Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.seele den lebengebenden Zusammenhang mit der "gemein- Einen Tod in absoluter Bedeutung, ein Ende, dem kein 1) Dass Heraklit aus seiner Lehre vom unaufhörlichen, jede bleibende
Identität eines Gegenstandes mit sich selbst ausschliessenden Stoffwechsel (fr. 40. 41. 42. 81) auch für die "Seele", den geistigen Menschen, die nothwendige, oben in freier Umschreibung ausgedrückte Consequenz ge- zogen habe, ist namentlich aus Plutarch's Ausführungen in dem ganz aus den Gedanken des (zweimal darin ausdrücklich citirten) Heraklit auf- gebauten 18. Capitel der Schrift de EI Delph. zu entnehmen. Es stirbt nicht nur o neos eis ton akmazonta ktl., sondern o khthes (anthropos) eis ton semeron tethneken, o de semeron eis ton aurion apothneskei. menei d oudeis, oud estin eis, alla gignometha polloi peri en phantasma ktl. Vgl. cons. ad Apoll. 10. Auf Heraklit geht jedenfalls auch zurück, was Plato, Sympos. 207 D ff. ausführt: wie jeder Mensch nur scheinbar einer und sich selbst gleich sei, in Wahrheit schon im Leben stets "einen anderen und neuen Menschen statt des alten und abgängigen zurücklasse", und dies wie am Körper so auch an der Seele. (Nur auf diesem, hier von Plato zugunsten der ihm gerade bequemen Argumentation vorübergehend eingenommenen Standpunkte heraklitischer Lehre rechtfertigt sich auch der Schluss: nur durch die fortwährende Substituirung eines neuen Wesens, das dem alten ähnlich sei, habe der Mensch Unsterblichkeit, nicht in ewiger Erhaltung des eigenen Wesens, wie sie dem Göttlichen eigen sei. Als ernstlich ge- meinte Lehre des Plato selbst lässt sich dies auf keine Weise verstehn.) -- Mit der heraklitischen Vernichtung der persönlichen Einheit des Menschen spielt schon Epicharmos (oder ein Pseudoepicharm?) bei Laert. Diog. 3, 11, v. 13--18 (vgl. Wyttenbach ad Plut. ser. n. vind. 559 A [Moral. VII p. 397 f. Oxon.]; Bernays, Rhein. Mus. 8, 280 ff.). Vgl. auch Seneca, epist. 58, 23. seele den lebengebenden Zusammenhang mit der „gemein- Einen Tod in absoluter Bedeutung, ein Ende, dem kein 1) Dass Heraklit aus seiner Lehre vom unaufhörlichen, jede bleibende
Identität eines Gegenstandes mit sich selbst ausschliessenden Stoffwechsel (fr. 40. 41. 42. 81) auch für die „Seele“, den geistigen Menschen, die nothwendige, oben in freier Umschreibung ausgedrückte Consequenz ge- zogen habe, ist namentlich aus Plutarch’s Ausführungen in dem ganz aus den Gedanken des (zweimal darin ausdrücklich citirten) Heraklit auf- gebauten 18. Capitel der Schrift de EI Delph. zu entnehmen. Es stirbt nicht nur ὁ νέος εἰς τὸν ἀκμάζοντα κτλ., sondern ὁ χϑὲς (ἄνϑρωπος) εἰς τὸν σήμερον τέϑνηκεν, ὁ δὲ σήμερον εἰς τὸν αὔριον ἀποϑνήσκει. μένει δ̕ οὐδείς, οὐδ̕ ἔστιν εἷς, ἀλλὰ γιγνόμεϑα πολλοὶ περὶ ἓν φάντασμα κτλ. Vgl. cons. ad Apoll. 10. Auf Heraklit geht jedenfalls auch zurück, was Plato, Sympos. 207 D ff. ausführt: wie jeder Mensch nur scheinbar einer und sich selbst gleich sei, in Wahrheit schon im Leben stets „einen anderen und neuen Menschen statt des alten und abgängigen zurücklasse“, und dies wie am Körper so auch an der Seele. (Nur auf diesem, hier von Plato zugunsten der ihm gerade bequemen Argumentation vorübergehend eingenommenen Standpunkte heraklitischer Lehre rechtfertigt sich auch der Schluss: nur durch die fortwährende Substituirung eines neuen Wesens, das dem alten ähnlich sei, habe der Mensch Unsterblichkeit, nicht in ewiger Erhaltung des eigenen Wesens, wie sie dem Göttlichen eigen sei. Als ernstlich ge- meinte Lehre des Plato selbst lässt sich dies auf keine Weise verstehn.) — Mit der heraklitischen Vernichtung der persönlichen Einheit des Menschen spielt schon Epicharmos (oder ein Pseudoepicharm?) bei Laert. Diog. 3, 11, v. 13—18 (vgl. Wyttenbach ad Plut. ser. n. vind. 559 A [Moral. VII p. 397 f. Oxon.]; Bernays, Rhein. Mus. 8, 280 ff.). Vgl. auch Seneca, epist. 58, 23. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0456" n="440"/> seele den lebengebenden Zusammenhang mit der „gemein-<lb/> samen Welt“: im Schlaf und Traume, der sie in ihre eigene<lb/> Welt einschliesst (<hi rendition="#i">fr.</hi> 94. 95), und schon ein halber Tod ist.<lb/> Zeitweilig auch neigt die Seele zu einer nicht wieder durch<lb/> neues Feuer ersetzten Umbildung in Feuchtigkeit: der Trun-<lb/> kene hat eine „feuchte Seele“ (<hi rendition="#i">fr.</hi> 73). Und es kommt der<lb/> Augenblick, in dem die Seele des Menschen nicht mehr er-<lb/> setzen kann, was bei der Umwandlung der Stoffe ihr an Lebens-<lb/> feuer entzogen wird. Dann stirbt sie. Die letzte der An-<lb/> sammlungen lebendigen Feuers, die in ihrer Aufeinanderfolge<lb/> die menschliche „Seele“ darstellten, ereilt der Tod <note place="foot" n="1)">Dass Heraklit aus seiner Lehre vom unaufhörlichen, jede bleibende<lb/> Identität eines Gegenstandes mit sich selbst ausschliessenden Stoffwechsel<lb/> (<hi rendition="#i">fr.</hi> 40. 41. 42. 81) auch für die „Seele“, den geistigen Menschen, die<lb/> nothwendige, oben in freier Umschreibung ausgedrückte Consequenz ge-<lb/> zogen habe, ist namentlich aus Plutarch’s Ausführungen in dem ganz aus<lb/> den Gedanken des (zweimal darin ausdrücklich citirten) Heraklit auf-<lb/> gebauten 18. Capitel der Schrift <hi rendition="#i">de EI Delph.</hi> zu entnehmen. Es stirbt<lb/> nicht nur ὁ νέος εἰς τὸν ἀκμάζοντα κτλ., sondern ὁ χϑὲς (ἄνϑρωπος) εἰς τὸν<lb/> σήμερον τέϑνηκεν, ὁ δὲ σήμερον εἰς τὸν αὔριον ἀποϑνήσκει. μένει δ̕ οὐδείς,<lb/> οὐδ̕ ἔστιν εἷς, ἀλλὰ γιγνόμεϑα πολλοὶ περὶ ἓν φάντασμα κτλ. Vgl. <hi rendition="#i">cons. ad<lb/> Apoll.</hi> 10. Auf Heraklit geht jedenfalls auch zurück, was Plato, <hi rendition="#i">Sympos.</hi><lb/> 207 D ff. ausführt: wie jeder Mensch nur scheinbar einer und sich selbst<lb/> gleich sei, in Wahrheit schon im Leben stets „einen anderen und neuen<lb/> Menschen statt des alten und abgängigen zurücklasse“, und dies wie am<lb/> Körper so auch an der Seele. (Nur auf diesem, hier von Plato zugunsten<lb/> der ihm gerade bequemen Argumentation vorübergehend eingenommenen<lb/> Standpunkte heraklitischer Lehre rechtfertigt sich auch der Schluss: nur<lb/> durch die fortwährende Substituirung eines neuen Wesens, das dem alten<lb/> ähnlich sei, habe der Mensch Unsterblichkeit, nicht in ewiger Erhaltung<lb/> des eigenen Wesens, wie sie dem Göttlichen eigen sei. Als ernstlich ge-<lb/> meinte Lehre des Plato selbst lässt sich dies auf keine Weise verstehn.)<lb/> — Mit der heraklitischen Vernichtung der persönlichen Einheit des<lb/> Menschen spielt schon Epicharmos (oder ein Pseudoepicharm?) bei Laert.<lb/> Diog. 3, 11, v. 13—18 (vgl. Wyttenbach ad Plut. <hi rendition="#i">ser. n. vind.</hi> 559 A<lb/> [<hi rendition="#i">Moral.</hi> VII p. 397 f. Oxon.]; Bernays, <hi rendition="#i">Rhein. Mus.</hi> 8, 280 ff.). Vgl. auch<lb/> Seneca, <hi rendition="#i">epist.</hi> 58, 23.</note>.</p><lb/> <p>Einen Tod in absoluter Bedeutung, ein Ende, dem kein<lb/> Anfang wieder folgte, einen unbedingten Abschluss des Werdens<lb/> giebt es in Heraklit’s Welt nirgends. „Tod“ ist ihm nur der<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [440/0456]
seele den lebengebenden Zusammenhang mit der „gemein-
samen Welt“: im Schlaf und Traume, der sie in ihre eigene
Welt einschliesst (fr. 94. 95), und schon ein halber Tod ist.
Zeitweilig auch neigt die Seele zu einer nicht wieder durch
neues Feuer ersetzten Umbildung in Feuchtigkeit: der Trun-
kene hat eine „feuchte Seele“ (fr. 73). Und es kommt der
Augenblick, in dem die Seele des Menschen nicht mehr er-
setzen kann, was bei der Umwandlung der Stoffe ihr an Lebens-
feuer entzogen wird. Dann stirbt sie. Die letzte der An-
sammlungen lebendigen Feuers, die in ihrer Aufeinanderfolge
die menschliche „Seele“ darstellten, ereilt der Tod 1).
Einen Tod in absoluter Bedeutung, ein Ende, dem kein
Anfang wieder folgte, einen unbedingten Abschluss des Werdens
giebt es in Heraklit’s Welt nirgends. „Tod“ ist ihm nur der
1) Dass Heraklit aus seiner Lehre vom unaufhörlichen, jede bleibende
Identität eines Gegenstandes mit sich selbst ausschliessenden Stoffwechsel
(fr. 40. 41. 42. 81) auch für die „Seele“, den geistigen Menschen, die
nothwendige, oben in freier Umschreibung ausgedrückte Consequenz ge-
zogen habe, ist namentlich aus Plutarch’s Ausführungen in dem ganz aus
den Gedanken des (zweimal darin ausdrücklich citirten) Heraklit auf-
gebauten 18. Capitel der Schrift de EI Delph. zu entnehmen. Es stirbt
nicht nur ὁ νέος εἰς τὸν ἀκμάζοντα κτλ., sondern ὁ χϑὲς (ἄνϑρωπος) εἰς τὸν
σήμερον τέϑνηκεν, ὁ δὲ σήμερον εἰς τὸν αὔριον ἀποϑνήσκει. μένει δ̕ οὐδείς,
οὐδ̕ ἔστιν εἷς, ἀλλὰ γιγνόμεϑα πολλοὶ περὶ ἓν φάντασμα κτλ. Vgl. cons. ad
Apoll. 10. Auf Heraklit geht jedenfalls auch zurück, was Plato, Sympos.
207 D ff. ausführt: wie jeder Mensch nur scheinbar einer und sich selbst
gleich sei, in Wahrheit schon im Leben stets „einen anderen und neuen
Menschen statt des alten und abgängigen zurücklasse“, und dies wie am
Körper so auch an der Seele. (Nur auf diesem, hier von Plato zugunsten
der ihm gerade bequemen Argumentation vorübergehend eingenommenen
Standpunkte heraklitischer Lehre rechtfertigt sich auch der Schluss: nur
durch die fortwährende Substituirung eines neuen Wesens, das dem alten
ähnlich sei, habe der Mensch Unsterblichkeit, nicht in ewiger Erhaltung
des eigenen Wesens, wie sie dem Göttlichen eigen sei. Als ernstlich ge-
meinte Lehre des Plato selbst lässt sich dies auf keine Weise verstehn.)
— Mit der heraklitischen Vernichtung der persönlichen Einheit des
Menschen spielt schon Epicharmos (oder ein Pseudoepicharm?) bei Laert.
Diog. 3, 11, v. 13—18 (vgl. Wyttenbach ad Plut. ser. n. vind. 559 A
[Moral. VII p. 397 f. Oxon.]; Bernays, Rhein. Mus. 8, 280 ff.). Vgl. auch
Seneca, epist. 58, 23.
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