatte, und
jetzt mit einem halben Dutzend schöner Nichten und Dienerinnen
beschäftigt war, den Partheigängern ihres Bruders die Humpen
mit Ungarwein zu füllen. Sie nahm uns mit der größten Artig-
keit auf, wiederholte aber nach links und nach rechts halblaut,
es sei doch sehr schade, daß die Arbeit nicht zu Ende ge-
bracht sei.

"Am folgenden Morgen verließen alle Petrikau in banger Er-
wartung der Folgen, welche es nach sich ziehen würde, daß Polen
zum erstenmal auf ein ganzes Jahr kein höchstes Tribunal hatte.
Aber es ereignete sich nichts Ungewöhnliches; die öffentliche Ruhe
ward nicht gestört, und man wartete, ohne irgend einen Schritt
zu thun, bis zur Eröffnung des Tribunals im Mai 1750. (?)
Dies beweist einerseits, wie gut diese Gesellschaft ist, und zum
andern, daß, so lange ein Volk, wie die Engländer sagen, nicht
reif für eine Revolution ist, diese auch trotz der wunderbarsten
Ereignisse nicht möglich ist."


Befehl zum Blutvergießen zu geben. Sie ſchrieen vielmehr, daß
man die Säbel einſtecke, und forderten kurz darauf meinen Bru-
der zu einer Conferenz in der Sakriſtei auf. Das Ergebniß
derſelben war, daß aus Mangel einer hinreichenden Anzahl rechts-
gültig gewählter Deputirten das Tribunal nicht eröffnet werden
konnte. Mein Bruder ſagte ihnen: ‚Ihr werdet das zu verant-
worten haben.‘ Es wurde ein Manifeſt beim Grod eingereicht,
welches die Urſachen nachwies, woher das Tribunal nicht eröffnet
worden ſei. Wir gingen alle zur Kaſtellanin von Kaminiec,
welche, für eine Frau ſehr unpaſſend, die ganze Scene in der
Kirche von der Tribüne der Orgel mit angeſehen hatte, und
jetzt mit einem halben Dutzend ſchöner Nichten und Dienerinnen
beſchäftigt war, den Partheigängern ihres Bruders die Humpen
mit Ungarwein zu füllen. Sie nahm uns mit der größten Artig-
keit auf, wiederholte aber nach links und nach rechts halblaut,
es ſei doch ſehr ſchade, daß die Arbeit nicht zu Ende ge-
bracht ſei.

„Am folgenden Morgen verließen alle Petrikau in banger Er-
wartung der Folgen, welche es nach ſich ziehen würde, daß Polen
zum erſtenmal auf ein ganzes Jahr kein höchſtes Tribunal hatte.
Aber es ereignete ſich nichts Ungewöhnliches; die öffentliche Ruhe
ward nicht geſtört, und man wartete, ohne irgend einen Schritt
zu thun, bis zur Eröffnung des Tribunals im Mai 1750. (?)
Dies beweiſt einerſeits, wie gut dieſe Geſellſchaft iſt, und zum
andern, daß, ſo lange ein Volk, wie die Engländer ſagen, nicht
reif für eine Revolution iſt, dieſe auch trotz der wunderbarſten
Ereigniſſe nicht möglich iſt.“


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0248" n="234"/>
Befehl zum Blutvergießen zu geben. Sie &#x017F;chrieen vielmehr, daß<lb/>
man die Säbel ein&#x017F;tecke, und forderten kurz darauf meinen Bru-<lb/>
der zu einer Conferenz in der Sakri&#x017F;tei auf. Das Ergebniß<lb/>
der&#x017F;elben war, daß aus Mangel einer hinreichenden Anzahl rechts-<lb/>
gültig gewählter Deputirten das Tribunal nicht eröffnet werden<lb/>
konnte. Mein Bruder &#x017F;agte ihnen: &#x201A;Ihr werdet das zu verant-<lb/>
worten haben.&#x2018; Es wurde ein Manife&#x017F;t beim Grod eingereicht,<lb/>
welches die Ur&#x017F;achen nachwies, woher das Tribunal nicht eröffnet<lb/>
worden &#x017F;ei. Wir gingen alle zur Ka&#x017F;tellanin von Kaminiec,<lb/>
welche, für eine Frau &#x017F;ehr unpa&#x017F;&#x017F;end, die ganze Scene in der<lb/>
Kirche von der Tribüne der Orgel mit ange&#x017F;ehen hatte, und<lb/>
jetzt mit einem halben Dutzend &#x017F;chöner Nichten und Dienerinnen<lb/>
be&#x017F;chäftigt war, den Partheigängern ihres Bruders die Humpen<lb/>
mit Ungarwein zu füllen. Sie nahm uns mit der größten Artig-<lb/>
keit auf, wiederholte aber nach links und nach rechts halblaut,<lb/>
es &#x017F;ei doch &#x017F;ehr &#x017F;chade, daß die Arbeit nicht zu Ende ge-<lb/>
bracht &#x017F;ei.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Am folgenden Morgen verließen alle Petrikau in banger Er-<lb/>
wartung der Folgen, welche es nach &#x017F;ich ziehen würde, daß Polen<lb/>
zum er&#x017F;tenmal auf ein ganzes Jahr kein höch&#x017F;tes Tribunal hatte.<lb/>
Aber es ereignete &#x017F;ich nichts Ungewöhnliches; die öffentliche Ruhe<lb/>
ward nicht ge&#x017F;tört, und man wartete, ohne irgend einen Schritt<lb/>
zu thun, bis zur Eröffnung des Tribunals im Mai 1750. (?)<lb/>
Dies bewei&#x017F;t einer&#x017F;eits, wie gut die&#x017F;e Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft i&#x017F;t, und zum<lb/>
andern, daß, &#x017F;o lange ein Volk, wie die Engländer &#x017F;agen, nicht<lb/>
reif für eine Revolution i&#x017F;t, die&#x017F;e auch trotz der wunderbar&#x017F;ten<lb/>
Ereigni&#x017F;&#x017F;e nicht möglich i&#x017F;t.&#x201C;</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[234/0248] Befehl zum Blutvergießen zu geben. Sie ſchrieen vielmehr, daß man die Säbel einſtecke, und forderten kurz darauf meinen Bru- der zu einer Conferenz in der Sakriſtei auf. Das Ergebniß derſelben war, daß aus Mangel einer hinreichenden Anzahl rechts- gültig gewählter Deputirten das Tribunal nicht eröffnet werden konnte. Mein Bruder ſagte ihnen: ‚Ihr werdet das zu verant- worten haben.‘ Es wurde ein Manifeſt beim Grod eingereicht, welches die Urſachen nachwies, woher das Tribunal nicht eröffnet worden ſei. Wir gingen alle zur Kaſtellanin von Kaminiec, welche, für eine Frau ſehr unpaſſend, die ganze Scene in der Kirche von der Tribüne der Orgel mit angeſehen hatte, und jetzt mit einem halben Dutzend ſchöner Nichten und Dienerinnen beſchäftigt war, den Partheigängern ihres Bruders die Humpen mit Ungarwein zu füllen. Sie nahm uns mit der größten Artig- keit auf, wiederholte aber nach links und nach rechts halblaut, es ſei doch ſehr ſchade, daß die Arbeit nicht zu Ende ge- bracht ſei. „Am folgenden Morgen verließen alle Petrikau in banger Er- wartung der Folgen, welche es nach ſich ziehen würde, daß Polen zum erſtenmal auf ein ganzes Jahr kein höchſtes Tribunal hatte. Aber es ereignete ſich nichts Ungewöhnliches; die öffentliche Ruhe ward nicht geſtört, und man wartete, ohne irgend einen Schritt zu thun, bis zur Eröffnung des Tribunals im Mai 1750. (?) Dies beweiſt einerſeits, wie gut dieſe Geſellſchaft iſt, und zum andern, daß, ſo lange ein Volk, wie die Engländer ſagen, nicht reif für eine Revolution iſt, dieſe auch trotz der wunderbarſten Ereigniſſe nicht möglich iſt.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876/248
Zitationshilfe: Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876/248>, abgerufen am 23.11.2024.