Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.licher Geschicke. Dass der Frevel des Ahnen an seinen Nach- Aber es steht gar nicht in ihrer Wahl, ob sie schuldig 1) Angedeutet ist diese Vorstellung schon Il. D 160 ff. Dann bei Hesiod erg. 282 ff. Fest steht sie dem Herodot: vgl. 1, 91; 6, 86. Im Uebrigen s. Nägelsbachs Zusammenstellungen, Nachhom. Theol. 34 f. Be- sonders nachdrücklich redet Theognis 205 ff. 731 ff. Von attischen Autoren vgl. Solon, fr. 13, 29 ff. (anaitioi erga tinousin) Eurip. Hippol. 831 ff.; 1375 ff. (wo das: ton ouden ont epaition 1380 zu beachten ist); fragm. 980. Pseudo- lys. 6, 20. Lycurg. Leocr. 79; als gewöhnliche Meinung kurz bezeichnet bei Isocr. 11, 25. Vgl. Lysias bei Athen. 12, 552 f. Man erinnere sich auch des Falles des Diagoras von Melos, des atheos: s. oben p. 288 f. -- Die Rechtfertigung dieser Vorstellung einer Bestrafung der Vergehen der Väter an den Söhnen findet Plutarch, de ser. num. vind. 16, ganz dem alten Glauben entsprechend, in der Einheit der Angehörigen des genos: im Sohne wird eben auch der Vater, wenngleich verstorben, bestraft. Aus dem tief eingeprägten Gefühl der Einheit, Gemeinsamkeit, ununter- brochenen Continuität der alten Familiencultgemeinde, wie der Seelencult sie zur Voraussetzung hat, stammt diese Vorstellung. 2) Gerade in diesem Punkte, dass nämlich Unheil nicht ohne Schuld
den Menschen treffe, bekennt der Chor, d. h. der Dichter, im Agamemnon 757 ff. dikha d allon monophron eimi. licher Geschicke. Dass der Frevel des Ahnen an seinen Nach- Aber es steht gar nicht in ihrer Wahl, ob sie schuldig 1) Angedeutet ist diese Vorstellung schon Il. Δ 160 ff. Dann bei Hesiod ἔργ. 282 ff. Fest steht sie dem Herodot: vgl. 1, 91; 6, 86. Im Uebrigen s. Nägelsbachs Zusammenstellungen, Nachhom. Theol. 34 f. Be- sonders nachdrücklich redet Theognis 205 ff. 731 ff. Von attischen Autoren vgl. Solon, fr. 13, 29 ff. (ἀναίτιοι ἔργα τίνουσιν) Eurip. Hippol. 831 ff.; 1375 ff. (wo das: τὸν οὐδὲν ὄντ̕ ἐπαίτιον 1380 zu beachten ist); fragm. 980. Pseudo- lys. 6, 20. Lycurg. Leocr. 79; als gewöhnliche Meinung kurz bezeichnet bei Isocr. 11, 25. Vgl. Lysias bei Athen. 12, 552 f. Man erinnere sich auch des Falles des Diagoras von Melos, des ἄϑεος: s. oben p. 288 f. — Die Rechtfertigung dieser Vorstellung einer Bestrafung der Vergehen der Väter an den Söhnen findet Plutarch, de ser. num. vind. 16, ganz dem alten Glauben entsprechend, in der Einheit der Angehörigen des γένος: im Sohne wird eben auch der Vater, wenngleich verstorben, bestraft. Aus dem tief eingeprägten Gefühl der Einheit, Gemeinsamkeit, ununter- brochenen Continuität der alten Familiencultgemeinde, wie der Seelencult sie zur Voraussetzung hat, stammt diese Vorstellung. 2) Gerade in diesem Punkte, dass nämlich Unheil nicht ohne Schuld
den Menschen treffe, bekennt der Chor, d. h. der Dichter, im Agamemnon 757 ff. δίχα δ̕ ἄλλων μονόφρων εἰμί. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0536" n="520"/> licher Geschicke. Dass der Frevel des Ahnen an seinen Nach-<lb/> kommen hier auf der Erde bestraft werde, war alte, in Attika<lb/> besonders tief eingewurzelte Glaubensmeinung<note place="foot" n="1)">Angedeutet ist diese Vorstellung schon Il. Δ 160 ff. Dann bei<lb/> Hesiod ἔργ. 282 ff. Fest steht sie dem Herodot: vgl. 1, 91; 6, 86. Im<lb/> Uebrigen s. Nägelsbachs Zusammenstellungen, <hi rendition="#i">Nachhom. Theol.</hi> 34 f. Be-<lb/> sonders nachdrücklich redet Theognis 205 ff. 731 ff. Von attischen Autoren<lb/> vgl. Solon, <hi rendition="#i">fr.</hi> 13, 29 ff. (<hi rendition="#g">ἀναίτιοι</hi> ἔργα τίνουσιν) Eurip. <hi rendition="#i">Hippol.</hi> 831 ff.; 1375 ff.<lb/> (wo das: τὸν οὐδὲν ὄντ̕ ἐπαίτιον 1380 zu beachten ist); <hi rendition="#i">fragm.</hi> 980. Pseudo-<lb/> lys. 6, 20. Lycurg. <hi rendition="#i">Leocr.</hi> 79; als gewöhnliche Meinung kurz bezeichnet<lb/> bei Isocr. 11, 25. Vgl. Lysias bei Athen. 12, 552 f. Man erinnere sich<lb/> auch des Falles des Diagoras von Melos, des ἄϑεος: s. oben p. 288 f. —<lb/> Die Rechtfertigung dieser Vorstellung einer Bestrafung der Vergehen der<lb/> Väter an den Söhnen findet Plutarch, <hi rendition="#i">de ser. num. vind.</hi> 16, ganz dem<lb/> alten Glauben entsprechend, in der Einheit der Angehörigen des γένος:<lb/> im Sohne wird eben auch der Vater, wenngleich verstorben, bestraft.<lb/> Aus dem tief eingeprägten Gefühl der Einheit, Gemeinsamkeit, ununter-<lb/> brochenen Continuität der alten Familiencultgemeinde, wie der Seelencult<lb/> sie zur Voraussetzung hat, stammt diese Vorstellung.</note>. Was aber<lb/> Aeschylos selbst hinzubringt, ist die unbeirrte Ueberzeugung,<lb/> dass auch im Sohn und Enkel des Frevlers deren eigene Schuld<lb/> gestraft werde. Leid ist Strafe<note place="foot" n="2)">Gerade in diesem Punkte, dass nämlich Unheil nicht ohne Schuld<lb/> den Menschen treffe, bekennt der Chor, d. h. der Dichter, im <hi rendition="#i">Agamemnon</hi><lb/> 757 ff. δίχα δ̕ ἄλλων μονόφρων εἰμί.</note>; es würde den Oedipus, den<lb/> Sohn des Oedipus nicht treffen, wenn Laïos allein der Frev-<lb/> ler wäre, nicht eigene Schuld an ihnen zu strafen wäre.</p><lb/> <p>Aber es steht gar nicht in ihrer Wahl, ob sie schuldig<lb/> werden wollen; sie konnten der Frevelthat gar nicht aus-<lb/> weichen. Wie nun eine Frevelthat zugleich nothwendig, dem<lb/> Frevler durch höhere Macht und Satzung aufgezwungen, und<lb/> doch, als wäre sie nach freier Wahl begangen, der Verant-<lb/> wortung und Strafe unterstellt sein kann, das ist eine Frage,<lb/> deren drohender Ernst dem Dichter keineswegs verborgen ge-<lb/> blieben ist. Hinter dem Nebel mythischer Verhüllung ist ihm<lb/> die Frage nach Freiheit oder Gebundenheit des menschlichen<lb/> Willens, der sich, bei höherer Entwicklung der Cultur und des<lb/> geistigen Lebens, in jedem Fall für seine Entscheidung mora-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [520/0536]
licher Geschicke. Dass der Frevel des Ahnen an seinen Nach-
kommen hier auf der Erde bestraft werde, war alte, in Attika
besonders tief eingewurzelte Glaubensmeinung 1). Was aber
Aeschylos selbst hinzubringt, ist die unbeirrte Ueberzeugung,
dass auch im Sohn und Enkel des Frevlers deren eigene Schuld
gestraft werde. Leid ist Strafe 2); es würde den Oedipus, den
Sohn des Oedipus nicht treffen, wenn Laïos allein der Frev-
ler wäre, nicht eigene Schuld an ihnen zu strafen wäre.
Aber es steht gar nicht in ihrer Wahl, ob sie schuldig
werden wollen; sie konnten der Frevelthat gar nicht aus-
weichen. Wie nun eine Frevelthat zugleich nothwendig, dem
Frevler durch höhere Macht und Satzung aufgezwungen, und
doch, als wäre sie nach freier Wahl begangen, der Verant-
wortung und Strafe unterstellt sein kann, das ist eine Frage,
deren drohender Ernst dem Dichter keineswegs verborgen ge-
blieben ist. Hinter dem Nebel mythischer Verhüllung ist ihm
die Frage nach Freiheit oder Gebundenheit des menschlichen
Willens, der sich, bei höherer Entwicklung der Cultur und des
geistigen Lebens, in jedem Fall für seine Entscheidung mora-
1) Angedeutet ist diese Vorstellung schon Il. Δ 160 ff. Dann bei
Hesiod ἔργ. 282 ff. Fest steht sie dem Herodot: vgl. 1, 91; 6, 86. Im
Uebrigen s. Nägelsbachs Zusammenstellungen, Nachhom. Theol. 34 f. Be-
sonders nachdrücklich redet Theognis 205 ff. 731 ff. Von attischen Autoren
vgl. Solon, fr. 13, 29 ff. (ἀναίτιοι ἔργα τίνουσιν) Eurip. Hippol. 831 ff.; 1375 ff.
(wo das: τὸν οὐδὲν ὄντ̕ ἐπαίτιον 1380 zu beachten ist); fragm. 980. Pseudo-
lys. 6, 20. Lycurg. Leocr. 79; als gewöhnliche Meinung kurz bezeichnet
bei Isocr. 11, 25. Vgl. Lysias bei Athen. 12, 552 f. Man erinnere sich
auch des Falles des Diagoras von Melos, des ἄϑεος: s. oben p. 288 f. —
Die Rechtfertigung dieser Vorstellung einer Bestrafung der Vergehen der
Väter an den Söhnen findet Plutarch, de ser. num. vind. 16, ganz dem
alten Glauben entsprechend, in der Einheit der Angehörigen des γένος:
im Sohne wird eben auch der Vater, wenngleich verstorben, bestraft.
Aus dem tief eingeprägten Gefühl der Einheit, Gemeinsamkeit, ununter-
brochenen Continuität der alten Familiencultgemeinde, wie der Seelencult
sie zur Voraussetzung hat, stammt diese Vorstellung.
2) Gerade in diesem Punkte, dass nämlich Unheil nicht ohne Schuld
den Menschen treffe, bekennt der Chor, d. h. der Dichter, im Agamemnon
757 ff. δίχα δ̕ ἄλλων μονόφρων εἰμί.
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