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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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her unvergessene Glaube an die Entrückung einzelner
Menschen, die ohne zu sterben aus der Sichtbarkeit verschwin-
den, um mit Leib und Seele zu ewigem Leben einzugehen.
Mit Kleomedes schien ein solches Wunder sich wieder einmal
begeben zu haben, er war "verschwunden", "entrafft" 1); ein
"Heros" konnte er gleichwohl nur darum heissen, weil man
für Entrückte, die nicht mehr sterbliche Menschen und doch
nicht Götter waren, keinen allgemeinen Namen hatte. Das
Orakel nennt den Kleomedes "den letzten der Heroen"; es
schien wohl an der Zeit, den übermässig weit gedehnten Kreis
der Heroisirten endlich zu schliessen. Das delphische Orakel 2)
selbst hatte mit Bedacht dazu beigetragen, ihre Zahl zu ver-
grössern; auch hielt es den Vorsatz, nun ein Ende zu machen,
keineswegs 3).

Auf welchen Voraussetzungen der Glaube an die unbe-
dingte Autorität beruhte, welche die Griechen aller Stämme
dem Orakel in Gegenständen, die mit dem Heroenwesen zu-
sammenhingen, einräumten, ist verständlich genug. Der Gott
erfindet nicht neue Heroen, er vermehrt nicht aus eigener Macht
und Willkür die Schaar der Ortsheiligen, er findet sie da, wo

1) Kleomedes moira tini daimonia diepte apo tes kibotou Cels. bei
Orig. c. Cels. 3, 33 p. 293. Oenomaus bei Euseb. pr. ev. 5, 34, 6 p. 265,
3 ff. Dind.: oi theoi anereipsanto se, osper oi tou Omerou ton Ganumeden.
Dadurch haben die Götter (nach der, von Oen. verhöhnten Volksmeinung)
dem Kleom. Unsterblichkeit gegeben, athanasian edokan p. 265, 29.
2) Selten hört man von anderen Orakeln, die zur Heroenverehrung
anleiten. So aber Xenagoras bei Macrob. Sat. 5, 18, 30: bei Miss-
wachs auf Sicilien ethusan Pediokrate tini eroi prostaxantos autois tou ek
Palikon khresteriou (derselbe Heros wohl ist Pediakrates, einer der von
Herakles getödteten sechs sicilischen strategoi, welche mekhri tou nun eroi-
kes times tugkhanousin. Diod. 4, 23, 5).
3) Die Verse jenes Orakels über Kleomedes: eskhatos eroon ktl.
mögen recht alt sein, eben weil ihre Behauptung sich nicht bestätigt hat.
Wenn Orakel, deren Inhalt eintrifft, mit Recht für später gemacht gelten
als die Ereignisse, welche sie angeblich voraussagen, so wird man billig
solche Orakel, deren Verkündigungen durch Vorfälle späterer Zeit als
unrichtig erwiesen werden, für älter als diese Vorfälle, die ihren Inhalt
widerlegen, halten müssen.

her unvergessene Glaube an die Entrückung einzelner
Menschen, die ohne zu sterben aus der Sichtbarkeit verschwin-
den, um mit Leib und Seele zu ewigem Leben einzugehen.
Mit Kleomedes schien ein solches Wunder sich wieder einmal
begeben zu haben, er war „verschwunden“, „entrafft“ 1); ein
„Heros“ konnte er gleichwohl nur darum heissen, weil man
für Entrückte, die nicht mehr sterbliche Menschen und doch
nicht Götter waren, keinen allgemeinen Namen hatte. Das
Orakel nennt den Kleomedes „den letzten der Heroen“; es
schien wohl an der Zeit, den übermässig weit gedehnten Kreis
der Heroisirten endlich zu schliessen. Das delphische Orakel 2)
selbst hatte mit Bedacht dazu beigetragen, ihre Zahl zu ver-
grössern; auch hielt es den Vorsatz, nun ein Ende zu machen,
keineswegs 3).

Auf welchen Voraussetzungen der Glaube an die unbe-
dingte Autorität beruhte, welche die Griechen aller Stämme
dem Orakel in Gegenständen, die mit dem Heroenwesen zu-
sammenhingen, einräumten, ist verständlich genug. Der Gott
erfindet nicht neue Heroen, er vermehrt nicht aus eigener Macht
und Willkür die Schaar der Ortsheiligen, er findet sie da, wo

1) Kleomedes μοίρᾳ τινὶ δαιμονίᾳ διέπτη ἀπὸ τῆς κιβωτοῦ Cels. bei
Orig. c. Cels. 3, 33 p. 293. Oenomaus bei Euseb. pr. ev. 5, 34, 6 p. 265,
3 ff. Dind.: οἱ ϑεοὶ ἀνηρείψαντό σε, ὥσπερ οἱ τοῦ Ὁμήρου τὸν Γανυμήδην.
Dadurch haben die Götter (nach der, von Oen. verhöhnten Volksmeinung)
dem Kleom. Unsterblichkeit gegeben, ἀϑανασίαν ἔδωκαν p. 265, 29.
2) Selten hört man von anderen Orakeln, die zur Heroenverehrung
anleiten. So aber Xenagoras bei Macrob. Sat. 5, 18, 30: bei Miss-
wachs auf Sicilien ἔϑυσαν Πεδιοκράτῃ τινὶ ἥρωϊ προστάξαντος αὐτοῖς τοῦ ἐκ
Παλικῶν χρηστηρίου (derselbe Heros wohl ist Pediakrates, einer der von
Herakles getödteten sechs sicilischen στρατηγοί, welche μέχρι τοῦ νῦν ἡρωϊ-
κῆς τιμῆς τυγχάνουσιν. Diod. 4, 23, 5).
3) Die Verse jenes Orakels über Kleomedes: ἔσχατος ἡρώων κτλ.
mögen recht alt sein, eben weil ihre Behauptung sich nicht bestätigt hat.
Wenn Orakel, deren Inhalt eintrifft, mit Recht für später gemacht gelten
als die Ereignisse, welche sie angeblich voraussagen, so wird man billig
solche Orakel, deren Verkündigungen durch Vorfälle späterer Zeit als
unrichtig erwiesen werden, für älter als diese Vorfälle, die ihren Inhalt
widerlegen, halten müssen.
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[168/0184] her unvergessene Glaube an die Entrückung einzelner Menschen, die ohne zu sterben aus der Sichtbarkeit verschwin- den, um mit Leib und Seele zu ewigem Leben einzugehen. Mit Kleomedes schien ein solches Wunder sich wieder einmal begeben zu haben, er war „verschwunden“, „entrafft“ 1); ein „Heros“ konnte er gleichwohl nur darum heissen, weil man für Entrückte, die nicht mehr sterbliche Menschen und doch nicht Götter waren, keinen allgemeinen Namen hatte. Das Orakel nennt den Kleomedes „den letzten der Heroen“; es schien wohl an der Zeit, den übermässig weit gedehnten Kreis der Heroisirten endlich zu schliessen. Das delphische Orakel 2) selbst hatte mit Bedacht dazu beigetragen, ihre Zahl zu ver- grössern; auch hielt es den Vorsatz, nun ein Ende zu machen, keineswegs 3). Auf welchen Voraussetzungen der Glaube an die unbe- dingte Autorität beruhte, welche die Griechen aller Stämme dem Orakel in Gegenständen, die mit dem Heroenwesen zu- sammenhingen, einräumten, ist verständlich genug. Der Gott erfindet nicht neue Heroen, er vermehrt nicht aus eigener Macht und Willkür die Schaar der Ortsheiligen, er findet sie da, wo 1) Kleomedes μοίρᾳ τινὶ δαιμονίᾳ διέπτη ἀπὸ τῆς κιβωτοῦ Cels. bei Orig. c. Cels. 3, 33 p. 293. Oenomaus bei Euseb. pr. ev. 5, 34, 6 p. 265, 3 ff. Dind.: οἱ ϑεοὶ ἀνηρείψαντό σε, ὥσπερ οἱ τοῦ Ὁμήρου τὸν Γανυμήδην. Dadurch haben die Götter (nach der, von Oen. verhöhnten Volksmeinung) dem Kleom. Unsterblichkeit gegeben, ἀϑανασίαν ἔδωκαν p. 265, 29. 2) Selten hört man von anderen Orakeln, die zur Heroenverehrung anleiten. So aber Xenagoras bei Macrob. Sat. 5, 18, 30: bei Miss- wachs auf Sicilien ἔϑυσαν Πεδιοκράτῃ τινὶ ἥρωϊ προστάξαντος αὐτοῖς τοῦ ἐκ Παλικῶν χρηστηρίου (derselbe Heros wohl ist Pediakrates, einer der von Herakles getödteten sechs sicilischen στρατηγοί, welche μέχρι τοῦ νῦν ἡρωϊ- κῆς τιμῆς τυγχάνουσιν. Diod. 4, 23, 5). 3) Die Verse jenes Orakels über Kleomedes: ἔσχατος ἡρώων κτλ. mögen recht alt sein, eben weil ihre Behauptung sich nicht bestätigt hat. Wenn Orakel, deren Inhalt eintrifft, mit Recht für später gemacht gelten als die Ereignisse, welche sie angeblich voraussagen, so wird man billig solche Orakel, deren Verkündigungen durch Vorfälle späterer Zeit als unrichtig erwiesen werden, für älter als diese Vorfälle, die ihren Inhalt widerlegen, halten müssen.

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/184>, abgerufen am 24.11.2024.