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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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mit dem Gebiet irdischen Thuns und Handelns keinen Zu-
sammenhang mehr hat. Soll es sich dennoch um wirkendes
Gestalten der Welt handeln, so werden dem Weisen, der das
Höhere hat, die "Tugenden" von selbst zufallen 1).

Wenigen ist diese Höhe des Daseins zugänglich. Gott
allein und von den Sterblichen eine kleine Schaar 2) vermag in
reinem Denken das ewig Seiende, den einzigen Gegenstand
sicheren, hellen, unveränderlichen Wissens zu berühren. Nie
kann die Menge der Menschen zu Philosophen werden 3). Den
Philosophen allein aber reicht diese Lehre die Krone des
Lebens. Hier ist nicht eine Religion für die Armen im Geiste;
die Wissenschaft, das höchste Wissen um das wahrhaft
Seiende ist Bedingung der Erlösung. Gott erkennen ist gött-
lich werden 4). Es ist verständlich, warum diese Heilsverkün-
dung eine weite Gemeinde um sich nicht sammeln konnte. Sie
durfte es nicht, ohne sich selbst ungetreu zu werden. Seltenen
hohen Menschen reicht sie den Preis, der von jenseits winkt.
Der Preis ist die Befreiung vom Leben im vergänglichen Leibe,
die Vereinigung mit dem wahrhaft Seienden für immer, die
Rückkehr zu allem Ewigen und Göttlichen. Ein Symbol dessen,
was der Philosoph nach seinem Tode erreicht haben wird, wird
die Gemeinde darin aufrichten, dass sie den Abgeschiedenen
unter den Dämonen verehrt 5).

So sieht das Idealbild einer Cultur aus, in der mit dem
Glauben an die Unsterblichkeit der Seele und ihrer Berufung
zu ewigem Leben im Götterreiche ein tiefer und schwärme-
rischer Ernst gemacht würde. Der Unsterblichkeitsglaube wird

1) Rep. VII cap. 15. Vgl. VI cap. 2. 5.
2) kai tou men (doxes alethous) panta andra metekhein phateon, nou de
theous, anthropon de genos brakhu ti. Tim. 51 E.
3) philosophon plethos adunaton einai. Rep. 6, 494 A. phuseis völlig
philosophischer Art pas emin omologesei, oligakis en anthropois phuesthai
kai oligas. Rep. 6, 491 B.
4) Darein ich mich versenke, das wird mit mir zueins: ich bin, wenn
ich ihn denke, wie Gott der Quell des Seins.
5) Rep. 7, 540 B.

mit dem Gebiet irdischen Thuns und Handelns keinen Zu-
sammenhang mehr hat. Soll es sich dennoch um wirkendes
Gestalten der Welt handeln, so werden dem Weisen, der das
Höhere hat, die „Tugenden“ von selbst zufallen 1).

Wenigen ist diese Höhe des Daseins zugänglich. Gott
allein und von den Sterblichen eine kleine Schaar 2) vermag in
reinem Denken das ewig Seiende, den einzigen Gegenstand
sicheren, hellen, unveränderlichen Wissens zu berühren. Nie
kann die Menge der Menschen zu Philosophen werden 3). Den
Philosophen allein aber reicht diese Lehre die Krone des
Lebens. Hier ist nicht eine Religion für die Armen im Geiste;
die Wissenschaft, das höchste Wissen um das wahrhaft
Seiende ist Bedingung der Erlösung. Gott erkennen ist gött-
lich werden 4). Es ist verständlich, warum diese Heilsverkün-
dung eine weite Gemeinde um sich nicht sammeln konnte. Sie
durfte es nicht, ohne sich selbst ungetreu zu werden. Seltenen
hohen Menschen reicht sie den Preis, der von jenseits winkt.
Der Preis ist die Befreiung vom Leben im vergänglichen Leibe,
die Vereinigung mit dem wahrhaft Seienden für immer, die
Rückkehr zu allem Ewigen und Göttlichen. Ein Symbol dessen,
was der Philosoph nach seinem Tode erreicht haben wird, wird
die Gemeinde darin aufrichten, dass sie den Abgeschiedenen
unter den Dämonen verehrt 5).

So sieht das Idealbild einer Cultur aus, in der mit dem
Glauben an die Unsterblichkeit der Seele und ihrer Berufung
zu ewigem Leben im Götterreiche ein tiefer und schwärme-
rischer Ernst gemacht würde. Der Unsterblichkeitsglaube wird

1) Rep. VII cap. 15. Vgl. VI cap. 2. 5.
2) καὶ τοῦ μὲν (δόξης ἀληϑοῦς) πάντα ἄνδρα μετέχειν φατέον, νοῦ δὲ
ϑεούς, ἀνϑρώπων δὲ γένος βραχύ τι. Tim. 51 E.
3) φιλόσοφον πλῆϑος ἀδύνατον εἶναι. Rep. 6, 494 A. φύσεις völlig
philosophischer Art πᾶς ἡμῖν ὁμολογήσει, ὀλιγάκις ἐν ἀνϑρώποις φύεσϑαι
καὶ ὀλίγας. Rep. 6, 491 B.
4) Darein ich mich versenke, das wird mit mir zueins: ich bin, wenn
ich ihn denke, wie Gott der Quell des Seins.
5) Rep. 7, 540 B.
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[585/0601] mit dem Gebiet irdischen Thuns und Handelns keinen Zu- sammenhang mehr hat. Soll es sich dennoch um wirkendes Gestalten der Welt handeln, so werden dem Weisen, der das Höhere hat, die „Tugenden“ von selbst zufallen 1). Wenigen ist diese Höhe des Daseins zugänglich. Gott allein und von den Sterblichen eine kleine Schaar 2) vermag in reinem Denken das ewig Seiende, den einzigen Gegenstand sicheren, hellen, unveränderlichen Wissens zu berühren. Nie kann die Menge der Menschen zu Philosophen werden 3). Den Philosophen allein aber reicht diese Lehre die Krone des Lebens. Hier ist nicht eine Religion für die Armen im Geiste; die Wissenschaft, das höchste Wissen um das wahrhaft Seiende ist Bedingung der Erlösung. Gott erkennen ist gött- lich werden 4). Es ist verständlich, warum diese Heilsverkün- dung eine weite Gemeinde um sich nicht sammeln konnte. Sie durfte es nicht, ohne sich selbst ungetreu zu werden. Seltenen hohen Menschen reicht sie den Preis, der von jenseits winkt. Der Preis ist die Befreiung vom Leben im vergänglichen Leibe, die Vereinigung mit dem wahrhaft Seienden für immer, die Rückkehr zu allem Ewigen und Göttlichen. Ein Symbol dessen, was der Philosoph nach seinem Tode erreicht haben wird, wird die Gemeinde darin aufrichten, dass sie den Abgeschiedenen unter den Dämonen verehrt 5). So sieht das Idealbild einer Cultur aus, in der mit dem Glauben an die Unsterblichkeit der Seele und ihrer Berufung zu ewigem Leben im Götterreiche ein tiefer und schwärme- rischer Ernst gemacht würde. Der Unsterblichkeitsglaube wird 1) Rep. VII cap. 15. Vgl. VI cap. 2. 5. 2) καὶ τοῦ μὲν (δόξης ἀληϑοῦς) πάντα ἄνδρα μετέχειν φατέον, νοῦ δὲ ϑεούς, ἀνϑρώπων δὲ γένος βραχύ τι. Tim. 51 E. 3) φιλόσοφον πλῆϑος ἀδύνατον εἶναι. Rep. 6, 494 A. φύσεις völlig philosophischer Art πᾶς ἡμῖν ὁμολογήσει, ὀλιγάκις ἐν ἀνϑρώποις φύεσϑαι καὶ ὀλίγας. Rep. 6, 491 B. 4) Darein ich mich versenke, das wird mit mir zueins: ich bin, wenn ich ihn denke, wie Gott der Quell des Seins. 5) Rep. 7, 540 B.

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 585. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/601>, abgerufen am 22.11.2024.