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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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verharrend, hat der Geist keine Denkthätigkeit, keine Erinne-
rung, ja kein Bewusstsein; es ist nicht zu sagen, was ihm,
ausser dem Prädicat der Lebendigkeit, des Seins, noch für eine
Eigenschaft oder Thätigkeit zugeschrieben werden könne 1).

In der Lehre von diesem Denkgeist, der "von aussen" zu
der Menschenseele hinzutritt, ohne mit ihr zu verschmelzen,
seiner Praeexistenz von Ewigkeit her, seiner Gottverwandtschaft
und seinem unvergänglichen Leben nach der Trennung von
dem menschlichen Organismus, hat Aristoteles ein mythologi-
sches Element aus Platonischer Dogmatik bewahrt.

Einst war er gerade in der Seelenkunde voller Platoniker
gewesen. In jungen Jahren hatte auch er, gleich anderen
Mitgliedern der Akademie, dem Reize nachgegeben 2), in künst-
lerisch gebildeter Rede schimmernde Phantasien von Herkunft,
Art und Schicksal der Seele, dem göttlichen Dämon 3) in sterb-
licher Hülle, auszuführen. Später schien ihm die Vorstellung,
dass "in einem beliebigen Leibe eine beliebige Seele" wohne,
undenkbar 4); er konnte die "Seele" des einzelnen Menschen

1) de an. 408 b, 18 ff: Der nous ou phtheiretai, auch nicht upo tes en
to gera amauroseos -- -- -- to noein kai to theorein marainetai (im Alter)
allou tinos eso (? im Denkenden drinnen wird nichts vernichtet. Schr.
en o, wie Z. 23, und verstehe: allou tinos en o to noein = o nous
enesti, nämlich des ganzen lebendigen Menschen) phtheiromenou, auto de
apathes estin (wie denn der nous durchaus analloioton ist, selbst seine
noesis keine kinesis ist, die lepsis tes epistemes in ihm keine alloiosis:
de an. 407 a, 32; phys. 247 a, 28; b, 1 ff; 20 ff.) to de dianoeisthai (Denken
und Urtheilen) kai philein e misein ouk estin ekeinou pathe, alla toude tou
ekhontos ekeino, e ekeino ekhei. dio kai toutou phtheiromenou oute mnemoneuei
oute philei. ou gar ekeinou en, alla tou koinou (des mit dem nous einst zu-
sammengewesenen), o apololen; o de nous isos theioteron ti kai apathes
estin. In seinem Sondersein hat der nous kein Gedächtniss: dies jeden-
falls sagt das: ou mnemoneuomen, de an. 430 a, 23, wie man auch im übrigen
die Worte jenes Satzes verstehen will.
2) Besonders im Eudemos (fr. 31--40 Ar. pseud.); vielleicht auch
im Protreptikos.
3) Denn so ist doch wohl fr. 36 (Eud.) gemeint: der daimon ist die Seele
selbst. Vgl. fr. 35.
4) de an. 407 b, 13--26; 414 a, 19--27. -- Der nous des Aristoteles
ist freilich doch auch ein tukhon in einem anderen tukhon, nicht als ein

verharrend, hat der Geist keine Denkthätigkeit, keine Erinne-
rung, ja kein Bewusstsein; es ist nicht zu sagen, was ihm,
ausser dem Prädicat der Lebendigkeit, des Seins, noch für eine
Eigenschaft oder Thätigkeit zugeschrieben werden könne 1).

In der Lehre von diesem Denkgeist, der „von aussen“ zu
der Menschenseele hinzutritt, ohne mit ihr zu verschmelzen,
seiner Praeexistenz von Ewigkeit her, seiner Gottverwandtschaft
und seinem unvergänglichen Leben nach der Trennung von
dem menschlichen Organismus, hat Aristoteles ein mythologi-
sches Element aus Platonischer Dogmatik bewahrt.

Einst war er gerade in der Seelenkunde voller Platoniker
gewesen. In jungen Jahren hatte auch er, gleich anderen
Mitgliedern der Akademie, dem Reize nachgegeben 2), in künst-
lerisch gebildeter Rede schimmernde Phantasien von Herkunft,
Art und Schicksal der Seele, dem göttlichen Dämon 3) in sterb-
licher Hülle, auszuführen. Später schien ihm die Vorstellung,
dass „in einem beliebigen Leibe eine beliebige Seele“ wohne,
undenkbar 4); er konnte die „Seele“ des einzelnen Menschen

1) de an. 408 b, 18 ff: Der νοῦς οὐ φϑείρεται, auch nicht ὑπὸ τῆς ἐν
τῷ γήρᾳ ἀμαυρώσεως — — — τὸ νοεῖν καὶ τὸ ϑεωρεῖν μαραίνεται (im Alter)
ἄλλου τινὸς ἔσω (? im Denkenden drinnen wird nichts vernichtet. Schr.
ἐν ᾧ, wie Z. 23, und verstehe: ἄλλου τινὸς ἐν ᾧ τὸ νοεῖν = ὁ νοῦς
ἔνεστι, nämlich des ganzen lebendigen Menschen) φϑειρομένου, αὐτὸ δὲ
ἀπαϑές ἐστιν (wie denn der νοῦς durchaus ἀναλλοίωτον ist, selbst seine
νόησις keine κίνησις ist, die λῆψις τῆς ἐπιστήμης in ihm keine ἀλλοίωσις:
de an. 407 a, 32; phys. 247 a, 28; b, 1 ff; 20 ff.) τὸ δὲ διανοεῖσϑαι (Denken
und Urtheilen) καὶ φιλεῖν ἢ μισεῖν οὐκ ἔστιν ἐκείνου πάϑη, ἀλλὰ τοῦδε τοῦ
ἔχοντος ἐκεῖνο, ᾗ ἐκεῖνο ἔχει. διὸ καὶ τούτου φϑειρομένου οὔτε μνημονεύει
οὔτε φιλεῖ. οὐ γὰρ ἐκείνου ἦν, ἀλλὰ τοῦ κοινοῦ (des mit dem νοῦς einst zu-
sammengewesenen), ὅ ἀπόλωλεν· ὁ δὲ νοῦς ἴσως ϑειότερόν τι καὶ ἀπαϑές
ἐστιν. In seinem Sondersein hat der νοῦς kein Gedächtniss: dies jeden-
falls sagt das: οὐ μνημονεύομεν, de an. 430 a, 23, wie man auch im übrigen
die Worte jenes Satzes verstehen will.
2) Besonders im Εὔδημος (fr. 31—40 Ar. pseud.); vielleicht auch
im Προτρεπτικός.
3) Denn so ist doch wohl fr. 36 (Εὔδ.) gemeint: der δαίμων ist die Seele
selbst. Vgl. fr. 35.
4) de an. 407 b, 13—26; 414 a, 19—27. — Der νοῦς des Aristoteles
ist freilich doch auch ein τυχόν in einem anderen τυχόν, nicht als ein
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[596/0612] verharrend, hat der Geist keine Denkthätigkeit, keine Erinne- rung, ja kein Bewusstsein; es ist nicht zu sagen, was ihm, ausser dem Prädicat der Lebendigkeit, des Seins, noch für eine Eigenschaft oder Thätigkeit zugeschrieben werden könne 1). In der Lehre von diesem Denkgeist, der „von aussen“ zu der Menschenseele hinzutritt, ohne mit ihr zu verschmelzen, seiner Praeexistenz von Ewigkeit her, seiner Gottverwandtschaft und seinem unvergänglichen Leben nach der Trennung von dem menschlichen Organismus, hat Aristoteles ein mythologi- sches Element aus Platonischer Dogmatik bewahrt. Einst war er gerade in der Seelenkunde voller Platoniker gewesen. In jungen Jahren hatte auch er, gleich anderen Mitgliedern der Akademie, dem Reize nachgegeben 2), in künst- lerisch gebildeter Rede schimmernde Phantasien von Herkunft, Art und Schicksal der Seele, dem göttlichen Dämon 3) in sterb- licher Hülle, auszuführen. Später schien ihm die Vorstellung, dass „in einem beliebigen Leibe eine beliebige Seele“ wohne, undenkbar 4); er konnte die „Seele“ des einzelnen Menschen 1) de an. 408 b, 18 ff: Der νοῦς οὐ φϑείρεται, auch nicht ὑπὸ τῆς ἐν τῷ γήρᾳ ἀμαυρώσεως — — — τὸ νοεῖν καὶ τὸ ϑεωρεῖν μαραίνεται (im Alter) ἄλλου τινὸς ἔσω (? im Denkenden drinnen wird nichts vernichtet. Schr. ἐν ᾧ, wie Z. 23, und verstehe: ἄλλου τινὸς ἐν ᾧ τὸ νοεῖν = ὁ νοῦς ἔνεστι, nämlich des ganzen lebendigen Menschen) φϑειρομένου, αὐτὸ δὲ ἀπαϑές ἐστιν (wie denn der νοῦς durchaus ἀναλλοίωτον ist, selbst seine νόησις keine κίνησις ist, die λῆψις τῆς ἐπιστήμης in ihm keine ἀλλοίωσις: de an. 407 a, 32; phys. 247 a, 28; b, 1 ff; 20 ff.) τὸ δὲ διανοεῖσϑαι (Denken und Urtheilen) καὶ φιλεῖν ἢ μισεῖν οὐκ ἔστιν ἐκείνου πάϑη, ἀλλὰ τοῦδε τοῦ ἔχοντος ἐκεῖνο, ᾗ ἐκεῖνο ἔχει. διὸ καὶ τούτου φϑειρομένου οὔτε μνημονεύει οὔτε φιλεῖ. οὐ γὰρ ἐκείνου ἦν, ἀλλὰ τοῦ κοινοῦ (des mit dem νοῦς einst zu- sammengewesenen), ὅ ἀπόλωλεν· ὁ δὲ νοῦς ἴσως ϑειότερόν τι καὶ ἀπαϑές ἐστιν. In seinem Sondersein hat der νοῦς kein Gedächtniss: dies jeden- falls sagt das: οὐ μνημονεύομεν, de an. 430 a, 23, wie man auch im übrigen die Worte jenes Satzes verstehen will. 2) Besonders im Εὔδημος (fr. 31—40 Ar. pseud.); vielleicht auch im Προτρεπτικός. 3) Denn so ist doch wohl fr. 36 (Εὔδ.) gemeint: der δαίμων ist die Seele selbst. Vgl. fr. 35. 4) de an. 407 b, 13—26; 414 a, 19—27. — Der νοῦς des Aristoteles ist freilich doch auch ein τυχόν in einem anderen τυχόν, nicht als ein

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 596. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/612>, abgerufen am 22.11.2024.