entstehen soll, zu finden hoffen. Die Ethnographen pflegen dieser Meinung zu widersprechen, den Seelencult als eines der ersten und ältesten Elemente (wo nicht gar als das ursprüng- lich allein vorhandene) einer Verehrung unsichtbarer Mächte zu betrachten. Aber die "Naturvölker", aus deren Zuständen und Vorstellungen sie ihre Ansichten herzuleiten pflegen, haben zwar eine lange Vergangenheit, aber keine Geschichte: es kann der reinen Vermuthung oder theoretischen Construction nicht verwehrt werden, entsprechend jener eben berührten, vielen Religionshistorikern fast zu einer Art von Orthodoxie gewor- denen Voraussetzung, auch in die gänzlich dunklen Uranfänge der "Naturvölker" einen, später erst zum Seelencult entarteten Göttercultus zu verlegen. Dagegen können wir die Entwicklung der griechischen Religion von Homer an auf lange Strecken verfolgen; und da bleibt denn freilich die beachtenswerthe That- sache bestehen, dass ein Seelencult, dem Homer unbekannt, erst bei weiterer lebhafter Fortbildung der religiösen Vor- stellungen sich herausbildet oder jedenfalls deutlicher hervor- tritt, wenn auch -- was doch sehr zu beherzigen ist -- nicht als Niederschlag einer Zersetzung des Götterglaubens und Götterdienstes, vielmehr als Nebenschössling gerade der auf's Höchste entwickelten Verehrung der Götter.
Soll man also wirklich glauben, dass dem vorhomerischen Griechenthum ein Cult der abgeschiedenen Seelen fremd war?
Dies so unbedingt anzunehmen, verbieten uns, bei ge- nauerer Betrachtung, die homerischen Gedichte selbst.
Es ist wahr, die homerischen Gedichte bezeichnen für uns den frühesten, deutlicher Kunde erreichbaren Punct grie- chischer Culturentwicklung. Aber sie stehen ja keineswegs am ersten Beginn dieser Entwicklung überhaupt. Selbst am Anfang griechischer Heldendichtung, soweit diese der Nach- welt bekannt geworden ist, stehen sie nur darum, weil sie zu- erst, wegen ihrer inneren Herrlichkeit und Volksbeliebtheit, der dauernden Aufbewahrung durch die Schrift gewürdigt worden sind. Ihr Dasein schon und die Höhe ihrer künstlerischen
entstehen soll, zu finden hoffen. Die Ethnographen pflegen dieser Meinung zu widersprechen, den Seelencult als eines der ersten und ältesten Elemente (wo nicht gar als das ursprüng- lich allein vorhandene) einer Verehrung unsichtbarer Mächte zu betrachten. Aber die „Naturvölker“, aus deren Zuständen und Vorstellungen sie ihre Ansichten herzuleiten pflegen, haben zwar eine lange Vergangenheit, aber keine Geschichte: es kann der reinen Vermuthung oder theoretischen Construction nicht verwehrt werden, entsprechend jener eben berührten, vielen Religionshistorikern fast zu einer Art von Orthodoxie gewor- denen Voraussetzung, auch in die gänzlich dunklen Uranfänge der „Naturvölker“ einen, später erst zum Seelencult entarteten Göttercultus zu verlegen. Dagegen können wir die Entwicklung der griechischen Religion von Homer an auf lange Strecken verfolgen; und da bleibt denn freilich die beachtenswerthe That- sache bestehen, dass ein Seelencult, dem Homer unbekannt, erst bei weiterer lebhafter Fortbildung der religiösen Vor- stellungen sich herausbildet oder jedenfalls deutlicher hervor- tritt, wenn auch — was doch sehr zu beherzigen ist — nicht als Niederschlag einer Zersetzung des Götterglaubens und Götterdienstes, vielmehr als Nebenschössling gerade der auf’s Höchste entwickelten Verehrung der Götter.
Soll man also wirklich glauben, dass dem vorhomerischen Griechenthum ein Cult der abgeschiedenen Seelen fremd war?
Dies so unbedingt anzunehmen, verbieten uns, bei ge- nauerer Betrachtung, die homerischen Gedichte selbst.
Es ist wahr, die homerischen Gedichte bezeichnen für uns den frühesten, deutlicher Kunde erreichbaren Punct grie- chischer Culturentwicklung. Aber sie stehen ja keineswegs am ersten Beginn dieser Entwicklung überhaupt. Selbst am Anfang griechischer Heldendichtung, soweit diese der Nach- welt bekannt geworden ist, stehen sie nur darum, weil sie zu- erst, wegen ihrer inneren Herrlichkeit und Volksbeliebtheit, der dauernden Aufbewahrung durch die Schrift gewürdigt worden sind. Ihr Dasein schon und die Höhe ihrer künstlerischen
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entstehen soll, zu finden hoffen. Die Ethnographen pflegen
dieser Meinung zu widersprechen, den Seelencult als eines der
ersten und ältesten Elemente (wo nicht gar als das ursprüng-
lich allein vorhandene) einer Verehrung unsichtbarer Mächte
zu betrachten. Aber die „Naturvölker“, aus deren Zuständen
und Vorstellungen sie ihre Ansichten herzuleiten pflegen, haben
zwar eine lange Vergangenheit, aber keine Geschichte: es kann
der reinen Vermuthung oder theoretischen Construction nicht
verwehrt werden, entsprechend jener eben berührten, vielen
Religionshistorikern fast zu einer Art von Orthodoxie gewor-
denen Voraussetzung, auch in die gänzlich dunklen Uranfänge
der „Naturvölker“ einen, später erst zum Seelencult entarteten
Göttercultus zu verlegen. Dagegen können wir die Entwicklung
der griechischen Religion von Homer an auf lange Strecken
verfolgen; und da bleibt denn freilich die beachtenswerthe That-
sache bestehen, dass ein Seelencult, dem Homer unbekannt,
erst bei weiterer lebhafter Fortbildung der religiösen Vor-
stellungen sich herausbildet oder jedenfalls deutlicher hervor-
tritt, wenn auch — was doch sehr zu beherzigen ist — nicht
als Niederschlag einer Zersetzung des Götterglaubens und
Götterdienstes, vielmehr als Nebenschössling gerade der auf’s
Höchste entwickelten Verehrung der Götter.
Soll man also wirklich glauben, dass dem vorhomerischen
Griechenthum ein Cult der abgeschiedenen Seelen fremd war?
Dies so unbedingt anzunehmen, verbieten uns, bei ge-
nauerer Betrachtung, die homerischen Gedichte selbst.
Es ist wahr, die homerischen Gedichte bezeichnen für
uns den frühesten, deutlicher Kunde erreichbaren Punct grie-
chischer Culturentwicklung. Aber sie stehen ja keineswegs
am ersten Beginn dieser Entwicklung überhaupt. Selbst am
Anfang griechischer Heldendichtung, soweit diese der Nach-
welt bekannt geworden ist, stehen sie nur darum, weil sie zu-
erst, wegen ihrer inneren Herrlichkeit und Volksbeliebtheit, der
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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/28>, abgerufen am 21.11.2024.
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