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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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der Dichtung früh ergriffen und in den weiten Zusammenhang
der Heldenabenteuer fest eingefügt sind. Aber alle Berichte
(deren älteste Wurzeln vielleicht noch in der "Telegonie" lagen)
laufen darauf hinaus, dass auch Trophonios, wie Amphiaraos,
einst ein Mensch gewesen sei, ein berühmter Baumeister, der,
vor seinen Feinden fliehend, bei Lebadea in die Erde geschlüpft
sei, und nun in der Tiefe ewig lebe, denen, die ihn zu befragen
hinabfahren, die Zukunft verkündigend 1).

Diese Sagen wissen also von Menschen zu berichten, die
lebend von der Erde verschlungen sind, und dort, wo sie in die
Tiefe eingefahren sind, an ganz bestimmten Stellen griechischen
Landes, unsterblich weiterleben.

Es fehlt nicht völlig an anderen Sagen ähnlichen Inhalts.
Einer der wilden Recken des Lapithenvolkes in Thessalien,
Kaineus, von Poseidon, der ihn einst aus einem Weibe in
einen Mann verwandelt hatte, unverwundbar gemacht, wurde
von den Kentauren im Kampfe mit Baumstämmen zugedeckt;
unverwundet spaltet er "mit geradem Fusse" (d. h. aufrecht
stehend, lebend, nicht hingestreckt wie ein Todter oder Tod-
wunder) die Erde und fährt lebendig in die Tiefe 2). -- Auf
Rhodos verehrte man den Althaimenes als "Gründer" der

1) S. Anhang 11.
2) Pindar fr. 167. Apoll. Rhod. 1, 57--64 (zoos per eti ... eduseto
neiothi gaies). Orph. Argon. 171--175 (phasin -- zoont en phthimenoisi mo-
lein upo keuthesi gaies). Agatharchid. de m. r. p. 114, 39--43 (eis ten gen
katadunai, orthon te kai zonta). Schol. und Eustath. Il. A 264. -- Bei
Ovid. met. 12, 514 ff. wird aus der Entrückung eine Verwandlung
(in einen Vogel): so ist oft an Stelle einer alten Entrückungssage eine
Metamorphose in späterer Sagenbildung getreten. -- Die zusammen-
hängende Sage von Kaineus ist verloren, nur einige Bruchstücke bei
Schol. Ap. Rh. 1, 57; Schol. Il. A 264 (am bekanntesten die Geschlechts-
verwandlung [vgl. auch Meineke, h. crit. com. 345], deren Sinn unklar
ist. Aehnliche Geschichten von Tiresias, von Sithon [Ovid. met. 4, 280],
von Iphis und Ianthe, diese auffallend an eine Erzählung des Mahab-
harata erinnernd. Dann oft in Mirakelerzählungen, heidnischen und
christlichen, denen man gewiss zu viel Ehre anthut, wenn man dunkle
Erinnerungen an mannweibliche Gottheiten unter ihrer Hülle sucht).
Von Cult des Kaineus fehlt jede Spur.

der Dichtung früh ergriffen und in den weiten Zusammenhang
der Heldenabenteuer fest eingefügt sind. Aber alle Berichte
(deren älteste Wurzeln vielleicht noch in der „Telegonie“ lagen)
laufen darauf hinaus, dass auch Trophonios, wie Amphiaraos,
einst ein Mensch gewesen sei, ein berühmter Baumeister, der,
vor seinen Feinden fliehend, bei Lebadea in die Erde geschlüpft
sei, und nun in der Tiefe ewig lebe, denen, die ihn zu befragen
hinabfahren, die Zukunft verkündigend 1).

Diese Sagen wissen also von Menschen zu berichten, die
lebend von der Erde verschlungen sind, und dort, wo sie in die
Tiefe eingefahren sind, an ganz bestimmten Stellen griechischen
Landes, unsterblich weiterleben.

Es fehlt nicht völlig an anderen Sagen ähnlichen Inhalts.
Einer der wilden Recken des Lapithenvolkes in Thessalien,
Kaineus, von Poseidon, der ihn einst aus einem Weibe in
einen Mann verwandelt hatte, unverwundbar gemacht, wurde
von den Kentauren im Kampfe mit Baumstämmen zugedeckt;
unverwundet spaltet er „mit geradem Fusse“ (d. h. aufrecht
stehend, lebend, nicht hingestreckt wie ein Todter oder Tod-
wunder) die Erde und fährt lebendig in die Tiefe 2). — Auf
Rhodos verehrte man den Althaimenes als „Gründer“ der

1) S. Anhang 11.
2) Pindar fr. 167. Apoll. Rhod. 1, 57—64 (ζωός περ ἔτι … ὲδύσετο
νειόϑι γαίης). Orph. Argon. 171—175 (φασὶν — ζωόντ̕ ἐν φϑιμένοισι μο-
λεῖν ὑπὸ κεύϑεσι γαίης). Agatharchid. de m. r. p. 114, 39—43 (εἰς τὴν γῆν
καταδῦναι, ὀρϑόν τε καὶ ζῶντα). Schol. und Eustath. Il. A 264. — Bei
Ovid. met. 12, 514 ff. wird aus der Entrückung eine Verwandlung
(in einen Vogel): so ist oft an Stelle einer alten Entrückungssage eine
Metamorphose in späterer Sagenbildung getreten. — Die zusammen-
hängende Sage von Kaineus ist verloren, nur einige Bruchstücke bei
Schol. Ap. Rh. 1, 57; Schol. Il. A 264 (am bekanntesten die Geschlechts-
verwandlung [vgl. auch Meineke, h. crit. com. 345], deren Sinn unklar
ist. Aehnliche Geschichten von Tiresias, von Sithon [Ovid. met. 4, 280],
von Iphis und Ianthe, diese auffallend an eine Erzählung des Mahâb-
hârata erinnernd. Dann oft in Mirakelerzählungen, heidnischen und
christlichen, denen man gewiss zu viel Ehre anthut, wenn man dunkle
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Von Cult des Kaineus fehlt jede Spur.
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[108/0124] der Dichtung früh ergriffen und in den weiten Zusammenhang der Heldenabenteuer fest eingefügt sind. Aber alle Berichte (deren älteste Wurzeln vielleicht noch in der „Telegonie“ lagen) laufen darauf hinaus, dass auch Trophonios, wie Amphiaraos, einst ein Mensch gewesen sei, ein berühmter Baumeister, der, vor seinen Feinden fliehend, bei Lebadea in die Erde geschlüpft sei, und nun in der Tiefe ewig lebe, denen, die ihn zu befragen hinabfahren, die Zukunft verkündigend 1). Diese Sagen wissen also von Menschen zu berichten, die lebend von der Erde verschlungen sind, und dort, wo sie in die Tiefe eingefahren sind, an ganz bestimmten Stellen griechischen Landes, unsterblich weiterleben. Es fehlt nicht völlig an anderen Sagen ähnlichen Inhalts. Einer der wilden Recken des Lapithenvolkes in Thessalien, Kaineus, von Poseidon, der ihn einst aus einem Weibe in einen Mann verwandelt hatte, unverwundbar gemacht, wurde von den Kentauren im Kampfe mit Baumstämmen zugedeckt; unverwundet spaltet er „mit geradem Fusse“ (d. h. aufrecht stehend, lebend, nicht hingestreckt wie ein Todter oder Tod- wunder) die Erde und fährt lebendig in die Tiefe 2). — Auf Rhodos verehrte man den Althaimenes als „Gründer“ der 1) S. Anhang 11. 2) Pindar fr. 167. Apoll. Rhod. 1, 57—64 (ζωός περ ἔτι … ὲδύσετο νειόϑι γαίης). Orph. Argon. 171—175 (φασὶν — ζωόντ̕ ἐν φϑιμένοισι μο- λεῖν ὑπὸ κεύϑεσι γαίης). Agatharchid. de m. r. p. 114, 39—43 (εἰς τὴν γῆν καταδῦναι, ὀρϑόν τε καὶ ζῶντα). Schol. und Eustath. Il. A 264. — Bei Ovid. met. 12, 514 ff. wird aus der Entrückung eine Verwandlung (in einen Vogel): so ist oft an Stelle einer alten Entrückungssage eine Metamorphose in späterer Sagenbildung getreten. — Die zusammen- hängende Sage von Kaineus ist verloren, nur einige Bruchstücke bei Schol. Ap. Rh. 1, 57; Schol. Il. A 264 (am bekanntesten die Geschlechts- verwandlung [vgl. auch Meineke, h. crit. com. 345], deren Sinn unklar ist. Aehnliche Geschichten von Tiresias, von Sithon [Ovid. met. 4, 280], von Iphis und Ianthe, diese auffallend an eine Erzählung des Mahâb- hârata erinnernd. Dann oft in Mirakelerzählungen, heidnischen und christlichen, denen man gewiss zu viel Ehre anthut, wenn man dunkle Erinnerungen an mannweibliche Gottheiten unter ihrer Hülle sucht). Von Cult des Kaineus fehlt jede Spur.

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/124>, abgerufen am 21.11.2024.