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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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losem Sonderleben und immer neuer Einkörperung, den weiten
"Kreis der Nothwendigkeit", als Lebensgenossin vieler Leiber
von Menschen und Thieren. Hoffnungslos scheint sich das
"Rad der Geburten" 1) in sich selbst zurückzudrehen; in orphi-
scher Dichtung (und dort vielleicht zuerst) taucht der trost-
lose Gedanke einer, beim Zusammentreffen gleicher Bedin-
gungen immer gleichen Wiederholung aller schon durchlebten
Lebenszustände auf 2), eines auch den Menschen in den Wirbel

lich nur ein Versuch solcher Ausgleichung ist es, wenn nach den Rhap-
sodien (fr. 224) die aus Menschen im Tode scheidenden Seelen zunächst
in den Hades geführt werden, die Seelen, die in Thieren gewohnt haben,
in der Luft flattern eisoken autas allo apharpaze migden anemoio pnoesin.
Aristoteles weiss nichts von solcher Beschränkung. Plato, Phaed. 81 D.
(etwas anders 108 A. B.) droht, wie es scheint mit freier Benutzung or-
phischer Vorstellungen, allen me katharos apolutheisai psukhai ähnliches
Schicksal an, wie die Rhaps. den Thierseelen. (Annehmen liesse sich
ja, dass die psukhai, aus dem Hades zu neuer ensomatosis wieder ent-
lassen, zunächst eben im Winde um die Wohnplätze der Lebenden
schweben und so denn in einen neuen Leib eingeathmet werden. Wobei
immer noch ein praedestinirtes Zusammenkommen einer bestimmten Seele
mit dem, ihrem Läuterungszustande entsprechenden soma denkbar bliebe).
-- Einigen Einfluss auf die Einwurzelung der Vorstellung vom Luft-
aufenthalt der psukhai in späterer orphischer Dichtung mag auch das fast
populär gewordene (von Stoikern nicht zuerst aufgestellte, aber besonders
befestigte) Philosophem von dem Aufschweben der pneumata in ihr Ele-
ment, den Aether (wovon unten ein Wort), gewonnen haben. Und da
nun einmal das Seelenreich zum Theil in die Luft verlegt war, so deutete
diese spätorphische Dichtung auch den einen der vier Flüsse des Seelen-
reiches, den Akheron, als den aer (fr. 155. 156 [Rhaps.]). Hierin eine
Erinnerung an eine angeblich uralte Vorstellung zu sehen, nach welcher
auch der Okeanos eigentlich am Himmel floss u. s. w., ist trotz Bergk's
phantasievollen Ausführungen (Opusc. 2, 691 ff. 696) keinerlei Grund. Die
Emporhebung des Seelenreiches in das Luftmeer ist unter Griechen
überall Ergebniss verhältnissmässig später, sehr nachträglich erst an-
gestellter Speculation. Man könnte sogar fragen, ob nicht bei der Ver-
setzung des Okeanos (= Milchstrasse?) an den Himmel ägyptische Ein-
flüsse (jedenfalls spät) eingewirkt haben. Den Aegyptern ist ja der Nil
am Himmelsgewölbe ganz geläufig.
1) kuklos tes geneseos (fr. 226), o tes moiras trokhos, rota fati et gene-
rationis.
S. Lobeck 797 ff.
2) oi dautoi pateres te kai uiees en megaroisin (pollakis) ed alokhoi
semnai kednai te thugatres gignont allelon metameibomenesi genethlais fr. 225

losem Sonderleben und immer neuer Einkörperung, den weiten
„Kreis der Nothwendigkeit“, als Lebensgenossin vieler Leiber
von Menschen und Thieren. Hoffnungslos scheint sich das
„Rad der Geburten“ 1) in sich selbst zurückzudrehen; in orphi-
scher Dichtung (und dort vielleicht zuerst) taucht der trost-
lose Gedanke einer, beim Zusammentreffen gleicher Bedin-
gungen immer gleichen Wiederholung aller schon durchlebten
Lebenszustände auf 2), eines auch den Menschen in den Wirbel

lich nur ein Versuch solcher Ausgleichung ist es, wenn nach den Rhap-
sodien (fr. 224) die aus Menschen im Tode scheidenden Seelen zunächst
in den Hades geführt werden, die Seelen, die in Thieren gewohnt haben,
in der Luft flattern εἰσόκεν αὐτὰς ἄλλο ἀφαρπάζῃ μίγδην ἀνέμοιο πνοῇσιν.
Aristoteles weiss nichts von solcher Beschränkung. Plato, Phaed. 81 D.
(etwas anders 108 A. B.) droht, wie es scheint mit freier Benutzung or-
phischer Vorstellungen, allen μὴ καϑαρῶς ἀπολυϑεῖσαι ψυχαί ähnliches
Schicksal an, wie die Rhaps. den Thierseelen. (Annehmen liesse sich
ja, dass die ψυχαί, aus dem Hades zu neuer ἐνσωμάτωσις wieder ent-
lassen, zunächst eben im Winde um die Wohnplätze der Lebenden
schweben und so denn in einen neuen Leib eingeathmet werden. Wobei
immer noch ein praedestinirtes Zusammenkommen einer bestimmten Seele
mit dem, ihrem Läuterungszustande entsprechenden σῶμα denkbar bliebe).
— Einigen Einfluss auf die Einwurzelung der Vorstellung vom Luft-
aufenthalt der ψυχαί in späterer orphischer Dichtung mag auch das fast
populär gewordene (von Stoikern nicht zuerst aufgestellte, aber besonders
befestigte) Philosophem von dem Aufschweben der πνεύματα in ihr Ele-
ment, den Aether (wovon unten ein Wort), gewonnen haben. Und da
nun einmal das Seelenreich zum Theil in die Luft verlegt war, so deutete
diese spätorphische Dichtung auch den einen der vier Flüsse des Seelen-
reiches, den Ἀχέρων, als den ἀήρ (fr. 155. 156 [Rhaps.]). Hierin eine
Erinnerung an eine angeblich uralte Vorstellung zu sehen, nach welcher
auch der Okeanos eigentlich am Himmel floss u. s. w., ist trotz Bergk’s
phantasievollen Ausführungen (Opusc. 2, 691 ff. 696) keinerlei Grund. Die
Emporhebung des Seelenreiches in das Luftmeer ist unter Griechen
überall Ergebniss verhältnissmässig später, sehr nachträglich erst an-
gestellter Speculation. Man könnte sogar fragen, ob nicht bei der Ver-
setzung des Okeanos (= Milchstrasse?) an den Himmel ägyptische Ein-
flüsse (jedenfalls spät) eingewirkt haben. Den Aegyptern ist ja der Nil
am Himmelsgewölbe ganz geläufig.
1) κύκλος τῆς γενέσεως (fr. 226), ὁ τῆς μοίρας τροχός, rota fati et gene-
rationis.
S. Lobeck 797 ff.
2) οἱ δ̕αὐτοὶ πατέρες τε καὶ υἱέες ἐν μεγάροισιν (πολλάκις) ἠδ̕ ἄλοχοι
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[416/0432] losem Sonderleben und immer neuer Einkörperung, den weiten „Kreis der Nothwendigkeit“, als Lebensgenossin vieler Leiber von Menschen und Thieren. Hoffnungslos scheint sich das „Rad der Geburten“ 1) in sich selbst zurückzudrehen; in orphi- scher Dichtung (und dort vielleicht zuerst) taucht der trost- lose Gedanke einer, beim Zusammentreffen gleicher Bedin- gungen immer gleichen Wiederholung aller schon durchlebten Lebenszustände auf 2), eines auch den Menschen in den Wirbel 3) 1) κύκλος τῆς γενέσεως (fr. 226), ὁ τῆς μοίρας τροχός, rota fati et gene- rationis. S. Lobeck 797 ff. 2) οἱ δ̕αὐτοὶ πατέρες τε καὶ υἱέες ἐν μεγάροισιν (πολλάκις) ἠδ̕ ἄλοχοι σεμναὶ κεδναί τε ϑύγατρες γίγνοντ̕ ἀλλήλων μεταμειβομένῃσι γενέϑλαις fr. 225 3) lich nur ein Versuch solcher Ausgleichung ist es, wenn nach den Rhap- sodien (fr. 224) die aus Menschen im Tode scheidenden Seelen zunächst in den Hades geführt werden, die Seelen, die in Thieren gewohnt haben, in der Luft flattern εἰσόκεν αὐτὰς ἄλλο ἀφαρπάζῃ μίγδην ἀνέμοιο πνοῇσιν. Aristoteles weiss nichts von solcher Beschränkung. Plato, Phaed. 81 D. (etwas anders 108 A. B.) droht, wie es scheint mit freier Benutzung or- phischer Vorstellungen, allen μὴ καϑαρῶς ἀπολυϑεῖσαι ψυχαί ähnliches Schicksal an, wie die Rhaps. den Thierseelen. (Annehmen liesse sich ja, dass die ψυχαί, aus dem Hades zu neuer ἐνσωμάτωσις wieder ent- lassen, zunächst eben im Winde um die Wohnplätze der Lebenden schweben und so denn in einen neuen Leib eingeathmet werden. Wobei immer noch ein praedestinirtes Zusammenkommen einer bestimmten Seele mit dem, ihrem Läuterungszustande entsprechenden σῶμα denkbar bliebe). — Einigen Einfluss auf die Einwurzelung der Vorstellung vom Luft- aufenthalt der ψυχαί in späterer orphischer Dichtung mag auch das fast populär gewordene (von Stoikern nicht zuerst aufgestellte, aber besonders befestigte) Philosophem von dem Aufschweben der πνεύματα in ihr Ele- ment, den Aether (wovon unten ein Wort), gewonnen haben. Und da nun einmal das Seelenreich zum Theil in die Luft verlegt war, so deutete diese spätorphische Dichtung auch den einen der vier Flüsse des Seelen- reiches, den Ἀχέρων, als den ἀήρ (fr. 155. 156 [Rhaps.]). Hierin eine Erinnerung an eine angeblich uralte Vorstellung zu sehen, nach welcher auch der Okeanos eigentlich am Himmel floss u. s. w., ist trotz Bergk’s phantasievollen Ausführungen (Opusc. 2, 691 ff. 696) keinerlei Grund. Die Emporhebung des Seelenreiches in das Luftmeer ist unter Griechen überall Ergebniss verhältnissmässig später, sehr nachträglich erst an- gestellter Speculation. Man könnte sogar fragen, ob nicht bei der Ver- setzung des Okeanos (= Milchstrasse?) an den Himmel ägyptische Ein- flüsse (jedenfalls spät) eingewirkt haben. Den Aegyptern ist ja der Nil am Himmelsgewölbe ganz geläufig.

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 416. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/432>, abgerufen am 22.11.2024.