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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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durchaus unterschieden, ja dieser entgegengesetzt sieht. Sie
ist in das natürliche Leben verstrickt, aber als in eine ihr
fremde Welt, in welcher sie sich als geschlossenes Einzelwesen
unvermindert erhält, aus der sie für sich allein sich ablöst, um
neue und immer neue Verbindungen einzugehen. Wie sie über-
weltlichen Ursprungs ist, so wird sie auch, aus den Banden
des Naturlebens befreit, zu einem übernatürlichen Geisterdasein
einst zurückkehren können.

Von allen diesen Vorstellungen ist keine auf dem Wege
wissenschaftlichen Denkens gewonnen. Die Physiologie, die
Wissenschaft von der Welt und allen ihren Erscheinungen,
konnte niemals zu dem Gedanken einer Lostrennung der Seele
von der Natur und ihrem Leben führen. Nicht aus griechi-
scher Wissenschaft, aber auch nicht, wie antike Ueberlieferung
uns will glauben machen, aus der Fremde hat Pythagoras
seine Glaubenssätze von der, aus überweltlicher Höhe in die
irdische Natur gesunkenen, durch viele Leiber ihre Pilgerschaft
vollendenden, zuletzt durch Reinigungen und Weihen zu be-
freienden Seele entlehnt. Er mag seinen Reisen manches zu ver-
danken gehabt haben, einem ägyptischen Aufenthalt etwa (wie
später Demokrit) mathematische Anregungen und sonst vieles
von der "Gelehrsamkeit", die ihm Heraklit zuschreibt. Seine
Seelenlehre dagegen giebt in ihren wesentlichen Zügen nur die
Phantasmen alter volksthümlicher Psychologie wieder, in der

lich auch Porphyrius, annahm) scheint es nie gegeben zu haben. Eine
solche Verheissung, als Krönung der Heilsverheissungen, auf die eine
Seelenwanderungslehre überall hinausgeht, konnte nur entbehrt werden,
wo das Wiedergeborenwerden selbst schon als eine Belohnung der
Frommen erschien (wie in der Lehre, die Josephus, bell. Jud. 2, 8, 14;
antiq. 18, 1, 3 den Pharisäern zuschreibt). Griechischen Anhängern der
Metempsychosenlehre galt irdische Wiedergeburt durchaus als eine Strafe,
eine Last, mindestens nicht als das wünschenswerthe Ziel des Seelen-
lebens. Wir müssen auch für den alten Pythagoreismus die Verheissung
des Ausscheidens aus dem Kreise der Wiedergeburten als Krone seiner
Heilsverkündigungen voraussetzen. Ohne diese letzte Spitze wäre der
Pythagoreismus wie ein Buddhismus ohne Verheissung der Erlangung des
Nirwana.

durchaus unterschieden, ja dieser entgegengesetzt sieht. Sie
ist in das natürliche Leben verstrickt, aber als in eine ihr
fremde Welt, in welcher sie sich als geschlossenes Einzelwesen
unvermindert erhält, aus der sie für sich allein sich ablöst, um
neue und immer neue Verbindungen einzugehen. Wie sie über-
weltlichen Ursprungs ist, so wird sie auch, aus den Banden
des Naturlebens befreit, zu einem übernatürlichen Geisterdasein
einst zurückkehren können.

Von allen diesen Vorstellungen ist keine auf dem Wege
wissenschaftlichen Denkens gewonnen. Die Physiologie, die
Wissenschaft von der Welt und allen ihren Erscheinungen,
konnte niemals zu dem Gedanken einer Lostrennung der Seele
von der Natur und ihrem Leben führen. Nicht aus griechi-
scher Wissenschaft, aber auch nicht, wie antike Ueberlieferung
uns will glauben machen, aus der Fremde hat Pythagoras
seine Glaubenssätze von der, aus überweltlicher Höhe in die
irdische Natur gesunkenen, durch viele Leiber ihre Pilgerschaft
vollendenden, zuletzt durch Reinigungen und Weihen zu be-
freienden Seele entlehnt. Er mag seinen Reisen manches zu ver-
danken gehabt haben, einem ägyptischen Aufenthalt etwa (wie
später Demokrit) mathematische Anregungen und sonst vieles
von der „Gelehrsamkeit“, die ihm Heraklit zuschreibt. Seine
Seelenlehre dagegen giebt in ihren wesentlichen Zügen nur die
Phantasmen alter volksthümlicher Psychologie wieder, in der

lich auch Porphyrius, annahm) scheint es nie gegeben zu haben. Eine
solche Verheissung, als Krönung der Heilsverheissungen, auf die eine
Seelenwanderungslehre überall hinausgeht, konnte nur entbehrt werden,
wo das Wiedergeborenwerden selbst schon als eine Belohnung der
Frommen erschien (wie in der Lehre, die Josephus, bell. Jud. 2, 8, 14;
antiq. 18, 1, 3 den Pharisäern zuschreibt). Griechischen Anhängern der
Metempsychosenlehre galt irdische Wiedergeburt durchaus als eine Strafe,
eine Last, mindestens nicht als das wünschenswerthe Ziel des Seelen-
lebens. Wir müssen auch für den alten Pythagoreismus die Verheissung
des Ausscheidens aus dem Kreise der Wiedergeburten als Krone seiner
Heilsverkündigungen voraussetzen. Ohne diese letzte Spitze wäre der
Pythagoreismus wie ein Buddhismus ohne Verheissung der Erlangung des
Nirwana.
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[460/0476] durchaus unterschieden, ja dieser entgegengesetzt sieht. Sie ist in das natürliche Leben verstrickt, aber als in eine ihr fremde Welt, in welcher sie sich als geschlossenes Einzelwesen unvermindert erhält, aus der sie für sich allein sich ablöst, um neue und immer neue Verbindungen einzugehen. Wie sie über- weltlichen Ursprungs ist, so wird sie auch, aus den Banden des Naturlebens befreit, zu einem übernatürlichen Geisterdasein einst zurückkehren können. Von allen diesen Vorstellungen ist keine auf dem Wege wissenschaftlichen Denkens gewonnen. Die Physiologie, die Wissenschaft von der Welt und allen ihren Erscheinungen, konnte niemals zu dem Gedanken einer Lostrennung der Seele von der Natur und ihrem Leben führen. Nicht aus griechi- scher Wissenschaft, aber auch nicht, wie antike Ueberlieferung uns will glauben machen, aus der Fremde hat Pythagoras seine Glaubenssätze von der, aus überweltlicher Höhe in die irdische Natur gesunkenen, durch viele Leiber ihre Pilgerschaft vollendenden, zuletzt durch Reinigungen und Weihen zu be- freienden Seele entlehnt. Er mag seinen Reisen manches zu ver- danken gehabt haben, einem ägyptischen Aufenthalt etwa (wie später Demokrit) mathematische Anregungen und sonst vieles von der „Gelehrsamkeit“, die ihm Heraklit zuschreibt. Seine Seelenlehre dagegen giebt in ihren wesentlichen Zügen nur die Phantasmen alter volksthümlicher Psychologie wieder, in der 3) 3) lich auch Porphyrius, annahm) scheint es nie gegeben zu haben. Eine solche Verheissung, als Krönung der Heilsverheissungen, auf die eine Seelenwanderungslehre überall hinausgeht, konnte nur entbehrt werden, wo das Wiedergeborenwerden selbst schon als eine Belohnung der Frommen erschien (wie in der Lehre, die Josephus, bell. Jud. 2, 8, 14; antiq. 18, 1, 3 den Pharisäern zuschreibt). Griechischen Anhängern der Metempsychosenlehre galt irdische Wiedergeburt durchaus als eine Strafe, eine Last, mindestens nicht als das wünschenswerthe Ziel des Seelen- lebens. Wir müssen auch für den alten Pythagoreismus die Verheissung des Ausscheidens aus dem Kreise der Wiedergeburten als Krone seiner Heilsverkündigungen voraussetzen. Ohne diese letzte Spitze wäre der Pythagoreismus wie ein Buddhismus ohne Verheissung der Erlangung des Nirwana.

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 460. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/476>, abgerufen am 22.11.2024.