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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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und den Thorhüter, so die Gewässer, die den Erebos abtrennen
von der Welt der Lebenden, kennt schon Homer; jetzt hatte
man auch einen Fährmann, den grämlichen greisen Charon,
der, wie ein zweiter Kerberos, alle sicher hinübergeleitet, aber
Niemand zurückkehren lässt 1). Die Minyas zuerst erwähnte
ihn; dass er wirklich eine Gottheit des Volksglaubens wurde
(wie er es ja, wenn auch in veränderter Bedeutung, bis heute
in Griechenland ist), lassen die Bilder auf attischen, den Todten
in's Grab mitgegebenen Gefässen erkennen, auf denen die Seele
dargestellt ist, wie sie am schilfigen Ufer auf den Fährmann
trifft, der sie hinüberfahren soll, von wo Niemand wiederkehrt 2).
Auch erklärte man sich die Sitte, dem Todten eine kleine
Münze, zwischen die Zähne geklemmt, mit in's Grab zu geben,
aus der Fürsorge für das dem Charon zu entrichtende Fähr-
geld 3).

deutet so wenig, wie z. B. Aristophanes in den "Fröschen", Sophokles an,
vielmehr hat er ja von ihm V. 1569 ff. in Worten geredet, die Alles
eher als Gefährlichkeit für die Eintretenden bezeichnen. Sophokles also
kann nicht als Zeuge dafür gelten, dass die Griechen sich ihren Kerberos
gedacht hätten nach Art der beiden, die Todten zurückschreckenden
bunten Hunde des indischen Yama. Dass vollends griechische Ueber-
lieferung von zwei Höllenhunden gewusst habe, ist, da brauchbare Zeug-
nisse hiefür ganz fehlen, aus dem von Loeschcke besprochenen Bilde auf
einem Sarkophag aus Klazomenae, das einen nackten Knaben mit einem
Hahn in jeder Hand zwischen zwei (eher spielend als drohend) an-
springenden Hündinnen zeigt, unmöglich zu erschliessen. Das Bild hat
schwerlich mythischen Sinn. Hiermit also lässt sich die alte (schon
von Wilford ausgesprochene) Annahme, dass Kerberos nichts sei als einer
der beiden bunten (cabala) Hunde des Yama und eine Erfindung indo-
germanischer Urzeit, nicht stützen. Und im Uebrigen ist sie schlecht
genug gestützt. Vgl. Gruppe, Die griech. Culte und Mythen 1, 113. 114.
1) Als Volksglauben bezeichnet Agatharchides, de mari Er. p. 115,
14 ff. Müll: ton ouketi onton tous tupous en porthmidi diaplein, ekhontas
Kharona naukleron kai kuberneten, ina me katastraphentes ek-
phoras epideontai palin
.
2) Vgl. v. Duhn, Archäol. Zeitung 1885, 19 ff. Jahrb. d. archäol.
Instit
. 2, 240 ff.
3) Das Fährgeld für Charon (2 Obolen, statt des sonst regelmässig
entrichteten Einen Obols; der Grund ist nicht aufgeklärt) erwähnt zuerst
Aristophanes, Ran. 139. 270. Dass als solches die Münze gelten sollte, die

und den Thorhüter, so die Gewässer, die den Erebos abtrennen
von der Welt der Lebenden, kennt schon Homer; jetzt hatte
man auch einen Fährmann, den grämlichen greisen Charon,
der, wie ein zweiter Kerberos, alle sicher hinübergeleitet, aber
Niemand zurückkehren lässt 1). Die Minyas zuerst erwähnte
ihn; dass er wirklich eine Gottheit des Volksglaubens wurde
(wie er es ja, wenn auch in veränderter Bedeutung, bis heute
in Griechenland ist), lassen die Bilder auf attischen, den Todten
in’s Grab mitgegebenen Gefässen erkennen, auf denen die Seele
dargestellt ist, wie sie am schilfigen Ufer auf den Fährmann
trifft, der sie hinüberfahren soll, von wo Niemand wiederkehrt 2).
Auch erklärte man sich die Sitte, dem Todten eine kleine
Münze, zwischen die Zähne geklemmt, mit in’s Grab zu geben,
aus der Fürsorge für das dem Charon zu entrichtende Fähr-
geld 3).

deutet so wenig, wie z. B. Aristophanes in den „Fröschen“, Sophokles an,
vielmehr hat er ja von ihm V. 1569 ff. in Worten geredet, die Alles
eher als Gefährlichkeit für die Eintretenden bezeichnen. Sophokles also
kann nicht als Zeuge dafür gelten, dass die Griechen sich ihren Kerberos
gedacht hätten nach Art der beiden, die Todten zurückschreckenden
bunten Hunde des indischen Yama. Dass vollends griechische Ueber-
lieferung von zwei Höllenhunden gewusst habe, ist, da brauchbare Zeug-
nisse hiefür ganz fehlen, aus dem von Loeschcke besprochenen Bilde auf
einem Sarkophag aus Klazomenae, das einen nackten Knaben mit einem
Hahn in jeder Hand zwischen zwei (eher spielend als drohend) an-
springenden Hündinnen zeigt, unmöglich zu erschliessen. Das Bild hat
schwerlich mythischen Sinn. Hiermit also lässt sich die alte (schon
von Wilford ausgesprochene) Annahme, dass Κέρβερος nichts sei als einer
der beiden bunten (çabala) Hunde des Yama und eine Erfindung indo-
germanischer Urzeit, nicht stützen. Und im Uebrigen ist sie schlecht
genug gestützt. Vgl. Gruppe, Die griech. Culte und Mythen 1, 113. 114.
1) Als Volksglauben bezeichnet Agatharchides, de mari Er. p. 115,
14 ff. Müll: τῶν οὐκέτι ὄντων τοὺς τύπους ἐν πορϑμίδι διαπλεῖν, ἔχοντας
Χάρωνα ναύκληρον καὶ κυβερνήτην, ἵνα μὴ καταστραφέντες ἐκ-
φορᾶς ἐπιδέωνται πάλιν
.
2) Vgl. v. Duhn, Archäol. Zeitung 1885, 19 ff. Jahrb. d. archäol.
Instit
. 2, 240 ff.
3) Das Fährgeld für Charon (2 Obolen, statt des sonst regelmässig
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Aristophanes, Ran. 139. 270. Dass als solches die Münze gelten sollte, die
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[281/0297] und den Thorhüter, so die Gewässer, die den Erebos abtrennen von der Welt der Lebenden, kennt schon Homer; jetzt hatte man auch einen Fährmann, den grämlichen greisen Charon, der, wie ein zweiter Kerberos, alle sicher hinübergeleitet, aber Niemand zurückkehren lässt 1). Die Minyas zuerst erwähnte ihn; dass er wirklich eine Gottheit des Volksglaubens wurde (wie er es ja, wenn auch in veränderter Bedeutung, bis heute in Griechenland ist), lassen die Bilder auf attischen, den Todten in’s Grab mitgegebenen Gefässen erkennen, auf denen die Seele dargestellt ist, wie sie am schilfigen Ufer auf den Fährmann trifft, der sie hinüberfahren soll, von wo Niemand wiederkehrt 2). Auch erklärte man sich die Sitte, dem Todten eine kleine Münze, zwischen die Zähne geklemmt, mit in’s Grab zu geben, aus der Fürsorge für das dem Charon zu entrichtende Fähr- geld 3). 1) 1) Als Volksglauben bezeichnet Agatharchides, de mari Er. p. 115, 14 ff. Müll: τῶν οὐκέτι ὄντων τοὺς τύπους ἐν πορϑμίδι διαπλεῖν, ἔχοντας Χάρωνα ναύκληρον καὶ κυβερνήτην, ἵνα μὴ καταστραφέντες ἐκ- φορᾶς ἐπιδέωνται πάλιν. 2) Vgl. v. Duhn, Archäol. Zeitung 1885, 19 ff. Jahrb. d. archäol. Instit. 2, 240 ff. 3) Das Fährgeld für Charon (2 Obolen, statt des sonst regelmässig entrichteten Einen Obols; der Grund ist nicht aufgeklärt) erwähnt zuerst Aristophanes, Ran. 139. 270. Dass als solches die Münze gelten sollte, die 1) deutet so wenig, wie z. B. Aristophanes in den „Fröschen“, Sophokles an, vielmehr hat er ja von ihm V. 1569 ff. in Worten geredet, die Alles eher als Gefährlichkeit für die Eintretenden bezeichnen. Sophokles also kann nicht als Zeuge dafür gelten, dass die Griechen sich ihren Kerberos gedacht hätten nach Art der beiden, die Todten zurückschreckenden bunten Hunde des indischen Yama. Dass vollends griechische Ueber- lieferung von zwei Höllenhunden gewusst habe, ist, da brauchbare Zeug- nisse hiefür ganz fehlen, aus dem von Loeschcke besprochenen Bilde auf einem Sarkophag aus Klazomenae, das einen nackten Knaben mit einem Hahn in jeder Hand zwischen zwei (eher spielend als drohend) an- springenden Hündinnen zeigt, unmöglich zu erschliessen. Das Bild hat schwerlich mythischen Sinn. Hiermit also lässt sich die alte (schon von Wilford ausgesprochene) Annahme, dass Κέρβερος nichts sei als einer der beiden bunten (çabala) Hunde des Yama und eine Erfindung indo- germanischer Urzeit, nicht stützen. Und im Uebrigen ist sie schlecht genug gestützt. Vgl. Gruppe, Die griech. Culte und Mythen 1, 113. 114.

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/297>, abgerufen am 23.11.2024.