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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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lands 1) gefunden habe, berichtet. Wir müssen anerkennen,
dass in solchen Sagen sich geschichtliche Erinnerungen er-
halten haben, in die Form gekleidet welche alle älteste grie-
chische Ueberlieferung annimmt, die mythische, die alle
Ereignisse der Wirklichkeit und ihre Zufälligkeiten zu Typen
von vorbildlicher Allgemeingiltigkeit verdichtet.

Nicht ohne Widerstand also scheint sich, von Norden her
nach Böotien, von Böotien nach dem Peloponnes vordringend,
der dionysische Cult ausgebreitet zu haben. In Wahrheit
müsste man, auch wenn keinerlei Berichte uns hiervon redeten,
voraussetzen, dass unter Griechen ein tief gewurzelter Wider-
wille sich gegen den verwirrenden Taumel des thrakischen
Cultes gewehrt, die Abneigung ursprünglichsten Instinctes sich
gesträubt haben werde, in diesen überschwänglichen Erregungen
sich ins Grenzenlose der Empfindung zu verlieren. Was
thrakischen Weibern anstehn mochte, das zügellose Herum-
schweifen in nächtlichen Bergfeiern, dem konnte, als einem
Bruche aller Sitte und Sittsamkeit, griechisches Bürgerthum
nicht ohne Kampf nachgeben 2). Die Weiber waren es, die
der neu eindringende Cult in einem wahren Taumel der Be-
geisterung fortgerissen zu haben scheint 3), ihnen zunächst mag
er seine Einführung zu verdanken gehabt haben. Was uns
von der Unwiderstehlichkeit und der allgemeinen Ausbreitung 4)
der bakchischen Tanzfeste und ihrer Aufregungen berichtet
wird, lässt an die Erscheinungen solcher religiösen Epidemien
denken, deren manche auch in neueren Zeiten bisweilen ganze
Länder überfluthet hat. Man mag sich namentlich der Be-

1) Vgl. noch Schol. Arist. Ach. 243.
2) Vgl. Eurip. Bacch. 213 ff. 487. 32 ff. Die Töchter des Minyas
epothoun tous gametas (s. Perizon.) kai dia touto ouk egenonto to theo mai-
nades. Aelian. var. hist. 3, 42. Bezeichnend ist der in den Sagen überall
hervortretende Gegensatz der Hera, die die Ehe hütet, zu Dionysos.
3) orsigunaika Dionuson -- unbek. Dichter bei Plut. de exil. 17;
Sympos.
4, 6, 1; de EI ap. D. 9. ilathi, eiraphiota, gunaimanes: hymn.
Homer. 34, 17.
4) Wie eine Ansteckung, eine Feuersbrunst. ede tod eggus oste pur ephap-
tetai ubrisma Bakkhou, psogos es Ellenas megas. Pentheus bei Eurip. Bacch. 777.

lands 1) gefunden habe, berichtet. Wir müssen anerkennen,
dass in solchen Sagen sich geschichtliche Erinnerungen er-
halten haben, in die Form gekleidet welche alle älteste grie-
chische Ueberlieferung annimmt, die mythische, die alle
Ereignisse der Wirklichkeit und ihre Zufälligkeiten zu Typen
von vorbildlicher Allgemeingiltigkeit verdichtet.

Nicht ohne Widerstand also scheint sich, von Norden her
nach Böotien, von Böotien nach dem Peloponnes vordringend,
der dionysische Cult ausgebreitet zu haben. In Wahrheit
müsste man, auch wenn keinerlei Berichte uns hiervon redeten,
voraussetzen, dass unter Griechen ein tief gewurzelter Wider-
wille sich gegen den verwirrenden Taumel des thrakischen
Cultes gewehrt, die Abneigung ursprünglichsten Instinctes sich
gesträubt haben werde, in diesen überschwänglichen Erregungen
sich ins Grenzenlose der Empfindung zu verlieren. Was
thrakischen Weibern anstehn mochte, das zügellose Herum-
schweifen in nächtlichen Bergfeiern, dem konnte, als einem
Bruche aller Sitte und Sittsamkeit, griechisches Bürgerthum
nicht ohne Kampf nachgeben 2). Die Weiber waren es, die
der neu eindringende Cult in einem wahren Taumel der Be-
geisterung fortgerissen zu haben scheint 3), ihnen zunächst mag
er seine Einführung zu verdanken gehabt haben. Was uns
von der Unwiderstehlichkeit und der allgemeinen Ausbreitung 4)
der bakchischen Tanzfeste und ihrer Aufregungen berichtet
wird, lässt an die Erscheinungen solcher religiösen Epidemien
denken, deren manche auch in neueren Zeiten bisweilen ganze
Länder überfluthet hat. Man mag sich namentlich der Be-

1) Vgl. noch Schol. Arist. Ach. 243.
2) Vgl. Eurip. Bacch. 213 ff. 487. 32 ff. Die Töchter des Minyas
ἐπόϑουν τοὺς γαμέτας (s. Perizon.) καὶ διὰ τοῦτο οὐκ ἐγένοντο τῷ ϑεῷ μαι-
νάδες. Aelian. var. hist. 3, 42. Bezeichnend ist der in den Sagen überall
hervortretende Gegensatz der Hera, die die Ehe hütet, zu Dionysos.
3) ὀρσιγύναικα Διόνυσον — unbek. Dichter bei Plut. de exil. 17;
Sympos.
4, 6, 1; de EI ap. D. 9. ἵλαϑι, εἰραφιῶτα, γυναιμανές: hymn.
Homer. 34, 17.
4) Wie eine Ansteckung, eine Feuersbrunst. ἤδη τόδ̕ ἐγγὺς ὥστε πῦρ ἐφάπ-
τεται ὕβρισμα Βακχοῦ, ψόγος ἐς Ἕλληνας μέγας. Pentheus bei Eurip. Bacch. 777.
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[330/0346] lands 1) gefunden habe, berichtet. Wir müssen anerkennen, dass in solchen Sagen sich geschichtliche Erinnerungen er- halten haben, in die Form gekleidet welche alle älteste grie- chische Ueberlieferung annimmt, die mythische, die alle Ereignisse der Wirklichkeit und ihre Zufälligkeiten zu Typen von vorbildlicher Allgemeingiltigkeit verdichtet. Nicht ohne Widerstand also scheint sich, von Norden her nach Böotien, von Böotien nach dem Peloponnes vordringend, der dionysische Cult ausgebreitet zu haben. In Wahrheit müsste man, auch wenn keinerlei Berichte uns hiervon redeten, voraussetzen, dass unter Griechen ein tief gewurzelter Wider- wille sich gegen den verwirrenden Taumel des thrakischen Cultes gewehrt, die Abneigung ursprünglichsten Instinctes sich gesträubt haben werde, in diesen überschwänglichen Erregungen sich ins Grenzenlose der Empfindung zu verlieren. Was thrakischen Weibern anstehn mochte, das zügellose Herum- schweifen in nächtlichen Bergfeiern, dem konnte, als einem Bruche aller Sitte und Sittsamkeit, griechisches Bürgerthum nicht ohne Kampf nachgeben 2). Die Weiber waren es, die der neu eindringende Cult in einem wahren Taumel der Be- geisterung fortgerissen zu haben scheint 3), ihnen zunächst mag er seine Einführung zu verdanken gehabt haben. Was uns von der Unwiderstehlichkeit und der allgemeinen Ausbreitung 4) der bakchischen Tanzfeste und ihrer Aufregungen berichtet wird, lässt an die Erscheinungen solcher religiösen Epidemien denken, deren manche auch in neueren Zeiten bisweilen ganze Länder überfluthet hat. Man mag sich namentlich der Be- 1) Vgl. noch Schol. Arist. Ach. 243. 2) Vgl. Eurip. Bacch. 213 ff. 487. 32 ff. Die Töchter des Minyas ἐπόϑουν τοὺς γαμέτας (s. Perizon.) καὶ διὰ τοῦτο οὐκ ἐγένοντο τῷ ϑεῷ μαι- νάδες. Aelian. var. hist. 3, 42. Bezeichnend ist der in den Sagen überall hervortretende Gegensatz der Hera, die die Ehe hütet, zu Dionysos. 3) ὀρσιγύναικα Διόνυσον — unbek. Dichter bei Plut. de exil. 17; Sympos. 4, 6, 1; de EI ap. D. 9. ἵλαϑι, εἰραφιῶτα, γυναιμανές: hymn. Homer. 34, 17. 4) Wie eine Ansteckung, eine Feuersbrunst. ἤδη τόδ̕ ἐγγὺς ὥστε πῦρ ἐφάπ- τεται ὕβρισμα Βακχοῦ, ψόγος ἐς Ἕλληνας μέγας. Pentheus bei Eurip. Bacch. 777.

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/346>, abgerufen am 22.11.2024.