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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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theologische Moral, ihrer Natur nach wesentlich negativ, war
auch hier auf eine Abwehr des von aussen her die Seele um-
strickenden und befleckenden Bösen eingeschränkt 1). Es gilt
nur, die Seele rein zu bewahren; nicht sie sittlich umzubilden,
nur sie von fremdem Uebel zu befreien. Unveränderlich steht
die Thatsache ihrer Unsterblichkeit, ihrer Ewigkeit fest: wie
sie von jeher war, so wird sie für immer sein und leben 2).
Sie aus diesem Erdenleben endlich ganz herauszuheben und
einem göttlich freien Dasein zurückzugeben, war jedenfalls
letztes Ziel 3). --

Pythagoreer, den alten Pythagoreern alle solche superstitiöse Vorstel-
lungen und Vorschriften abspricht, so gilt doch sein Zeugniss in Wahr-
heit nur für jene pythagoreischen Gelehrten, mit denen er verkehrte und
die ihm, anders als die (allerdings entarteten) asketischen Pythagoristen
der gleichen Zeit, den wahren Geist des alten Pythagoreerthums bewahrt
zu haben schienen. Alles weist aber darauf hin, dass das Wirksame in
dem noch lebendigen Sectenwesen, wie es Pythagoras begründet hatte, in
dem religiösen und mystisch-doctrinären Elemente wurzelte, dass eben das
im Pythagoreismus das älteste war, was er mit dem Glauben und der
religiösen Zucht der Orphiker gemein hat. Und hiezu gehört namentlich
das, was uns als altpythagoreische Askese geschildert wird. Altpytha-
goreisches Gut, freilich mit vielerlei fremden und jungen Bestandtheilen
vermischt, liegt denn auch in manchen der akousmata oder sumbola der
Pythagoreer vor, vornehmlich in denjenigen von ihnen (und sie sind zahl-
reich) die eine Vorschrift ritualer oder einfach superstitiöser Art geben.
Eine erneute Sammlung, Ordnung und Erläuterung dieser merkwürdigen
Bruchstücke könnte recht nützlich sein; Goettlings durchweg rationalisirende
Behandlung ist ihnen nicht gerecht geworden.
1) Bestrebungen in einer positiveren Richtung könnte man in Aus-
übung jener musikalischen katharsis ausgedrückt finden wollen, die Pytha-
goras und die Seinen nach einem kunstvollen System übten (vgl. Jamblich.
V. P. 64 ff.; 110 ff.; Schol. V. Il. 22, 391. Auch Quintil. inst. or. 9, 4, 12;
Porphyr. V. Pyth. 33 u. s. w.). -- Was von pythagoreischer Moral und
moralischer Paraenese und Erziehung, meist in völlig rationalistischem
Sinne, von Aristoxenos berichtet wird, hat kaum geschichtlichen Werth.
2) Gut formulirt den pythagoreischen Glauben Max. Tyr. diss. 16, I
287 R.: Puthagoras protos en tois Ellesin etolmesen eipein, oti auto to
men soma tethnexetai, e de psukhe anaptasa oikhesetai, athanes kai ageros;
kai gar einai auten prin ekein deuro. d. h. das Leben der Seele ist
nicht nur endlos sondern auch anfangslos, die Seele ist unsterblich, weil
sie ewig ist.
3) Das Ausscheiden der Seele aus dem kuklos anagkes, ihre Rück-

theologische Moral, ihrer Natur nach wesentlich negativ, war
auch hier auf eine Abwehr des von aussen her die Seele um-
strickenden und befleckenden Bösen eingeschränkt 1). Es gilt
nur, die Seele rein zu bewahren; nicht sie sittlich umzubilden,
nur sie von fremdem Uebel zu befreien. Unveränderlich steht
die Thatsache ihrer Unsterblichkeit, ihrer Ewigkeit fest: wie
sie von jeher war, so wird sie für immer sein und leben 2).
Sie aus diesem Erdenleben endlich ganz herauszuheben und
einem göttlich freien Dasein zurückzugeben, war jedenfalls
letztes Ziel 3). —

Pythagoreer, den alten Pythagoreern alle solche superstitiöse Vorstel-
lungen und Vorschriften abspricht, so gilt doch sein Zeugniss in Wahr-
heit nur für jene pythagoreischen Gelehrten, mit denen er verkehrte und
die ihm, anders als die (allerdings entarteten) asketischen Pythagoristen
der gleichen Zeit, den wahren Geist des alten Pythagoreerthums bewahrt
zu haben schienen. Alles weist aber darauf hin, dass das Wirksame in
dem noch lebendigen Sectenwesen, wie es Pythagoras begründet hatte, in
dem religiösen und mystisch-doctrinären Elemente wurzelte, dass eben das
im Pythagoreismus das älteste war, was er mit dem Glauben und der
religiösen Zucht der Orphiker gemein hat. Und hiezu gehört namentlich
das, was uns als altpythagoreische Askese geschildert wird. Altpytha-
goreisches Gut, freilich mit vielerlei fremden und jungen Bestandtheilen
vermischt, liegt denn auch in manchen der ἀκούσματα oder σύμβολα der
Pythagoreer vor, vornehmlich in denjenigen von ihnen (und sie sind zahl-
reich) die eine Vorschrift ritualer oder einfach superstitiöser Art geben.
Eine erneute Sammlung, Ordnung und Erläuterung dieser merkwürdigen
Bruchstücke könnte recht nützlich sein; Goettlings durchweg rationalisirende
Behandlung ist ihnen nicht gerecht geworden.
1) Bestrebungen in einer positiveren Richtung könnte man in Aus-
übung jener musikalischen κάϑαρσις ausgedrückt finden wollen, die Pytha-
goras und die Seinen nach einem kunstvollen System übten (vgl. Jamblich.
V. P. 64 ff.; 110 ff.; Schol. V. Il. 22, 391. Auch Quintil. inst. or. 9, 4, 12;
Porphyr. V. Pyth. 33 u. s. w.). — Was von pythagoreischer Moral und
moralischer Paraenese und Erziehung, meist in völlig rationalistischem
Sinne, von Aristoxenos berichtet wird, hat kaum geschichtlichen Werth.
2) Gut formulirt den pythagoreischen Glauben Max. Tyr. diss. 16, I
287 R.: Πυϑαγόρας πρῶτος ἐν τοῖς Ἕλλησιν ἐτόλμησεν εἰπεῖν, ὅτι αὐτῷ τὸ
μὲν σῶμα τεϑνήξεται, ἡ δὲ ψυχὴ ἀναπτᾶσα οἰχήσεται, ἀϑανὴς καὶ ἀγήρως·
καὶ γὰρ εἶναι αὐτὴν πρὶν ἥκειν δεῦρο. d. h. das Leben der Seele ist
nicht nur endlos sondern auch anfangslos, die Seele ist unsterblich, weil
sie ewig ist.
3) Das Ausscheiden der Seele aus dem κύκλος ἀνάγκης͵ ihre Rück-
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[458/0474] theologische Moral, ihrer Natur nach wesentlich negativ, war auch hier auf eine Abwehr des von aussen her die Seele um- strickenden und befleckenden Bösen eingeschränkt 1). Es gilt nur, die Seele rein zu bewahren; nicht sie sittlich umzubilden, nur sie von fremdem Uebel zu befreien. Unveränderlich steht die Thatsache ihrer Unsterblichkeit, ihrer Ewigkeit fest: wie sie von jeher war, so wird sie für immer sein und leben 2). Sie aus diesem Erdenleben endlich ganz herauszuheben und einem göttlich freien Dasein zurückzugeben, war jedenfalls letztes Ziel 3). — 4) 1) Bestrebungen in einer positiveren Richtung könnte man in Aus- übung jener musikalischen κάϑαρσις ausgedrückt finden wollen, die Pytha- goras und die Seinen nach einem kunstvollen System übten (vgl. Jamblich. V. P. 64 ff.; 110 ff.; Schol. V. Il. 22, 391. Auch Quintil. inst. or. 9, 4, 12; Porphyr. V. Pyth. 33 u. s. w.). — Was von pythagoreischer Moral und moralischer Paraenese und Erziehung, meist in völlig rationalistischem Sinne, von Aristoxenos berichtet wird, hat kaum geschichtlichen Werth. 2) Gut formulirt den pythagoreischen Glauben Max. Tyr. diss. 16, I 287 R.: Πυϑαγόρας πρῶτος ἐν τοῖς Ἕλλησιν ἐτόλμησεν εἰπεῖν, ὅτι αὐτῷ τὸ μὲν σῶμα τεϑνήξεται, ἡ δὲ ψυχὴ ἀναπτᾶσα οἰχήσεται, ἀϑανὴς καὶ ἀγήρως· καὶ γὰρ εἶναι αὐτὴν πρὶν ἥκειν δεῦρο. d. h. das Leben der Seele ist nicht nur endlos sondern auch anfangslos, die Seele ist unsterblich, weil sie ewig ist. 3) Das Ausscheiden der Seele aus dem κύκλος ἀνάγκης͵ ihre Rück- 4) Pythagoreer, den alten Pythagoreern alle solche superstitiöse Vorstel- lungen und Vorschriften abspricht, so gilt doch sein Zeugniss in Wahr- heit nur für jene pythagoreischen Gelehrten, mit denen er verkehrte und die ihm, anders als die (allerdings entarteten) asketischen Pythagoristen der gleichen Zeit, den wahren Geist des alten Pythagoreerthums bewahrt zu haben schienen. Alles weist aber darauf hin, dass das Wirksame in dem noch lebendigen Sectenwesen, wie es Pythagoras begründet hatte, in dem religiösen und mystisch-doctrinären Elemente wurzelte, dass eben das im Pythagoreismus das älteste war, was er mit dem Glauben und der religiösen Zucht der Orphiker gemein hat. Und hiezu gehört namentlich das, was uns als altpythagoreische Askese geschildert wird. Altpytha- goreisches Gut, freilich mit vielerlei fremden und jungen Bestandtheilen vermischt, liegt denn auch in manchen der ἀκούσματα oder σύμβολα der Pythagoreer vor, vornehmlich in denjenigen von ihnen (und sie sind zahl- reich) die eine Vorschrift ritualer oder einfach superstitiöser Art geben. Eine erneute Sammlung, Ordnung und Erläuterung dieser merkwürdigen Bruchstücke könnte recht nützlich sein; Goettlings durchweg rationalisirende Behandlung ist ihnen nicht gerecht geworden.

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 458. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/474>, abgerufen am 22.11.2024.