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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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serungen seiner, freilich erst durch den Zutritt der "Psyche"
zu wirklichem Leben erwachenden eigenen Lebenskraft, der
"Psyche" des homerischen Sprachgebrauchs fast entgegenge-
setzt, im Tode vergehend, wenn die Psyche zu abgesondertem
Schattenleben von dannen schwebt.

Aber die Seele hat nach der Vorstellung der Physiologen
ein ganz anderes Verhältniss zu der Gesammtheit des Lebens
und des Lebendigen, als der homerische thumos oder die home-
rische "Psyche" haben konnten. Dieselbe Kraft, die in der
Psyche des Menschen, wie in einer örtlichen Anhäufung, be-
sonders bemerklich wird, wirkt und waltet in allem Stofflichen,
als das Eine Lebendige, das die Welt bildet und erhält. Die
Psyche verliert ihre unterscheidende Eigenthümlichkeit, die sie
von allen übrigen Dingen und Wesenheiten der Welt absonderte
und unvergleichbar machte. Mit Unrecht finden späte Bericht-
erstatter schon bei diesen ionischen Denkern, denen Lebens-
kraft und Stoff unmittelbar und unlöslich vereint erschienen,
die Vorstellung einer für sich bestehenden Weltseele. Nicht
als Ausstrahlung der Einen Seele der Welt erschien ihnen die
einzelne Menschenseele, aber auch nicht als ein schlechthin
für sich bestehendes, einzigartiges und mit nichts Anderem
vergleichbares Wesen. Was in ihr sich darstellt, das ist die
Eine Kraft, die überall, in allen Erscheinungen der Welt,
Leben wirkt und selbst das Leben ist. Dem Urgrund der

Doppelgänger des sichtbaren Menschen, den die Volkspsychologie als
psukhe kannte, ausser Betrachtung blieb und das Wort psukhe zur Benennung
des gesammten geistigen Inhaltes des Menschen frei wurde. Vom fünften
Jahrhundert an findet man auch im Sprachgebrauch nichtphilosophischer
Dichter und Prosaschriftsteller psukhe ganz gewöhnlich, ja der Regel nach
in diesem Sinne verwandt. Nur Theologen und theologisirende Dichter
oder Philosophen haben dem Worte durchaus seinen alten und ursprüng-
lichen Sinn bewahrt. Und wo es sich um das im Tode von dem Leibe
des Menschen sich abtrennende Geisteswesen handelt, ist als dessen Be-
zeichnung durch alle Zeiten und auch im populären Ausdruck das Wort
psukhe beibehalten worden. (Ganz selten einmal wird, wie Il. H 131,
thumos so verwendet; thumon-aither lampros ekhei: Pseudoaristot. Pepl. 61,
wo in dem entsprechenden Epigramm, Kaibel 41, psukhen steht.)

serungen seiner, freilich erst durch den Zutritt der „Psyche“
zu wirklichem Leben erwachenden eigenen Lebenskraft, der
„Psyche“ des homerischen Sprachgebrauchs fast entgegenge-
setzt, im Tode vergehend, wenn die Psyche zu abgesondertem
Schattenleben von dannen schwebt.

Aber die Seele hat nach der Vorstellung der Physiologen
ein ganz anderes Verhältniss zu der Gesammtheit des Lebens
und des Lebendigen, als der homerische ϑυμός oder die home-
rische „Psyche“ haben konnten. Dieselbe Kraft, die in der
Psyche des Menschen, wie in einer örtlichen Anhäufung, be-
sonders bemerklich wird, wirkt und waltet in allem Stofflichen,
als das Eine Lebendige, das die Welt bildet und erhält. Die
Psyche verliert ihre unterscheidende Eigenthümlichkeit, die sie
von allen übrigen Dingen und Wesenheiten der Welt absonderte
und unvergleichbar machte. Mit Unrecht finden späte Bericht-
erstatter schon bei diesen ionischen Denkern, denen Lebens-
kraft und Stoff unmittelbar und unlöslich vereint erschienen,
die Vorstellung einer für sich bestehenden Weltseele. Nicht
als Ausstrahlung der Einen Seele der Welt erschien ihnen die
einzelne Menschenseele, aber auch nicht als ein schlechthin
für sich bestehendes, einzigartiges und mit nichts Anderem
vergleichbares Wesen. Was in ihr sich darstellt, das ist die
Eine Kraft, die überall, in allen Erscheinungen der Welt,
Leben wirkt und selbst das Leben ist. Dem Urgrund der

Doppelgänger des sichtbaren Menschen, den die Volkspsychologie als
ψυχή kannte, ausser Betrachtung blieb und das Wort ψυχή zur Benennung
des gesammten geistigen Inhaltes des Menschen frei wurde. Vom fünften
Jahrhundert an findet man auch im Sprachgebrauch nichtphilosophischer
Dichter und Prosaschriftsteller ψυχή ganz gewöhnlich, ja der Regel nach
in diesem Sinne verwandt. Nur Theologen und theologisirende Dichter
oder Philosophen haben dem Worte durchaus seinen alten und ursprüng-
lichen Sinn bewahrt. Und wo es sich um das im Tode von dem Leibe
des Menschen sich abtrennende Geisteswesen handelt, ist als dessen Be-
zeichnung durch alle Zeiten und auch im populären Ausdruck das Wort
ψυχή beibehalten worden. (Ganz selten einmal wird, wie Il. H 131,
ϑυμός so verwendet; ϑυμὸν-αἰϑὴρ λαμπρὸς ἔχει: Pseudoaristot. Pepl. 61,
wo in dem entsprechenden Epigramm, Kaibel 41, ψυχὴν steht.)
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[434/0450] serungen seiner, freilich erst durch den Zutritt der „Psyche“ zu wirklichem Leben erwachenden eigenen Lebenskraft, der „Psyche“ des homerischen Sprachgebrauchs fast entgegenge- setzt, im Tode vergehend, wenn die Psyche zu abgesondertem Schattenleben von dannen schwebt. Aber die Seele hat nach der Vorstellung der Physiologen ein ganz anderes Verhältniss zu der Gesammtheit des Lebens und des Lebendigen, als der homerische ϑυμός oder die home- rische „Psyche“ haben konnten. Dieselbe Kraft, die in der Psyche des Menschen, wie in einer örtlichen Anhäufung, be- sonders bemerklich wird, wirkt und waltet in allem Stofflichen, als das Eine Lebendige, das die Welt bildet und erhält. Die Psyche verliert ihre unterscheidende Eigenthümlichkeit, die sie von allen übrigen Dingen und Wesenheiten der Welt absonderte und unvergleichbar machte. Mit Unrecht finden späte Bericht- erstatter schon bei diesen ionischen Denkern, denen Lebens- kraft und Stoff unmittelbar und unlöslich vereint erschienen, die Vorstellung einer für sich bestehenden Weltseele. Nicht als Ausstrahlung der Einen Seele der Welt erschien ihnen die einzelne Menschenseele, aber auch nicht als ein schlechthin für sich bestehendes, einzigartiges und mit nichts Anderem vergleichbares Wesen. Was in ihr sich darstellt, das ist die Eine Kraft, die überall, in allen Erscheinungen der Welt, Leben wirkt und selbst das Leben ist. Dem Urgrund der 1) 1) Doppelgänger des sichtbaren Menschen, den die Volkspsychologie als ψυχή kannte, ausser Betrachtung blieb und das Wort ψυχή zur Benennung des gesammten geistigen Inhaltes des Menschen frei wurde. Vom fünften Jahrhundert an findet man auch im Sprachgebrauch nichtphilosophischer Dichter und Prosaschriftsteller ψυχή ganz gewöhnlich, ja der Regel nach in diesem Sinne verwandt. Nur Theologen und theologisirende Dichter oder Philosophen haben dem Worte durchaus seinen alten und ursprüng- lichen Sinn bewahrt. Und wo es sich um das im Tode von dem Leibe des Menschen sich abtrennende Geisteswesen handelt, ist als dessen Be- zeichnung durch alle Zeiten und auch im populären Ausdruck das Wort ψυχή beibehalten worden. (Ganz selten einmal wird, wie Il. H 131, ϑυμός so verwendet; ϑυμὸν-αἰϑὴρ λαμπρὸς ἔχει: Pseudoaristot. Pepl. 61, wo in dem entsprechenden Epigramm, Kaibel 41, ψυχὴν steht.)

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 434. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/450>, abgerufen am 22.11.2024.