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Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876.

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Zeit zahlreiche Kirchen und Klöster, stattete sie mit reichen
Gütern aus, zierte sie mit kostbarem Schmuck, ließ aber seine
Unterthanen in der trostlosesten Lage verkommen und behan-
delte sie mit einer Willkühr, Härte und Grausamkeit, welche
in ihrer Herzlosigkeit "jedes christlichen Gefühls entbehrte, und
die gerechte Strafe des Himmels über sie herbeirief" 1). Das
Leben aber, welches dieser Adel selbst im Durchschnitt führte,
schildert, wie Polen selbst versichern, treffend das Sprüchwort:
"Unter dem sächsischen König aßen sie, tranken sie und machten
sich den Leibgürtel weiter" ("Za krola Sasa jedli pili, popus-
zali pasa"
). Es mag immerhin sein, daß das prunkvolle und
verschwenderische, genußreiche und ausschweifende Leben Augusts II.
und seines Hofes als böses Beispiel verderblich auf die Sitten
der Nation wirkte: die Hauptquelle ihrer Entsittlichung lag
jedenfalls daran, daß sie alle und jede höhere und edlere Auf-
gaben und Ziele des Lebens aus den Augen verlor, und in
Folge hiervon während eines langjährigen Friedens nach
außen einem allgemeinen Hange zum Müßiggange -- le-
nistwo
2) -- und einem Genußleben anheimfiel, welches sie
rasch zu jeder ernsten Arbeit und Anstrengung unfähig machte.
"Die ganze Fülle von üppiger Kraft, das aufbrausende, stür-
mische Element, welches in der Natur dieses Adels lag und
früher im Kriege und auf den Reichstagen Gelegenheit gehabt
hatte, sich auszuzeichnen, wurden jetzt in jubelnden Lustbarkeiten
und Saufereien daheim oder auf den Land- und Gerichtstagen
vergeudet. Die größten Säufer und Raufbolde wurden be-
rühmt, wie früher Helden des Krieges oder Redner des Reichs-
tages. Man pries riesenhafte Humpen und erzählte sich weit
und breit von den Helden, welche in einem Zuge sie aus-
tranken. Das ganze Jahr verfloß in dem seligen Genuß un-
aufhörlich aufeinander folgender Festlichkeiten, zu welchen der

"Auch der Klerus trägt seinen Theil an der allgemeinen Schuld, insofern
als er keiner der nationalen Schwächen und Fehler entgegentrat, sondern
fast alle, sowohl im Privat- wie im öffentlichen Leben selbst theilte."
1) Worte Garczynski's in der oben S. 13 angeführten Schrift.
2) Ausdruck Garczynski's in der angeführten Schrift.

Zeit zahlreiche Kirchen und Klöſter, ſtattete ſie mit reichen
Gütern aus, zierte ſie mit koſtbarem Schmuck, ließ aber ſeine
Unterthanen in der troſtloſeſten Lage verkommen und behan-
delte ſie mit einer Willkühr, Härte und Grauſamkeit, welche
in ihrer Herzloſigkeit „jedes chriſtlichen Gefühls entbehrte, und
die gerechte Strafe des Himmels über ſie herbeirief“ 1). Das
Leben aber, welches dieſer Adel ſelbſt im Durchſchnitt führte,
ſchildert, wie Polen ſelbſt verſichern, treffend das Sprüchwort:
„Unter dem ſächſiſchen König aßen ſie, tranken ſie und machten
ſich den Leibgürtel weiter“ („Za króla Sasa jedli pili, popus-
zali pasa“
). Es mag immerhin ſein, daß das prunkvolle und
verſchwenderiſche, genußreiche und ausſchweifende Leben Auguſts II.
und ſeines Hofes als böſes Beiſpiel verderblich auf die Sitten
der Nation wirkte: die Hauptquelle ihrer Entſittlichung lag
jedenfalls daran, daß ſie alle und jede höhere und edlere Auf-
gaben und Ziele des Lebens aus den Augen verlor, und in
Folge hiervon während eines langjährigen Friedens nach
außen einem allgemeinen Hange zum Müßiggange — le-
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2) — und einem Genußleben anheimfiel, welches ſie
raſch zu jeder ernſten Arbeit und Anſtrengung unfähig machte.
„Die ganze Fülle von üppiger Kraft, das aufbrauſende, ſtür-
miſche Element, welches in der Natur dieſes Adels lag und
früher im Kriege und auf den Reichstagen Gelegenheit gehabt
hatte, ſich auszuzeichnen, wurden jetzt in jubelnden Luſtbarkeiten
und Saufereien daheim oder auf den Land- und Gerichtstagen
vergeudet. Die größten Säufer und Raufbolde wurden be-
rühmt, wie früher Helden des Krieges oder Redner des Reichs-
tages. Man pries rieſenhafte Humpen und erzählte ſich weit
und breit von den Helden, welche in einem Zuge ſie aus-
tranken. Das ganze Jahr verfloß in dem ſeligen Genuß un-
aufhörlich aufeinander folgender Feſtlichkeiten, zu welchen der

„Auch der Klerus trägt ſeinen Theil an der allgemeinen Schuld, inſofern
als er keiner der nationalen Schwächen und Fehler entgegentrat, ſondern
faſt alle, ſowohl im Privat- wie im öffentlichen Leben ſelbſt theilte.“
1) Worte Garczynski’s in der oben S. 13 angeführten Schrift.
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[14/0028] Zeit zahlreiche Kirchen und Klöſter, ſtattete ſie mit reichen Gütern aus, zierte ſie mit koſtbarem Schmuck, ließ aber ſeine Unterthanen in der troſtloſeſten Lage verkommen und behan- delte ſie mit einer Willkühr, Härte und Grauſamkeit, welche in ihrer Herzloſigkeit „jedes chriſtlichen Gefühls entbehrte, und die gerechte Strafe des Himmels über ſie herbeirief“ 1). Das Leben aber, welches dieſer Adel ſelbſt im Durchſchnitt führte, ſchildert, wie Polen ſelbſt verſichern, treffend das Sprüchwort: „Unter dem ſächſiſchen König aßen ſie, tranken ſie und machten ſich den Leibgürtel weiter“ („Za króla Sasa jedli pili, popus- zali pasa“). Es mag immerhin ſein, daß das prunkvolle und verſchwenderiſche, genußreiche und ausſchweifende Leben Auguſts II. und ſeines Hofes als böſes Beiſpiel verderblich auf die Sitten der Nation wirkte: die Hauptquelle ihrer Entſittlichung lag jedenfalls daran, daß ſie alle und jede höhere und edlere Auf- gaben und Ziele des Lebens aus den Augen verlor, und in Folge hiervon während eines langjährigen Friedens nach außen einem allgemeinen Hange zum Müßiggange — le- nistwo 2) — und einem Genußleben anheimfiel, welches ſie raſch zu jeder ernſten Arbeit und Anſtrengung unfähig machte. „Die ganze Fülle von üppiger Kraft, das aufbrauſende, ſtür- miſche Element, welches in der Natur dieſes Adels lag und früher im Kriege und auf den Reichstagen Gelegenheit gehabt hatte, ſich auszuzeichnen, wurden jetzt in jubelnden Luſtbarkeiten und Saufereien daheim oder auf den Land- und Gerichtstagen vergeudet. Die größten Säufer und Raufbolde wurden be- rühmt, wie früher Helden des Krieges oder Redner des Reichs- tages. Man pries rieſenhafte Humpen und erzählte ſich weit und breit von den Helden, welche in einem Zuge ſie aus- tranken. Das ganze Jahr verfloß in dem ſeligen Genuß un- aufhörlich aufeinander folgender Feſtlichkeiten, zu welchen der 1) 1) Worte Garczynski’s in der oben S. 13 angeführten Schrift. 2) Ausdruck Garczynski’s in der angeführten Schrift. 1) „Auch der Klerus trägt ſeinen Theil an der allgemeinen Schuld, inſofern als er keiner der nationalen Schwächen und Fehler entgegentrat, ſondern faſt alle, ſowohl im Privat- wie im öffentlichen Leben ſelbſt theilte.“

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Zitationshilfe: Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876/28>, abgerufen am 23.11.2024.