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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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dass durch Ausgiessung fliessenden Blutes, durch Weinspenden
und Verbrennung menschlicher und thierischer Leichen die
Psyche eines jüngst Verstorbenen erquickt werden könne.
Jedenfalls wird sie hierbei als menschlichem Gebete noch er-
reichbar, als in der Nähe der Opfer verweilend gedacht. Das
widerspricht sonstiger homerischer Darstellung, und eben um
eine solche, seinen Hörern schon nicht mehr geläufige Vor-
stellung sinnfällig und im einzelnen Falle annehmbar zu machen,
hat wohl -- wozu sonst durch den Verlauf der Erzählung
keine Veranlassung gegeben war 1) -- der Dichter die Psyche
des Patroklos Nachts dem Achilleus erscheinen lassen. So ruft
denn auch bis zum Ende der ganzen Begehung Achill der
Seele des Patroklos, wie einer anwesenden, seinen Gruss wieder-
holt zu 2). Es scheint freilich in der Art, wie Homer diese,
von seiner sonstigen Auffassung sich entfernenden Handlungen
durchführt, eine gewisse Unklarheit über die eigentlich zu
Grunde liegenden, alterthümlich rohen Vorstellungen durch,
eine gewisse Zaghaftigkeit des Dichters lässt sich in der,
sonstiger homerischer Art gar nicht entsprechenden Kürze
spüren, mit der das Grässlichste, die Hinschlachtung der Men-
schen sammt den Pferden und Hunden erzählt wird. Man
merkt überall: er ist es wahrlich nicht, der so grausige Vor-
gänge zum ersten Mal aus seiner Phantasie erzeugt; übernom-
men (woher auch immer 3), nicht erfunden hat Homer diese

1) Die Aufforderung des Patroklos, ihn schleunig zu bestatten (v. 69 ff.),
giebt kein ausreichendes Motiv: denn Achill hatte ja ohnehin für den
nächsten Tag die Bestattung schon angeordnet, v. 49 ff. (vgl. 94 f.).
2) v. 19. 179. Noch in der Nacht, welche auf die Errichtung des
Scheiterhaufens folgt, ruft Achill, während die Leiche im Brande liegt,
die Seele des Patroklos: psukhen kikleskon Patrokleos deiloio, v. 222. Die
Vorstellung ist offenbar, dass die Gerufene noch in der Nähe verweile.
Die Formel: khaire -- kai ein Aidao domoisin (19. 179) spricht nicht dagegen,
v. 19 mindestens können diese Worte unmöglich bedeuten: im Hades,
denn noch ist die Seele ja ausserhalb des Hades, wie sie v. 71 ff. selbst
mittheilt. Also nur: am, vor dem H. des Hades (so en potamo am
Flusse u. s. w.). So bedeutet eis Aidao domon oft nur: hin zum H. des
Hades (Ameis zu k. 512).
3) Ob aus Schilderungen älterer Dichtung? oder hatte sich wenig-
Rohde, Seelencult. 2

dass durch Ausgiessung fliessenden Blutes, durch Weinspenden
und Verbrennung menschlicher und thierischer Leichen die
Psyche eines jüngst Verstorbenen erquickt werden könne.
Jedenfalls wird sie hierbei als menschlichem Gebete noch er-
reichbar, als in der Nähe der Opfer verweilend gedacht. Das
widerspricht sonstiger homerischer Darstellung, und eben um
eine solche, seinen Hörern schon nicht mehr geläufige Vor-
stellung sinnfällig und im einzelnen Falle annehmbar zu machen,
hat wohl — wozu sonst durch den Verlauf der Erzählung
keine Veranlassung gegeben war 1) — der Dichter die Psyche
des Patroklos Nachts dem Achilleus erscheinen lassen. So ruft
denn auch bis zum Ende der ganzen Begehung Achill der
Seele des Patroklos, wie einer anwesenden, seinen Gruss wieder-
holt zu 2). Es scheint freilich in der Art, wie Homer diese,
von seiner sonstigen Auffassung sich entfernenden Handlungen
durchführt, eine gewisse Unklarheit über die eigentlich zu
Grunde liegenden, alterthümlich rohen Vorstellungen durch,
eine gewisse Zaghaftigkeit des Dichters lässt sich in der,
sonstiger homerischer Art gar nicht entsprechenden Kürze
spüren, mit der das Grässlichste, die Hinschlachtung der Men-
schen sammt den Pferden und Hunden erzählt wird. Man
merkt überall: er ist es wahrlich nicht, der so grausige Vor-
gänge zum ersten Mal aus seiner Phantasie erzeugt; übernom-
men (woher auch immer 3), nicht erfunden hat Homer diese

1) Die Aufforderung des Patroklos, ihn schleunig zu bestatten (v. 69 ff.),
giebt kein ausreichendes Motiv: denn Achill hatte ja ohnehin für den
nächsten Tag die Bestattung schon angeordnet, v. 49 ff. (vgl. 94 f.).
2) v. 19. 179. Noch in der Nacht, welche auf die Errichtung des
Scheiterhaufens folgt, ruft Achill, während die Leiche im Brande liegt,
die Seele des Patroklos: ψυχὴν κικλήσκων Πατροκλῆος δειλοῖο, v. 222. Die
Vorstellung ist offenbar, dass die Gerufene noch in der Nähe verweile.
Die Formel: χαῖρε — καὶ εἰν Ἀΐδαο δόμοισιν (19. 179) spricht nicht dagegen,
v. 19 mindestens können diese Worte unmöglich bedeuten: im Hades,
denn noch ist die Seele ja ausserhalb des Hades, wie sie v. 71 ff. selbst
mittheilt. Also nur: am, vor dem H. des Hades (so ἐν ποταμῷ am
Flusse u. s. w.). So bedeutet εἰς Ἀΐδαο δόμον oft nur: hin zum H. des
Hades (Ameis zu κ. 512).
3) Ob aus Schilderungen älterer Dichtung? oder hatte sich wenig-
Rohde, Seelencult. 2
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[17/0033] dass durch Ausgiessung fliessenden Blutes, durch Weinspenden und Verbrennung menschlicher und thierischer Leichen die Psyche eines jüngst Verstorbenen erquickt werden könne. Jedenfalls wird sie hierbei als menschlichem Gebete noch er- reichbar, als in der Nähe der Opfer verweilend gedacht. Das widerspricht sonstiger homerischer Darstellung, und eben um eine solche, seinen Hörern schon nicht mehr geläufige Vor- stellung sinnfällig und im einzelnen Falle annehmbar zu machen, hat wohl — wozu sonst durch den Verlauf der Erzählung keine Veranlassung gegeben war 1) — der Dichter die Psyche des Patroklos Nachts dem Achilleus erscheinen lassen. So ruft denn auch bis zum Ende der ganzen Begehung Achill der Seele des Patroklos, wie einer anwesenden, seinen Gruss wieder- holt zu 2). Es scheint freilich in der Art, wie Homer diese, von seiner sonstigen Auffassung sich entfernenden Handlungen durchführt, eine gewisse Unklarheit über die eigentlich zu Grunde liegenden, alterthümlich rohen Vorstellungen durch, eine gewisse Zaghaftigkeit des Dichters lässt sich in der, sonstiger homerischer Art gar nicht entsprechenden Kürze spüren, mit der das Grässlichste, die Hinschlachtung der Men- schen sammt den Pferden und Hunden erzählt wird. Man merkt überall: er ist es wahrlich nicht, der so grausige Vor- gänge zum ersten Mal aus seiner Phantasie erzeugt; übernom- men (woher auch immer 3), nicht erfunden hat Homer diese 1) Die Aufforderung des Patroklos, ihn schleunig zu bestatten (v. 69 ff.), giebt kein ausreichendes Motiv: denn Achill hatte ja ohnehin für den nächsten Tag die Bestattung schon angeordnet, v. 49 ff. (vgl. 94 f.). 2) v. 19. 179. Noch in der Nacht, welche auf die Errichtung des Scheiterhaufens folgt, ruft Achill, während die Leiche im Brande liegt, die Seele des Patroklos: ψυχὴν κικλήσκων Πατροκλῆος δειλοῖο, v. 222. Die Vorstellung ist offenbar, dass die Gerufene noch in der Nähe verweile. Die Formel: χαῖρε — καὶ εἰν Ἀΐδαο δόμοισιν (19. 179) spricht nicht dagegen, v. 19 mindestens können diese Worte unmöglich bedeuten: im Hades, denn noch ist die Seele ja ausserhalb des Hades, wie sie v. 71 ff. selbst mittheilt. Also nur: am, vor dem H. des Hades (so ἐν ποταμῷ am Flusse u. s. w.). So bedeutet εἰς Ἀΐδαο δόμον oft nur: hin zum H. des Hades (Ameis zu κ. 512). 3) Ob aus Schilderungen älterer Dichtung? oder hatte sich wenig- Rohde, Seelencult. 2

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/33>, abgerufen am 21.11.2024.