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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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Herz und Blick sich zu den Vorbildern alles Lebens, den
Göttern, und ihrer, wie der Aether unbewegt leuchtenden
Heiterkeit erhebt.

Aber wie vertrug sich in Einem Volke der Ueber-
schwang der Erregung mit dem in feste Schranken gefügten
Gleichmaass der Stimmung und Haltung? Diese Gegensätze
sind nicht aus Einer Wurzel erwachsen; sie waren nicht von
jeher in Griechenland verbunden. Die homerischen Gedichte
geben von einer Ueberspannung religiöser Gefühle, wie sie die
Griechen späterer Zeit als gottgesandten Wahnsinn kannten
und verehrten, noch kaum eine Ahnung. Sie breitete sich
unter Griechen aus in Folge einer religiösen Bewegung, man
könnte fast sagen Umwälzung, zu der bei Homer höchstens
die ersten Ansätze sich fühlbar machen. Sie stammt ihrem
Ursprunge nach aus der Dionysosreligion, und tritt mit dieser
als ein Fremdes und Neues in griechisches Leben.

Die homerischen Gedichte kennen Dionysos nicht als zu den
Göttern des Olymp gehörig. Aber sie wissen von ihm. Zwar
als den in heiterer Feier verehrten Weingott nennen sie ihn
nirgends deutlich 1); wohl aber liest man (in der Erzählung
von der Begegnung des Glaukos und Diomedes) von dem
"rasenden" Dionys und seinen "Wärterinnen", die Lykurgos
der Thraker überfiel 2); die Mainas, das im Cult des Dionysos

1) Selbst die spät eingelegten Stellen, Il. Ks 325, Od. o 74 sind nicht
ganz unzweideutig. Sonst gilt entschieden durch beide Gedichte to me
paradidonai Omeron Dionuson oinou eureten. (Schol. Od. i 198.) Lehrs,
Aristarch.3 p. 181.
2) Il. Z 132 ff. Als Scene ist offenbar eine bakchische Festfeier ge-
dacht. Dies zeigen die thusthla, welche die Dionusoio tithenai aus den
Händen fallen lassen. Das Uebrige ist dunkel. Wer unter den tithenai
des Dionys zu verstehen sei, wusste man schon im Alterthum nicht, daher
man umsomehr Namen zur Auswahl anbot (vgl. Nauck, Fr. trag.2 p. 17.
Voigt, Mythol. Lex. 1, 1049). Schwerlich wird man (mit Schol. A zu Z
129) aus der Erwähnung der tithenai zu schliessen haben, dass D. selbst
als nepios eti kai pais gedacht sei. Seine ehemaligen tithenai folgen
ihm in bakchischer Feier auch nachdem er herangewachsen ist: ganz wie
hymn. Homer. 26, 3. 7--10. Zu einer Vorstellung des Dionys als liknites
würde auch sein Meersprung (V. 135 ff.) nicht passen und besonders nicht

Herz und Blick sich zu den Vorbildern alles Lebens, den
Göttern, und ihrer, wie der Aether unbewegt leuchtenden
Heiterkeit erhebt.

Aber wie vertrug sich in Einem Volke der Ueber-
schwang der Erregung mit dem in feste Schranken gefügten
Gleichmaass der Stimmung und Haltung? Diese Gegensätze
sind nicht aus Einer Wurzel erwachsen; sie waren nicht von
jeher in Griechenland verbunden. Die homerischen Gedichte
geben von einer Ueberspannung religiöser Gefühle, wie sie die
Griechen späterer Zeit als gottgesandten Wahnsinn kannten
und verehrten, noch kaum eine Ahnung. Sie breitete sich
unter Griechen aus in Folge einer religiösen Bewegung, man
könnte fast sagen Umwälzung, zu der bei Homer höchstens
die ersten Ansätze sich fühlbar machen. Sie stammt ihrem
Ursprunge nach aus der Dionysosreligion, und tritt mit dieser
als ein Fremdes und Neues in griechisches Leben.

Die homerischen Gedichte kennen Dionysos nicht als zu den
Göttern des Olymp gehörig. Aber sie wissen von ihm. Zwar
als den in heiterer Feier verehrten Weingott nennen sie ihn
nirgends deutlich 1); wohl aber liest man (in der Erzählung
von der Begegnung des Glaukos und Diomedes) von dem
„rasenden“ Dionys und seinen „Wärterinnen“, die Lykurgos
der Thraker überfiel 2); die Mainas, das im Cult des Dionysos

1) Selbst die spät eingelegten Stellen, Il. Ξ 325, Od. ω 74 sind nicht
ganz unzweideutig. Sonst gilt entschieden durch beide Gedichte τὸ μὴ
παραδιδόναι Ὅμηρον Διόνυσον οἴνου εὑρετήν. (Schol. Od. ι 198.) Lehrs,
Aristarch.3 p. 181.
2) Il. Z 132 ff. Als Scene ist offenbar eine bakchische Festfeier ge-
dacht. Dies zeigen die ϑύσϑλα, welche die Διωνύσοιο τιϑῆναι aus den
Händen fallen lassen. Das Uebrige ist dunkel. Wer unter den τιϑῆναι
des Dionys zu verstehen sei, wusste man schon im Alterthum nicht, daher
man umsomehr Namen zur Auswahl anbot (vgl. Nauck, Fr. trag.2 p. 17.
Voigt, Mythol. Lex. 1, 1049). Schwerlich wird man (mit Schol. A zu Z
129) aus der Erwähnung der τιϑῆναι zu schliessen haben, dass D. selbst
als νήπιος ἔτι καὶ παῖς gedacht sei. Seine ehemaligen τιϑῆναι folgen
ihm in bakchischer Feier auch nachdem er herangewachsen ist: ganz wie
hymn. Homer. 26, 3. 7—10. Zu einer Vorstellung des Dionys als λικνίτης
würde auch sein Meersprung (V. 135 ff.) nicht passen und besonders nicht
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[298/0314] Herz und Blick sich zu den Vorbildern alles Lebens, den Göttern, und ihrer, wie der Aether unbewegt leuchtenden Heiterkeit erhebt. Aber wie vertrug sich in Einem Volke der Ueber- schwang der Erregung mit dem in feste Schranken gefügten Gleichmaass der Stimmung und Haltung? Diese Gegensätze sind nicht aus Einer Wurzel erwachsen; sie waren nicht von jeher in Griechenland verbunden. Die homerischen Gedichte geben von einer Ueberspannung religiöser Gefühle, wie sie die Griechen späterer Zeit als gottgesandten Wahnsinn kannten und verehrten, noch kaum eine Ahnung. Sie breitete sich unter Griechen aus in Folge einer religiösen Bewegung, man könnte fast sagen Umwälzung, zu der bei Homer höchstens die ersten Ansätze sich fühlbar machen. Sie stammt ihrem Ursprunge nach aus der Dionysosreligion, und tritt mit dieser als ein Fremdes und Neues in griechisches Leben. Die homerischen Gedichte kennen Dionysos nicht als zu den Göttern des Olymp gehörig. Aber sie wissen von ihm. Zwar als den in heiterer Feier verehrten Weingott nennen sie ihn nirgends deutlich 1); wohl aber liest man (in der Erzählung von der Begegnung des Glaukos und Diomedes) von dem „rasenden“ Dionys und seinen „Wärterinnen“, die Lykurgos der Thraker überfiel 2); die Mainas, das im Cult des Dionysos 1) Selbst die spät eingelegten Stellen, Il. Ξ 325, Od. ω 74 sind nicht ganz unzweideutig. Sonst gilt entschieden durch beide Gedichte τὸ μὴ παραδιδόναι Ὅμηρον Διόνυσον οἴνου εὑρετήν. (Schol. Od. ι 198.) Lehrs, Aristarch.3 p. 181. 2) Il. Z 132 ff. Als Scene ist offenbar eine bakchische Festfeier ge- dacht. Dies zeigen die ϑύσϑλα, welche die Διωνύσοιο τιϑῆναι aus den Händen fallen lassen. Das Uebrige ist dunkel. Wer unter den τιϑῆναι des Dionys zu verstehen sei, wusste man schon im Alterthum nicht, daher man umsomehr Namen zur Auswahl anbot (vgl. Nauck, Fr. trag.2 p. 17. Voigt, Mythol. Lex. 1, 1049). Schwerlich wird man (mit Schol. A zu Z 129) aus der Erwähnung der τιϑῆναι zu schliessen haben, dass D. selbst als νήπιος ἔτι καὶ παῖς gedacht sei. Seine ehemaligen τιϑῆναι folgen ihm in bakchischer Feier auch nachdem er herangewachsen ist: ganz wie hymn. Homer. 26, 3. 7—10. Zu einer Vorstellung des Dionys als λικνίτης würde auch sein Meersprung (V. 135 ff.) nicht passen und besonders nicht

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/314>, abgerufen am 22.11.2024.