staatlichen Organismus herrühre, gelangt zu dem Schluß, es sei daher für Polen kein Heil zu hoffen, sofern die Nation nicht entweder die reine Monarchie oder die reine Republik herstelle. Zwar erkennt er an, daß die Monarchie die beste Staatsform, zumal in der Gegenwart, sei; aber er entscheidet sich doch für die reine Republik, weil für jeden Staat diejenige Regierungsform die beste sei, welche die dem Genius der Nation angemessenste wäre, und dies sei für die Polen ihrem Character und ihrer Geschichte gemäß die Republik.
Das Königthum so gut wie völlig zu beseitigen, den Einfluß und die Macht der Aristokratie zu brechen und der Masse des Adels die unbestrittene Herrschaft in die Hand zu geben: auf dieses Ziel gehen alle seine Vorschläge zur Reform schließlich hinaus, wenn er auch einsichtig genug ist, zugleich Mittel und Wege anzugeben, geeignet, das Umschlagen der Demokratie in eine Ochlokratie zu verhindern.
Von solchem Radicalismus ist Leszczynski -- welchem Kar- wicki's Schrift offenbar bekannt war -- weit entfernt. Er findet den Grund aller Übel nicht in der Unmöglichkeit des Nebeneinanderbestehens von "Majestät und Freiheit", sondern darin, daß sie beide in Polen nicht in das richtige Gleichgewicht gebracht wären. Ihm schwebt im gewissen Sinne die Ver- fassung Englands als Ideal vor. Da er aber seine Schrift während des Interregnums nach dem Tode August II. als Wahl- manifest herausgab, um die Polen für seine Wahl zu gewinnen, vermeidet er es sichtlich durch seine Reformvorschläge ihrem Freiheitsbegriff und Freiheitssinn etwa zu schroff entgegenzu- treten. Immer aber ist sein letztes Ziel nicht nur die Krone, sondern auch die Freiheit des Adels in feste Schranken einzu- schließen, und hiedurch beide in das richtige Gleichgewicht zu einander zu setzen. Allerdings sind seine Rathschläge sowohl wie die Karwicki's ab und zu nicht frei von einem abstract- theoretischen, zur politischen Künstelei neigendem Zuge; allein im Großen und Ganzen schließen sie sich soweit als irgend möglich an die bestehenden Einrichtungen und Zustände an.
Trotzdem aber haben all' diese Schriften auf die Nation
ſtaatlichen Organismus herrühre, gelangt zu dem Schluß, es ſei daher für Polen kein Heil zu hoffen, ſofern die Nation nicht entweder die reine Monarchie oder die reine Republik herſtelle. Zwar erkennt er an, daß die Monarchie die beſte Staatsform, zumal in der Gegenwart, ſei; aber er entſcheidet ſich doch für die reine Republik, weil für jeden Staat diejenige Regierungsform die beſte ſei, welche die dem Genius der Nation angemeſſenſte wäre, und dies ſei für die Polen ihrem Character und ihrer Geſchichte gemäß die Republik.
Das Königthum ſo gut wie völlig zu beſeitigen, den Einfluß und die Macht der Ariſtokratie zu brechen und der Maſſe des Adels die unbeſtrittene Herrſchaft in die Hand zu geben: auf dieſes Ziel gehen alle ſeine Vorſchläge zur Reform ſchließlich hinaus, wenn er auch einſichtig genug iſt, zugleich Mittel und Wege anzugeben, geeignet, das Umſchlagen der Demokratie in eine Ochlokratie zu verhindern.
Von ſolchem Radicalismus iſt Leszczynski — welchem Kar- wicki’s Schrift offenbar bekannt war — weit entfernt. Er findet den Grund aller Übel nicht in der Unmöglichkeit des Nebeneinanderbeſtehens von „Majeſtät und Freiheit“, ſondern darin, daß ſie beide in Polen nicht in das richtige Gleichgewicht gebracht wären. Ihm ſchwebt im gewiſſen Sinne die Ver- faſſung Englands als Ideal vor. Da er aber ſeine Schrift während des Interregnums nach dem Tode Auguſt II. als Wahl- manifeſt herausgab, um die Polen für ſeine Wahl zu gewinnen, vermeidet er es ſichtlich durch ſeine Reformvorſchläge ihrem Freiheitsbegriff und Freiheitsſinn etwa zu ſchroff entgegenzu- treten. Immer aber iſt ſein letztes Ziel nicht nur die Krone, ſondern auch die Freiheit des Adels in feſte Schranken einzu- ſchließen, und hiedurch beide in das richtige Gleichgewicht zu einander zu ſetzen. Allerdings ſind ſeine Rathſchläge ſowohl wie die Karwicki’s ab und zu nicht frei von einem abſtract- theoretiſchen, zur politiſchen Künſtelei neigendem Zuge; allein im Großen und Ganzen ſchließen ſie ſich ſoweit als irgend möglich an die beſtehenden Einrichtungen und Zuſtände an.
Trotzdem aber haben all’ dieſe Schriften auf die Nation
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ſtaatlichen Organismus herrühre, gelangt zu dem Schluß, es
ſei daher für Polen kein Heil zu hoffen, ſofern die Nation
nicht entweder die reine Monarchie oder die reine Republik
herſtelle. Zwar erkennt er an, daß die Monarchie die beſte
Staatsform, zumal in der Gegenwart, ſei; aber er entſcheidet
ſich doch für die reine Republik, weil für jeden Staat diejenige
Regierungsform die beſte ſei, welche die dem Genius der Nation
angemeſſenſte wäre, und dies ſei für die Polen ihrem Character
und ihrer Geſchichte gemäß die Republik.
Das Königthum ſo gut wie völlig zu beſeitigen, den
Einfluß und die Macht der Ariſtokratie zu brechen und der
Maſſe des Adels die unbeſtrittene Herrſchaft in die Hand zu
geben: auf dieſes Ziel gehen alle ſeine Vorſchläge zur Reform
ſchließlich hinaus, wenn er auch einſichtig genug iſt, zugleich
Mittel und Wege anzugeben, geeignet, das Umſchlagen der
Demokratie in eine Ochlokratie zu verhindern.
Von ſolchem Radicalismus iſt Leszczynski — welchem Kar-
wicki’s Schrift offenbar bekannt war — weit entfernt. Er
findet den Grund aller Übel nicht in der Unmöglichkeit des
Nebeneinanderbeſtehens von „Majeſtät und Freiheit“, ſondern
darin, daß ſie beide in Polen nicht in das richtige Gleichgewicht
gebracht wären. Ihm ſchwebt im gewiſſen Sinne die Ver-
faſſung Englands als Ideal vor. Da er aber ſeine Schrift
während des Interregnums nach dem Tode Auguſt II. als Wahl-
manifeſt herausgab, um die Polen für ſeine Wahl zu gewinnen,
vermeidet er es ſichtlich durch ſeine Reformvorſchläge ihrem
Freiheitsbegriff und Freiheitsſinn etwa zu ſchroff entgegenzu-
treten. Immer aber iſt ſein letztes Ziel nicht nur die Krone,
ſondern auch die Freiheit des Adels in feſte Schranken einzu-
ſchließen, und hiedurch beide in das richtige Gleichgewicht zu
einander zu ſetzen. Allerdings ſind ſeine Rathſchläge ſowohl
wie die Karwicki’s ab und zu nicht frei von einem abſtract-
theoretiſchen, zur politiſchen Künſtelei neigendem Zuge; allein
im Großen und Ganzen ſchließen ſie ſich ſoweit als irgend
möglich an die beſtehenden Einrichtungen und Zuſtände an.
Trotzdem aber haben all’ dieſe Schriften auf die Nation
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Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876/42>, abgerufen am 16.07.2024.
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