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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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Schafen und Stieren ehren 1). Offenbar ist hier Erechtheus
als fortlebend gedacht: Todte durch solche, alljährlich wieder-
holte, von der ganzen Stadtgemeinde dargebrachte Opfer zu
ehren, ist ein den homerischen Gedichten völlig unbekannter
Gebrauch. Erechtheus ist also gedacht als lebendig hausend
in dem Tempel, in welchem Athene ihn niedergesetzt hat,
d. h. in dem alten Heiligthum der Akropolis, welches einge-
schlossen war in dem "festen Hause des Erechtheus", nach
welchem die Odyssee (7, 81) die Athene als nach ihrer Be-
hausung sich begeben lässt. Herrschersitz und Heiligthum der
Göttin waren vereinigt in der alten Königsburg, deren Grund-
mauern man kürzlich aufgefunden hat an der Stelle, an der
später im "Erechtheion" Athene und Erechtheus gemeinsame
Ehre genossen 2). Erechtheus wohnt in der Tiefe, in einer
Krypta jenes Tempels 3), gleich anderen Erdgeistern in Schlangen-
gestalt, ewig lebendig; er ist nicht todt, sondern, wie noch
Euripides, bei sonst anders gewendeter Sage, berichtet, "ein
Erdspalt verbirgt ihn" 4), d. h. er lebt als in die Erdtiefe
Entrückter weiter. Die Verwandlung eines alten, von jeher
in einer Höhle des Burgfelsens hausend gedachten Localgottes 5)
in den dorthin, zu ewigem Leben, erst versetzten Heros liegt,
nach den bisher betrachteten Analogien, deutlich genug vor
Augen. Der Heroenglaube späterer Zeit suchte an der Stelle,

1) Dass das min v. 550 sich auf Erechtheus bezieht, nicht auf Athene,
lehrt der Zusammenhang; Schol. B. L. bestätigen es noch ausdrücklich;
an Athene kann bei den Opfern von Stieren und Schafen nicht gedacht
werden, denn thelea te Athena thuousin. In der That opferte man der
Athene Kühe, nicht Stiere: vgl. P. Stengel, quaest. sacrific. (Berl. 1879),
p. 4. 5.
2) S. Wachsmuth, Ber. d. sächs. Ges. d. Wiss. 1887, p. 399 ff.
3) So war an dem Tempel des Palaemon auf dem Isthmus ein
Aduton kaloumenon, kathodos de es auto upogeos, entha de ton Palaimona
kekruphthai (also nicht todt und begraben) phasin. Pausan. 2, 2, 1.
4) khasma kruptei khthonos Eurip. Ion. 292. -- Erechtheus ab Jove Nep-
tuni rogatu fulmine est ictus.
, Hygin. fab. 46. Das ist nur eine andere
Art der Entrückung.
5) Ueber den Zusammenhang des Erechtheus mit Poseidon ist hier
nicht zu reden.

Schafen und Stieren ehren 1). Offenbar ist hier Erechtheus
als fortlebend gedacht: Todte durch solche, alljährlich wieder-
holte, von der ganzen Stadtgemeinde dargebrachte Opfer zu
ehren, ist ein den homerischen Gedichten völlig unbekannter
Gebrauch. Erechtheus ist also gedacht als lebendig hausend
in dem Tempel, in welchem Athene ihn niedergesetzt hat,
d. h. in dem alten Heiligthum der Akropolis, welches einge-
schlossen war in dem „festen Hause des Erechtheus“, nach
welchem die Odyssee (7, 81) die Athene als nach ihrer Be-
hausung sich begeben lässt. Herrschersitz und Heiligthum der
Göttin waren vereinigt in der alten Königsburg, deren Grund-
mauern man kürzlich aufgefunden hat an der Stelle, an der
später im „Erechtheion“ Athene und Erechtheus gemeinsame
Ehre genossen 2). Erechtheus wohnt in der Tiefe, in einer
Krypta jenes Tempels 3), gleich anderen Erdgeistern in Schlangen-
gestalt, ewig lebendig; er ist nicht todt, sondern, wie noch
Euripides, bei sonst anders gewendeter Sage, berichtet, „ein
Erdspalt verbirgt ihn“ 4), d. h. er lebt als in die Erdtiefe
Entrückter weiter. Die Verwandlung eines alten, von jeher
in einer Höhle des Burgfelsens hausend gedachten Localgottes 5)
in den dorthin, zu ewigem Leben, erst versetzten Heros liegt,
nach den bisher betrachteten Analogien, deutlich genug vor
Augen. Der Heroenglaube späterer Zeit suchte an der Stelle,

1) Dass das μίν v. 550 sich auf Erechtheus bezieht, nicht auf Athene,
lehrt der Zusammenhang; Schol. B. L. bestätigen es noch ausdrücklich;
an Athene kann bei den Opfern von Stieren und Schafen nicht gedacht
werden, denn ϑήλεα τῇ Ἀϑηνᾷ ϑύουσιν. In der That opferte man der
Athene Kühe, nicht Stiere: vgl. P. Stengel, quaest. sacrific. (Berl. 1879),
p. 4. 5.
2) S. Wachsmuth, Ber. d. sächs. Ges. d. Wiss. 1887, p. 399 ff.
3) So war an dem Tempel des Palaemon auf dem Isthmus ein
Ἄδυτον καλούμενον, κάϑοδος δὲ ἐς αὐτὸ ὐπόγεως, ἔνϑα δὴ τὸν Παλαίμονα
κεκρύφϑαι (also nicht todt und begraben) φασίν. Pausan. 2, 2, 1.
4) χάσμα κρύπτει χϑονός Eurip. Ion. 292. — Erechtheus ab Jove Nep-
tuni rogatu fulmine est ictus.
, Hygin. fab. 46. Das ist nur eine andere
Art der Entrückung.
5) Ueber den Zusammenhang des Erechtheus mit Poseidon ist hier
nicht zu reden.
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[127/0143] Schafen und Stieren ehren 1). Offenbar ist hier Erechtheus als fortlebend gedacht: Todte durch solche, alljährlich wieder- holte, von der ganzen Stadtgemeinde dargebrachte Opfer zu ehren, ist ein den homerischen Gedichten völlig unbekannter Gebrauch. Erechtheus ist also gedacht als lebendig hausend in dem Tempel, in welchem Athene ihn niedergesetzt hat, d. h. in dem alten Heiligthum der Akropolis, welches einge- schlossen war in dem „festen Hause des Erechtheus“, nach welchem die Odyssee (7, 81) die Athene als nach ihrer Be- hausung sich begeben lässt. Herrschersitz und Heiligthum der Göttin waren vereinigt in der alten Königsburg, deren Grund- mauern man kürzlich aufgefunden hat an der Stelle, an der später im „Erechtheion“ Athene und Erechtheus gemeinsame Ehre genossen 2). Erechtheus wohnt in der Tiefe, in einer Krypta jenes Tempels 3), gleich anderen Erdgeistern in Schlangen- gestalt, ewig lebendig; er ist nicht todt, sondern, wie noch Euripides, bei sonst anders gewendeter Sage, berichtet, „ein Erdspalt verbirgt ihn“ 4), d. h. er lebt als in die Erdtiefe Entrückter weiter. Die Verwandlung eines alten, von jeher in einer Höhle des Burgfelsens hausend gedachten Localgottes 5) in den dorthin, zu ewigem Leben, erst versetzten Heros liegt, nach den bisher betrachteten Analogien, deutlich genug vor Augen. Der Heroenglaube späterer Zeit suchte an der Stelle, 1) Dass das μίν v. 550 sich auf Erechtheus bezieht, nicht auf Athene, lehrt der Zusammenhang; Schol. B. L. bestätigen es noch ausdrücklich; an Athene kann bei den Opfern von Stieren und Schafen nicht gedacht werden, denn ϑήλεα τῇ Ἀϑηνᾷ ϑύουσιν. In der That opferte man der Athene Kühe, nicht Stiere: vgl. P. Stengel, quaest. sacrific. (Berl. 1879), p. 4. 5. 2) S. Wachsmuth, Ber. d. sächs. Ges. d. Wiss. 1887, p. 399 ff. 3) So war an dem Tempel des Palaemon auf dem Isthmus ein Ἄδυτον καλούμενον, κάϑοδος δὲ ἐς αὐτὸ ὐπόγεως, ἔνϑα δὴ τὸν Παλαίμονα κεκρύφϑαι (also nicht todt und begraben) φασίν. Pausan. 2, 2, 1. 4) χάσμα κρύπτει χϑονός Eurip. Ion. 292. — Erechtheus ab Jove Nep- tuni rogatu fulmine est ictus., Hygin. fab. 46. Das ist nur eine andere Art der Entrückung. 5) Ueber den Zusammenhang des Erechtheus mit Poseidon ist hier nicht zu reden.

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/143>, abgerufen am 21.11.2024.