zündet worden, und dann auf den verloschenen Brand der Opfer- stelle die Leiche gebettet und mit Sand, Lehm und Steinen zu- gedeckt worden 1). Reste von verbrannten Opferthieren (Schafen und Ziegen) sind auch in den Gräbern bei Nauplia und anders- wo gefunden worden 2). Es entsprach also dem verschiedenen Bestattungsgebrauch auch eine von der homerischen ver- schiedene Vorstellung von dem Wesen und Wirken der abge- schiedenen Seelen. Ein Todtenopfer bei der Bestattung, wie es bei Homer nur noch bei seltenster Gelegenheit nach veraltetem, unverstandenem Gebrauche vereinzelt dargebracht wird, tritt uns hier, in prunkvollen wie in armen Gräbern als herrschende Sitte entgegen. Wie sollte aber ein Volk, das seinen Todten Opfer darbrachte, nicht an deren Macht geglaubt haben? Und wie sollte man Gold und Geschmeide, und Kunstgeräthe aller Art, in erstaunlicher Menge den Lebenden entzogen, den Todten mit in's Grab gegeben haben, wenn man nicht geglaubt hätte, dass an seinem alten Besitz noch in der Grabeshöhle der Todte sich freuen könne? Wo der Leib unaufgelöst ruht, dahin kann auch das zweite Ich wenigstens zeitweise wieder- kehren; dass es nicht auf der Oberwelt ungerufen erscheine, verhütet die Mitbeisetzung seiner besten Schätze in der Gruft 3).
Kann aber die Seele zurückkehren, wohin es sie zieht, so wird man auch den Seelencult nicht auf die Begehungen bei der Bestattung beschränkt haben. Und wirklich, wovon wir bei
1) Vgl. K. Weinhold, Sitzungsber. d. Wiener Akad. v. 1858, Phil. hist. Cl. 29, S. 121. 125. 141. Die merkwürdige Uebereinstimmung zwischen der Mykenäischen und dieser nordeuropäischen Bestattungsweise scheint noch nirgends beachtet zu sein. (Der Grund dieser Lagerung und Bedeckung mag in der Absicht zu suchen sein, den Leichnam länger vor Verfall, namentlich vor dem Einfluss der Feuchtigkeit zu bewahren.)
2) Auch in dem Kuppelgrab bei Dimini: Mitth. d. arch. Inst. zu Athen XII 138.
3) Die Seele des Todten, dem ein Lieblingsbesitz vorenthalten ist (gleichviel ob der Leib und so auch der Besitz des Todten verbrannt oder eingegraben ist), kehrt wieder. Völlig den Volksglauben spricht die Geschichte bei Lucian, Philops. 27 von der Frau des Eukrates aus (vgl. Herodot 5, 92 f.).
zündet worden, und dann auf den verloschenen Brand der Opfer- stelle die Leiche gebettet und mit Sand, Lehm und Steinen zu- gedeckt worden 1). Reste von verbrannten Opferthieren (Schafen und Ziegen) sind auch in den Gräbern bei Nauplia und anders- wo gefunden worden 2). Es entsprach also dem verschiedenen Bestattungsgebrauch auch eine von der homerischen ver- schiedene Vorstellung von dem Wesen und Wirken der abge- schiedenen Seelen. Ein Todtenopfer bei der Bestattung, wie es bei Homer nur noch bei seltenster Gelegenheit nach veraltetem, unverstandenem Gebrauche vereinzelt dargebracht wird, tritt uns hier, in prunkvollen wie in armen Gräbern als herrschende Sitte entgegen. Wie sollte aber ein Volk, das seinen Todten Opfer darbrachte, nicht an deren Macht geglaubt haben? Und wie sollte man Gold und Geschmeide, und Kunstgeräthe aller Art, in erstaunlicher Menge den Lebenden entzogen, den Todten mit in’s Grab gegeben haben, wenn man nicht geglaubt hätte, dass an seinem alten Besitz noch in der Grabeshöhle der Todte sich freuen könne? Wo der Leib unaufgelöst ruht, dahin kann auch das zweite Ich wenigstens zeitweise wieder- kehren; dass es nicht auf der Oberwelt ungerufen erscheine, verhütet die Mitbeisetzung seiner besten Schätze in der Gruft 3).
Kann aber die Seele zurückkehren, wohin es sie zieht, so wird man auch den Seelencult nicht auf die Begehungen bei der Bestattung beschränkt haben. Und wirklich, wovon wir bei
1) Vgl. K. Weinhold, Sitzungsber. d. Wiener Akad. v. 1858, Phil. hist. Cl. 29, S. 121. 125. 141. Die merkwürdige Uebereinstimmung zwischen der Mykenäischen und dieser nordeuropäischen Bestattungsweise scheint noch nirgends beachtet zu sein. (Der Grund dieser Lagerung und Bedeckung mag in der Absicht zu suchen sein, den Leichnam länger vor Verfall, namentlich vor dem Einfluss der Feuchtigkeit zu bewahren.)
2) Auch in dem Kuppelgrab bei Dimini: Mitth. d. arch. Inst. zu Athen XII 138.
3) Die Seele des Todten, dem ein Lieblingsbesitz vorenthalten ist (gleichviel ob der Leib und so auch der Besitz des Todten verbrannt oder eingegraben ist), kehrt wieder. Völlig den Volksglauben spricht die Geschichte bei Lucian, Philops. 27 von der Frau des Eukrates aus (vgl. Herodot 5, 92 f.).
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zündet worden, und dann auf den verloschenen Brand der Opfer-
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gedeckt worden 1). Reste von verbrannten Opferthieren (Schafen
und Ziegen) sind auch in den Gräbern bei Nauplia und anders-
wo gefunden worden 2). Es entsprach also dem verschiedenen
Bestattungsgebrauch auch eine von der homerischen ver-
schiedene Vorstellung von dem Wesen und Wirken der abge-
schiedenen Seelen. Ein Todtenopfer bei der Bestattung, wie es
bei Homer nur noch bei seltenster Gelegenheit nach veraltetem,
unverstandenem Gebrauche vereinzelt dargebracht wird, tritt
uns hier, in prunkvollen wie in armen Gräbern als herrschende
Sitte entgegen. Wie sollte aber ein Volk, das seinen Todten
Opfer darbrachte, nicht an deren Macht geglaubt haben? Und
wie sollte man Gold und Geschmeide, und Kunstgeräthe aller
Art, in erstaunlicher Menge den Lebenden entzogen, den
Todten mit in’s Grab gegeben haben, wenn man nicht geglaubt
hätte, dass an seinem alten Besitz noch in der Grabeshöhle
der Todte sich freuen könne? Wo der Leib unaufgelöst ruht,
dahin kann auch das zweite Ich wenigstens zeitweise wieder-
kehren; dass es nicht auf der Oberwelt ungerufen erscheine,
verhütet die Mitbeisetzung seiner besten Schätze in der Gruft 3).
Kann aber die Seele zurückkehren, wohin es sie zieht, so
wird man auch den Seelencult nicht auf die Begehungen bei
der Bestattung beschränkt haben. Und wirklich, wovon wir bei
1) Vgl. K. Weinhold, Sitzungsber. d. Wiener Akad. v. 1858, Phil.
hist. Cl. 29, S. 121. 125. 141. Die merkwürdige Uebereinstimmung
zwischen der Mykenäischen und dieser nordeuropäischen Bestattungsweise
scheint noch nirgends beachtet zu sein. (Der Grund dieser Lagerung und
Bedeckung mag in der Absicht zu suchen sein, den Leichnam länger vor
Verfall, namentlich vor dem Einfluss der Feuchtigkeit zu bewahren.)
2) Auch in dem Kuppelgrab bei Dimini: Mitth. d. arch. Inst. zu
Athen XII 138.
3) Die Seele des Todten, dem ein Lieblingsbesitz vorenthalten ist
(gleichviel ob der Leib und so auch der Besitz des Todten verbrannt
oder eingegraben ist), kehrt wieder. Völlig den Volksglauben spricht die
Geschichte bei Lucian, Philops. 27 von der Frau des Eukrates aus (vgl.
Herodot 5, 92 f.).
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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/48>, abgerufen am 21.11.2024.
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