Bedeutung sich wieder erhob, das können wir nicht sagen. Eine eigentliche, den Grund und Gang dieses wichtigen Processes im griechischen Religionsleben nachweisende Erklä- rung ist uns unmöglich. Wir kennen weder Zeit noch Ort des ersten stärkeren Hervortretens des neu belebten alten Cultus, nicht die Art und den Weg seiner Ausbreitung in jener dunklen Zeit des 8. und 7. Jahrhunderts. Wir können aber wenig- stens die Thatsache der Neubelebung des Ahnencultes in Eine Reihe stellen mit anderen Thatsachen, die uns lehren, dass in jenen Zeiten aus der Tiefe des Volksglaubens und eines nie völlig verdrängten alten Götterdienstes manche bis dahin verborgene oder verdunkelte Vorstellung über Götter- und Menschenloos die herrschenden homerischen Anschauungen zwar nicht verdrängte -- denn das ist nie geschehen -- aber doch ihnen sich an die Seite stellte. Jene grosse Bewegung, von der im nächsten Abschnitt einiges zu sagen ist, trug auch den Heroenglauben empor. Mancherlei begünstigende Umstände mögen im Besonderen diesen Glauben neu gestärkt haben. Das Epos selbst war wenigstens an Einem Puncte nahe an die im Heroenglauben neu auflebenden Vorstellungen heran gekommen. Die Herabziehung vieler, durch die grossen Gottheiten des allgemein hellenischen Glaubens verdunkelten Localgötter in Menschenthum und heroische Abenteuer hatte in einigen Fällen, in Folge einer Art Compromisses mit dem localen Cult solcher Götter, die Dichtersage zur Erschaffung eigenthümlicher Ge- stalten geführt, in denen Mensch und Gott wunderbar gemischt war: einst Menschen unter Menschen sollten nun, nach ihrem Abscheiden, diese alten Helden und Seher ewig leben und wirken, wie die Götter. Man sieht wohl die grosse Aehnlich- keit solcher Gestalten wie Amphiaraos und Trophonios mit den Heroen des späteren Glaubens; in der That werden beide, wo sie nicht Götter heissen, vielfach zu diesen Heroen gerechnet. Und so mag noch manche der, von den Dichtern herab in's Menschliche gezogenen alten Göttergestalten später in der Schaar der "Heroen" eine Stelle gefunden haben. Aber man
Bedeutung sich wieder erhob, das können wir nicht sagen. Eine eigentliche, den Grund und Gang dieses wichtigen Processes im griechischen Religionsleben nachweisende Erklä- rung ist uns unmöglich. Wir kennen weder Zeit noch Ort des ersten stärkeren Hervortretens des neu belebten alten Cultus, nicht die Art und den Weg seiner Ausbreitung in jener dunklen Zeit des 8. und 7. Jahrhunderts. Wir können aber wenig- stens die Thatsache der Neubelebung des Ahnencultes in Eine Reihe stellen mit anderen Thatsachen, die uns lehren, dass in jenen Zeiten aus der Tiefe des Volksglaubens und eines nie völlig verdrängten alten Götterdienstes manche bis dahin verborgene oder verdunkelte Vorstellung über Götter- und Menschenloos die herrschenden homerischen Anschauungen zwar nicht verdrängte — denn das ist nie geschehen — aber doch ihnen sich an die Seite stellte. Jene grosse Bewegung, von der im nächsten Abschnitt einiges zu sagen ist, trug auch den Heroenglauben empor. Mancherlei begünstigende Umstände mögen im Besonderen diesen Glauben neu gestärkt haben. Das Epos selbst war wenigstens an Einem Puncte nahe an die im Heroenglauben neu auflebenden Vorstellungen heran gekommen. Die Herabziehung vieler, durch die grossen Gottheiten des allgemein hellenischen Glaubens verdunkelten Localgötter in Menschenthum und heroische Abenteuer hatte in einigen Fällen, in Folge einer Art Compromisses mit dem localen Cult solcher Götter, die Dichtersage zur Erschaffung eigenthümlicher Ge- stalten geführt, in denen Mensch und Gott wunderbar gemischt war: einst Menschen unter Menschen sollten nun, nach ihrem Abscheiden, diese alten Helden und Seher ewig leben und wirken, wie die Götter. Man sieht wohl die grosse Aehnlich- keit solcher Gestalten wie Amphiaraos und Trophonios mit den Heroen des späteren Glaubens; in der That werden beide, wo sie nicht Götter heissen, vielfach zu diesen Heroen gerechnet. Und so mag noch manche der, von den Dichtern herab in’s Menschliche gezogenen alten Göttergestalten später in der Schaar der „Heroen“ eine Stelle gefunden haben. Aber man
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Bedeutung sich wieder erhob, das können wir nicht sagen.
Eine eigentliche, den Grund und Gang dieses wichtigen
Processes im griechischen Religionsleben nachweisende Erklä-
rung ist uns unmöglich. Wir kennen weder Zeit noch Ort des
ersten stärkeren Hervortretens des neu belebten alten Cultus,
nicht die Art und den Weg seiner Ausbreitung in jener dunklen
Zeit des 8. und 7. Jahrhunderts. Wir können aber wenig-
stens die Thatsache der Neubelebung des Ahnencultes in Eine
Reihe stellen mit anderen Thatsachen, die uns lehren, dass
in jenen Zeiten aus der Tiefe des Volksglaubens und eines
nie völlig verdrängten alten Götterdienstes manche bis dahin
verborgene oder verdunkelte Vorstellung über Götter- und
Menschenloos die herrschenden homerischen Anschauungen zwar
nicht verdrängte — denn das ist nie geschehen — aber doch
ihnen sich an die Seite stellte. Jene grosse Bewegung, von
der im nächsten Abschnitt einiges zu sagen ist, trug auch den
Heroenglauben empor. Mancherlei begünstigende Umstände
mögen im Besonderen diesen Glauben neu gestärkt haben. Das
Epos selbst war wenigstens an Einem Puncte nahe an die im
Heroenglauben neu auflebenden Vorstellungen heran gekommen.
Die Herabziehung vieler, durch die grossen Gottheiten des
allgemein hellenischen Glaubens verdunkelten Localgötter in
Menschenthum und heroische Abenteuer hatte in einigen Fällen,
in Folge einer Art Compromisses mit dem localen Cult solcher
Götter, die Dichtersage zur Erschaffung eigenthümlicher Ge-
stalten geführt, in denen Mensch und Gott wunderbar gemischt
war: einst Menschen unter Menschen sollten nun, nach ihrem
Abscheiden, diese alten Helden und Seher ewig leben und
wirken, wie die Götter. Man sieht wohl die grosse Aehnlich-
keit solcher Gestalten wie Amphiaraos und Trophonios mit den
Heroen des späteren Glaubens; in der That werden beide, wo
sie nicht Götter heissen, vielfach zu diesen Heroen gerechnet.
Und so mag noch manche der, von den Dichtern herab in’s
Menschliche gezogenen alten Göttergestalten später in der
Schaar der „Heroen“ eine Stelle gefunden haben. Aber man
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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/164>, abgerufen am 24.11.2024.
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