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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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Spiritualismus anstehenden Auffassung, als eine Scheidung der
Seele von ihrem Leibe gilt 1), soll dieses, während des Lebens
so selbständig gestellte Seelenwesen nicht mit dem Leibe ver-
gehen, nicht in das All, aus dem es einst entflossen ist, sich
wieder auflösen. Eine Unendlichkeit des Sonderlebens steht
den einzelnen Seelen nicht zu; unvergänglich in Ewigkeit ist
nur die Eine Seele des Weltalls, die Gottheit 2). Aber die
Seelen, die sich aus der Einen, allverbreiteten Gottheit einst
abgesondert haben, überdauern den Zerfall ihres Leibes; bis
zur Auflösung im Feuer, welche die gegenwärtige Periode der
Weltbildung abschliessen wird, erhalten sie sich in ihrem ge-
sonderten Dasein, entweder alle (wie die ältere Lehre der
Schule war), oder doch, wie Chrysipp, der Meister des ortho-
doxen Lehrgebäudes der Stoa bestimmte, die Seelen der
"Weisen", während die anderen sich schon vorher in das All-

(da die Stoa einen eigenen, von aussenher um den Menschen waltenden
Schutzdämon im Ernst nicht statuiren wollte) das egemonikon von dem
daimon nicht verschieden: wie denn bei M. Aurel 5, 27 der daimon mit
dem apospasma Dios, dem ekastou nous kai logos völlig zusammenfällt
(vgl. 3, 3 extr.; 2, 13. 17; 3, 7: ton eautou noun kai daimona). Dass aber
dies apospasma tou theou ein daimon genannt werden kann, bekundet eine
Neigung, den Seelengeist als ein Selbstständiges, von dem allgemeinen
Urgrund des Göttlichen freier Abgetrenntes zu denken als der stoische
Pantheismus (dem der Ausdruck apospasma, aporroia tou theou besser
entspricht) in strenger Auffassung zuliess. Man kam hier der theologischen
Auffassung der "Seele" als eines in selbständiger Existenz beharrenden
Einzeldämons nahe. Völlig zu ihr über ging Posidonius, dem der einzelne,
im Menschen wohnende daimon, zwar suggenes on to ton olon kosmon
dioikounti (Pos. bei Galen. V 469), aber nicht mehr dessen unselbständiges
apospasma, sondern einer von vielen selbständigen, individuell bestimmten
Geistern ist, die in der Luft praeexistirend leben und bei der Geburt in
den Menschen einziehen (s. Bonhöffer a. O. 79. 80. Vgl. auch Schmekel,
Philos. d. mittl. Stoa 249 ff. 256).
1) o thanatos esti khorismos psukhes apo somatos -- Chrysipp. bei
Nemes. de nat. hom. p. 81 Matth. Zeno und Chrysipp. bei Tertullian de
anima
5.
2) Alles entsteht und vergeht, auch die Götter, o de Zeus monos
aidios esti. Chrysipp. bei Plut. Stoic. repugn. 1052 A; commun. not.
1075 A ff. -- epidiamone, nicht athanasia der Menschenseelen.

Spiritualismus anstehenden Auffassung, als eine Scheidung der
Seele von ihrem Leibe gilt 1), soll dieses, während des Lebens
so selbständig gestellte Seelenwesen nicht mit dem Leibe ver-
gehen, nicht in das All, aus dem es einst entflossen ist, sich
wieder auflösen. Eine Unendlichkeit des Sonderlebens steht
den einzelnen Seelen nicht zu; unvergänglich in Ewigkeit ist
nur die Eine Seele des Weltalls, die Gottheit 2). Aber die
Seelen, die sich aus der Einen, allverbreiteten Gottheit einst
abgesondert haben, überdauern den Zerfall ihres Leibes; bis
zur Auflösung im Feuer, welche die gegenwärtige Periode der
Weltbildung abschliessen wird, erhalten sie sich in ihrem ge-
sonderten Dasein, entweder alle (wie die ältere Lehre der
Schule war), oder doch, wie Chrysipp, der Meister des ortho-
doxen Lehrgebäudes der Stoa bestimmte, die Seelen der
„Weisen“, während die anderen sich schon vorher in das All-

(da die Stoa einen eigenen, von aussenher um den Menschen waltenden
Schutzdämon im Ernst nicht statuiren wollte) das ἡγεμονικόν von dem
δαίμων nicht verschieden: wie denn bei M. Aurel 5, 27 der δαίμων mit
dem ἀπόσπασμα Διός, dem ἑκάστου νοῦς καί λόγος völlig zusammenfällt
(vgl. 3, 3 extr.; 2, 13. 17; 3, 7: τὸν ἑαυτοῦ νοῦν καὶ δαίμονα). Dass aber
dies ἀπόσπασμα τοῦ ϑεοῦ ein δαίμων genannt werden kann, bekundet eine
Neigung, den Seelengeist als ein Selbstständiges, von dem allgemeinen
Urgrund des Göttlichen freier Abgetrenntes zu denken als der stoische
Pantheismus (dem der Ausdruck ἀπόσπασμα, ἀπόρροια τοῦ ϑεοῦ besser
entspricht) in strenger Auffassung zuliess. Man kam hier der theologischen
Auffassung der „Seele“ als eines in selbständiger Existenz beharrenden
Einzeldämons nahe. Völlig zu ihr über ging Posidonius, dem der einzelne,
im Menschen wohnende δαίμων, zwar συγγενὴς ὤν τῷ τὸν ὅλον κόσμον
διοικοῦντι (Pos. bei Galen. V 469), aber nicht mehr dessen unselbständiges
ἀπόσπασμα, sondern einer von vielen selbständigen, individuell bestimmten
Geistern ist, die in der Luft praeexistirend leben und bei der Geburt in
den Menschen einziehen (s. Bonhöffer a. O. 79. 80. Vgl. auch Schmekel,
Philos. d. mittl. Stoa 249 ff. 256).
1) ὁ ϑάνατός ἐστι χωρισμὸς ψυχῆς ἀπὸ σώματος — Chrysipp. bei
Nemes. de nat. hom. p. 81 Matth. Zeno und Chrysipp. bei Tertullian de
anima
5.
2) Alles entsteht und vergeht, auch die Götter, ὁ δὲ Ζεὺς μόνος
ἀΐδιός ἐστι. Chrysipp. bei Plut. Stoic. repugn. 1052 A; commun. not.
1075 A ff. — ἐπιδιαμονή, nicht ἀϑανασία der Menschenseelen.
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[608/0624] Spiritualismus anstehenden Auffassung, als eine Scheidung der Seele von ihrem Leibe gilt 1), soll dieses, während des Lebens so selbständig gestellte Seelenwesen nicht mit dem Leibe ver- gehen, nicht in das All, aus dem es einst entflossen ist, sich wieder auflösen. Eine Unendlichkeit des Sonderlebens steht den einzelnen Seelen nicht zu; unvergänglich in Ewigkeit ist nur die Eine Seele des Weltalls, die Gottheit 2). Aber die Seelen, die sich aus der Einen, allverbreiteten Gottheit einst abgesondert haben, überdauern den Zerfall ihres Leibes; bis zur Auflösung im Feuer, welche die gegenwärtige Periode der Weltbildung abschliessen wird, erhalten sie sich in ihrem ge- sonderten Dasein, entweder alle (wie die ältere Lehre der Schule war), oder doch, wie Chrysipp, der Meister des ortho- doxen Lehrgebäudes der Stoa bestimmte, die Seelen der „Weisen“, während die anderen sich schon vorher in das All- 3) 1) ὁ ϑάνατός ἐστι χωρισμὸς ψυχῆς ἀπὸ σώματος — Chrysipp. bei Nemes. de nat. hom. p. 81 Matth. Zeno und Chrysipp. bei Tertullian de anima 5. 2) Alles entsteht und vergeht, auch die Götter, ὁ δὲ Ζεὺς μόνος ἀΐδιός ἐστι. Chrysipp. bei Plut. Stoic. repugn. 1052 A; commun. not. 1075 A ff. — ἐπιδιαμονή, nicht ἀϑανασία der Menschenseelen. 3) (da die Stoa einen eigenen, von aussenher um den Menschen waltenden Schutzdämon im Ernst nicht statuiren wollte) das ἡγεμονικόν von dem δαίμων nicht verschieden: wie denn bei M. Aurel 5, 27 der δαίμων mit dem ἀπόσπασμα Διός, dem ἑκάστου νοῦς καί λόγος völlig zusammenfällt (vgl. 3, 3 extr.; 2, 13. 17; 3, 7: τὸν ἑαυτοῦ νοῦν καὶ δαίμονα). Dass aber dies ἀπόσπασμα τοῦ ϑεοῦ ein δαίμων genannt werden kann, bekundet eine Neigung, den Seelengeist als ein Selbstständiges, von dem allgemeinen Urgrund des Göttlichen freier Abgetrenntes zu denken als der stoische Pantheismus (dem der Ausdruck ἀπόσπασμα, ἀπόρροια τοῦ ϑεοῦ besser entspricht) in strenger Auffassung zuliess. Man kam hier der theologischen Auffassung der „Seele“ als eines in selbständiger Existenz beharrenden Einzeldämons nahe. Völlig zu ihr über ging Posidonius, dem der einzelne, im Menschen wohnende δαίμων, zwar συγγενὴς ὤν τῷ τὸν ὅλον κόσμον διοικοῦντι (Pos. bei Galen. V 469), aber nicht mehr dessen unselbständiges ἀπόσπασμα, sondern einer von vielen selbständigen, individuell bestimmten Geistern ist, die in der Luft praeexistirend leben und bei der Geburt in den Menschen einziehen (s. Bonhöffer a. O. 79. 80. Vgl. auch Schmekel, Philos. d. mittl. Stoa 249 ff. 256).

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 608. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/624>, abgerufen am 22.11.2024.