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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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Feuer die gänzliche Abtrennung der Seele vom Lande der
Lebenden gedacht wird 1), so muss man doch annehmen, dass
eben dieser Erfolg von den Ueberlebenden, die ihn selbst her-
beiführen, gewollt werde, dass also diese gänzliche Verbannung
der Psyche in den Hades der Zweck, die Absicht, dies zu
erreichen, der Entstehungsgrund des Leichenverbrennens war.
Vereinzelte Aussagen aus der Mitte solcher Völker, welche
an Verbrennung der Leichen gewöhnt waren, bezeichnen als
die hiebei verfolgte Absicht geradezu die schnelle und völlige
Scheidung der Seele vom Leibe 2). Je nach dem Stande des
Seelenglaubens färbt sich diese Absicht verschieden. Als die
Inder von der Sitte des Begrabens zu der der Verbrennung
des Leichnams übergingen, scheinen sie von der Vorstellung
geleitet worden zu sein, dass die Seele, vom Leibe und dessen
Mängeln schnell und völlig befreit, um so leichter zu der jen-
seitigen Welt der Frommen getragen werde 3). Von einer
"reinigenden" Kraft des Feuers, wie sie hier vorausgesetzt
wird, weiss in Griechenland erst späterer Glaube 4); die

1) S. namentlich Il. 23, 75. 76; Od. 11, 218--222.
2) Servius zur Aen. III 68: Aegyptii condita diutius servant cada-
vera, scilicet ut anima multo tempore perduret, et corpori sit obnoxia, nec
cito ad aliud transeat. Romani contra faciebant, comburentes cadavera, ut
statim anima in generalitatem i. e. in suam naturam rediret
(die pan-
theistische Färbung darf man abziehen). -- Vgl. den Bericht des Ibn
Foslan über die Begräbnisssitte der heidnischen Russen (nach Frähn an-
geführt von J. Grimm, Kl. Schr. II 292), wonach der Verbrennung die
Vorstellung zu Grunde lag, dass durch Begraben des unversehrten Leibes
weniger schnell als durch Zerstörung des Leibes im Feuer die Seele frei
werde und in's Paradies eile.
3) Vgl. in dem Hymnus des Rigveda (10, 16), der zur Leichenver-
brennung zu sprechen ist, namentlich Str. 2. 9 (bei Zimmer, Altind.
Leben
S. 402 f.), s. auch Rigv. 10, 14, 8 (Zimmer S. 409). -- Wiederkehr
der Todten in die Welt der Lebenden wollen auch die Inder verhüten.
Man legt dem Leichnam eine Fussfessel an, damit er nicht wiederkommen
könne (Zimmer S. 402).
4) Er liegt zu Grunde den Sagen von Demeter und Demophoon (oder
Triptolemos), Thetis und Achill, und wie die Göttin, das sterbliche Kind
in's Feuer legend, diesem perierei tas thnetas sarkas, ephtheiren o en auto
thneton, um es unsterblich zu machen (vgl. Preller, Demeter und Perseph. 112).

Feuer die gänzliche Abtrennung der Seele vom Lande der
Lebenden gedacht wird 1), so muss man doch annehmen, dass
eben dieser Erfolg von den Ueberlebenden, die ihn selbst her-
beiführen, gewollt werde, dass also diese gänzliche Verbannung
der Psyche in den Hades der Zweck, die Absicht, dies zu
erreichen, der Entstehungsgrund des Leichenverbrennens war.
Vereinzelte Aussagen aus der Mitte solcher Völker, welche
an Verbrennung der Leichen gewöhnt waren, bezeichnen als
die hiebei verfolgte Absicht geradezu die schnelle und völlige
Scheidung der Seele vom Leibe 2). Je nach dem Stande des
Seelenglaubens färbt sich diese Absicht verschieden. Als die
Inder von der Sitte des Begrabens zu der der Verbrennung
des Leichnams übergingen, scheinen sie von der Vorstellung
geleitet worden zu sein, dass die Seele, vom Leibe und dessen
Mängeln schnell und völlig befreit, um so leichter zu der jen-
seitigen Welt der Frommen getragen werde 3). Von einer
„reinigenden“ Kraft des Feuers, wie sie hier vorausgesetzt
wird, weiss in Griechenland erst späterer Glaube 4); die

1) S. namentlich Il. 23, 75. 76; Od. 11, 218—222.
2) Servius zur Aen. III 68: Aegyptii condita diutius servant cada-
vera, scilicet ut anima multo tempore perduret, et corpori sit obnoxia, nec
cito ad aliud transeat. Romani contra faciebant, comburentes cadavera, ut
statim anima in generalitatem i. e. in suam naturam rediret
(die pan-
theistische Färbung darf man abziehen). — Vgl. den Bericht des Ibn
Foslan über die Begräbnisssitte der heidnischen Russen (nach Frähn an-
geführt von J. Grimm, Kl. Schr. II 292), wonach der Verbrennung die
Vorstellung zu Grunde lag, dass durch Begraben des unversehrten Leibes
weniger schnell als durch Zerstörung des Leibes im Feuer die Seele frei
werde und in’s Paradies eile.
3) Vgl. in dem Hymnus des Rigveda (10, 16), der zur Leichenver-
brennung zu sprechen ist, namentlich Str. 2. 9 (bei Zimmer, Altind.
Leben
S. 402 f.), s. auch Rigv. 10, 14, 8 (Zimmer S. 409). — Wiederkehr
der Todten in die Welt der Lebenden wollen auch die Inder verhüten.
Man legt dem Leichnam eine Fussfessel an, damit er nicht wiederkommen
könne (Zimmer S. 402).
4) Er liegt zu Grunde den Sagen von Demeter und Demophoon (oder
Triptolemos), Thetis und Achill, und wie die Göttin, das sterbliche Kind
in’s Feuer legend, diesem περιῄρει τὰς ϑνητὰς σάρκας, ἔφϑειρεν ὅ ἦν αὐτῷ
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[29/0045] Feuer die gänzliche Abtrennung der Seele vom Lande der Lebenden gedacht wird 1), so muss man doch annehmen, dass eben dieser Erfolg von den Ueberlebenden, die ihn selbst her- beiführen, gewollt werde, dass also diese gänzliche Verbannung der Psyche in den Hades der Zweck, die Absicht, dies zu erreichen, der Entstehungsgrund des Leichenverbrennens war. Vereinzelte Aussagen aus der Mitte solcher Völker, welche an Verbrennung der Leichen gewöhnt waren, bezeichnen als die hiebei verfolgte Absicht geradezu die schnelle und völlige Scheidung der Seele vom Leibe 2). Je nach dem Stande des Seelenglaubens färbt sich diese Absicht verschieden. Als die Inder von der Sitte des Begrabens zu der der Verbrennung des Leichnams übergingen, scheinen sie von der Vorstellung geleitet worden zu sein, dass die Seele, vom Leibe und dessen Mängeln schnell und völlig befreit, um so leichter zu der jen- seitigen Welt der Frommen getragen werde 3). Von einer „reinigenden“ Kraft des Feuers, wie sie hier vorausgesetzt wird, weiss in Griechenland erst späterer Glaube 4); die 1) S. namentlich Il. 23, 75. 76; Od. 11, 218—222. 2) Servius zur Aen. III 68: Aegyptii condita diutius servant cada- vera, scilicet ut anima multo tempore perduret, et corpori sit obnoxia, nec cito ad aliud transeat. Romani contra faciebant, comburentes cadavera, ut statim anima in generalitatem i. e. in suam naturam rediret (die pan- theistische Färbung darf man abziehen). — Vgl. den Bericht des Ibn Foslan über die Begräbnisssitte der heidnischen Russen (nach Frähn an- geführt von J. Grimm, Kl. Schr. II 292), wonach der Verbrennung die Vorstellung zu Grunde lag, dass durch Begraben des unversehrten Leibes weniger schnell als durch Zerstörung des Leibes im Feuer die Seele frei werde und in’s Paradies eile. 3) Vgl. in dem Hymnus des Rigveda (10, 16), der zur Leichenver- brennung zu sprechen ist, namentlich Str. 2. 9 (bei Zimmer, Altind. Leben S. 402 f.), s. auch Rigv. 10, 14, 8 (Zimmer S. 409). — Wiederkehr der Todten in die Welt der Lebenden wollen auch die Inder verhüten. Man legt dem Leichnam eine Fussfessel an, damit er nicht wiederkommen könne (Zimmer S. 402). 4) Er liegt zu Grunde den Sagen von Demeter und Demophoon (oder Triptolemos), Thetis und Achill, und wie die Göttin, das sterbliche Kind in’s Feuer legend, diesem περιῄρει τὰς ϑνητὰς σάρκας, ἔφϑειρεν ὅ ἦν αὐτῷ ϑνητόν, um es unsterblich zu machen (vgl. Preller, Demeter und Perseph. 112).

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/45>, abgerufen am 21.11.2024.