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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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Der derbere Lebensmuth des phrygischen Sklaven und
Freigelassenen bedarf der Annahme einer persönlichen Fort-
dauer nicht, um mit Tapferkeit und Fassung den Kampf des
irdischen Lebens zu bestehn. Das Gewordene muss vergehn;
ohne Zögern und Bedauern ergiebt der Weise sich dem Gesetz
des vernunftbestimmten Weltalls, in dem das Gegenwärtige dem
Kommenden Platz machen muss, nicht um in nichts zu ver-
schwinden, aber um sich zu wandeln und an andere Bildungen
des lebendigen Stoffes sein besonderes Wesen, sein kleines Ich
zu verlieren. Das All erhält sich, aber seine Theile wandeln
sich und tauschen sich unter einander aus 1). Die pantheistische
Grundvorstellung der Schule, von Heraklit übernommen, der
die dauernde Aussonderung kleiner Lebensfunken zu selbst-
ständigem Dasein ausserhalb des feurig fluthenden Alllebens
der Welt undenkbar blieb, war zur Ueberzeugung, das Pathos

aisthesis eine eteroia wird), sondern eine Verwendung des im Tode ver-
hauchten Seelenpneuma zu anderen, durch keine Identität der Seelen-
person mit der früheren Lebensform verbundenen neuen Lebensformen.
Hiebei kann man wohl noch sagen: tou zen ou pause, aber von Erhal-
tung des Ich kann keine Rede sein. e ton olon phusis versetzt und ver-
tauscht ihre Bestandtheile, alles ist im ewigen Wechsel: VIII 6; IX 28.
An eine Erhaltung der Person denkt ernstlich der Kaiser nicht: er sucht
zu verstehen, warum es so sein müsse; aber er hält offenbar für fest-
stehend, dass es so sei, dass in der That auch die Besten der Menschen
mit dem Tode völlig "erlöschen": XII 5. Alles wandelt sich, das eine
vergeht, damit andres aus ihm entstehe: XII 21, und so muss auch der
Mensch sich sagen: met ou polu oudeis oudamou ese (XII 21; VIII 5).
Und der Weise wird sich das beruhigt sagen; seine Seele ist etoimos, ean
ede apoluthenai dee tou somatos -- XI 3. Unter Menschen lebend,
denen seine Sinnesart fremd ist, en te diaphonia tes sumbioseos, seufzt
er zu Zeiten: thatton elthois, o thanate -- IX 3. -- Vgl. Bonhöffer,
Epiktet 59 ff.
1) Ich werde sterben ohne Empörung gegen Gott eidos, oti to geno-
menon kai phtharenai dei. ou gar eimi aion, all anthropos, meros ton panton,
os ora emeras; enstenai me dei os ten oran kai parelthein os oran. Epict.
Diss. II 5, 13. Die Gegenwart muss der Zukunft Platz machen, in e
periodos anuetai tou kosmou (II 17. 18; IV 1, 106). Der Tod bringt
nicht völligen Untergang, ouk apoleian, aber ton proteron eis etera meta-
bolas (III 24, 91--94). Die Person des Jetztlebenden geht aber jeden-
falls im Tode völlig unter. -- Vgl. Bonhöffer, Epiktet 65 f.

Der derbere Lebensmuth des phrygischen Sklaven und
Freigelassenen bedarf der Annahme einer persönlichen Fort-
dauer nicht, um mit Tapferkeit und Fassung den Kampf des
irdischen Lebens zu bestehn. Das Gewordene muss vergehn;
ohne Zögern und Bedauern ergiebt der Weise sich dem Gesetz
des vernunftbestimmten Weltalls, in dem das Gegenwärtige dem
Kommenden Platz machen muss, nicht um in nichts zu ver-
schwinden, aber um sich zu wandeln und an andere Bildungen
des lebendigen Stoffes sein besonderes Wesen, sein kleines Ich
zu verlieren. Das All erhält sich, aber seine Theile wandeln
sich und tauschen sich unter einander aus 1). Die pantheistische
Grundvorstellung der Schule, von Heraklit übernommen, der
die dauernde Aussonderung kleiner Lebensfunken zu selbst-
ständigem Dasein ausserhalb des feurig fluthenden Alllebens
der Welt undenkbar blieb, war zur Ueberzeugung, das Pathos

αἴσϑησις eine ἑτεροία wird), sondern eine Verwendung des im Tode ver-
hauchten Seelenpneuma zu anderen, durch keine Identität der Seelen-
person mit der früheren Lebensform verbundenen neuen Lebensformen.
Hiebei kann man wohl noch sagen: τοῦ ζῇν οὐ παύσῃ, aber von Erhal-
tung des Ich kann keine Rede sein. ἡ τῶν ὅλων φύσις versetzt und ver-
tauscht ihre Bestandtheile, alles ist im ewigen Wechsel: VIII 6; IX 28.
An eine Erhaltung der Person denkt ernstlich der Kaiser nicht: er sucht
zu verstehen, warum es so sein müsse; aber er hält offenbar für fest-
stehend, dass es so sei, dass in der That auch die Besten der Menschen
mit dem Tode völlig „erlöschen“: XII 5. Alles wandelt sich, das eine
vergeht, damit andres aus ihm entstehe: XII 21, und so muss auch der
Mensch sich sagen: μετ̕ οὐ πολὺ οὐδεὶς οὐδαμοῦ ἔσῃ (XII 21; VIII 5).
Und der Weise wird sich das beruhigt sagen; seine Seele ist ἕτοιμος, ἐὰν
ἤδη ἀπολυϑῆναι δέῃ τοῦ σώματος — XI 3. Unter Menschen lebend,
denen seine Sinnesart fremd ist, ἐν τῇ διαφωνίᾳ τῆς συμβιώσεως, seufzt
er zu Zeiten: ϑᾶττον ἔλϑοις, ὦ ϑάνατε — IX 3. — Vgl. Bonhöffer,
Epiktet 59 ff.
1) Ich werde sterben ohne Empörung gegen Gott εἰδώς, ὅτι τὸ γενό-
μενον καὶ φϑαρῆναι δεῖ. οὐ γάρ εἰμι αἰὡν, ἀλλ̕ ἄνϑρωπος, μέρος τῶν πάντων,
ὡς ὥρα ἡμέρας· ἐνστῆναί με δεῖ ὡς τὴν ὥραν καὶ παρελϑεῖν ὡς ὥραν. Epict.
Diss. II 5, 13. Die Gegenwart muss der Zukunft Platz machen, ἵν̕ ἡ
περίοδος ἀνύηται τοῦ κόσμου (II 17. 18; IV 1, 106). Der Tod bringt
nicht völligen Untergang, οὐκ ἀπώλειαν, aber τῶν προτέρων εἰς ἕτερα μετα-
βολάς (III 24, 91—94). Die Person des Jetztlebenden geht aber jeden-
falls im Tode völlig unter. — Vgl. Bonhöffer, Epiktet 65 f.
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[620/0636] Der derbere Lebensmuth des phrygischen Sklaven und Freigelassenen bedarf der Annahme einer persönlichen Fort- dauer nicht, um mit Tapferkeit und Fassung den Kampf des irdischen Lebens zu bestehn. Das Gewordene muss vergehn; ohne Zögern und Bedauern ergiebt der Weise sich dem Gesetz des vernunftbestimmten Weltalls, in dem das Gegenwärtige dem Kommenden Platz machen muss, nicht um in nichts zu ver- schwinden, aber um sich zu wandeln und an andere Bildungen des lebendigen Stoffes sein besonderes Wesen, sein kleines Ich zu verlieren. Das All erhält sich, aber seine Theile wandeln sich und tauschen sich unter einander aus 1). Die pantheistische Grundvorstellung der Schule, von Heraklit übernommen, der die dauernde Aussonderung kleiner Lebensfunken zu selbst- ständigem Dasein ausserhalb des feurig fluthenden Alllebens der Welt undenkbar blieb, war zur Ueberzeugung, das Pathos 1) 1) Ich werde sterben ohne Empörung gegen Gott εἰδώς, ὅτι τὸ γενό- μενον καὶ φϑαρῆναι δεῖ. οὐ γάρ εἰμι αἰὡν, ἀλλ̕ ἄνϑρωπος, μέρος τῶν πάντων, ὡς ὥρα ἡμέρας· ἐνστῆναί με δεῖ ὡς τὴν ὥραν καὶ παρελϑεῖν ὡς ὥραν. Epict. Diss. II 5, 13. Die Gegenwart muss der Zukunft Platz machen, ἵν̕ ἡ περίοδος ἀνύηται τοῦ κόσμου (II 17. 18; IV 1, 106). Der Tod bringt nicht völligen Untergang, οὐκ ἀπώλειαν, aber τῶν προτέρων εἰς ἕτερα μετα- βολάς (III 24, 91—94). Die Person des Jetztlebenden geht aber jeden- falls im Tode völlig unter. — Vgl. Bonhöffer, Epiktet 65 f. 1) αἴσϑησις eine ἑτεροία wird), sondern eine Verwendung des im Tode ver- hauchten Seelenpneuma zu anderen, durch keine Identität der Seelen- person mit der früheren Lebensform verbundenen neuen Lebensformen. Hiebei kann man wohl noch sagen: τοῦ ζῇν οὐ παύσῃ, aber von Erhal- tung des Ich kann keine Rede sein. ἡ τῶν ὅλων φύσις versetzt und ver- tauscht ihre Bestandtheile, alles ist im ewigen Wechsel: VIII 6; IX 28. An eine Erhaltung der Person denkt ernstlich der Kaiser nicht: er sucht zu verstehen, warum es so sein müsse; aber er hält offenbar für fest- stehend, dass es so sei, dass in der That auch die Besten der Menschen mit dem Tode völlig „erlöschen“: XII 5. Alles wandelt sich, das eine vergeht, damit andres aus ihm entstehe: XII 21, und so muss auch der Mensch sich sagen: μετ̕ οὐ πολὺ οὐδεὶς οὐδαμοῦ ἔσῃ (XII 21; VIII 5). Und der Weise wird sich das beruhigt sagen; seine Seele ist ἕτοιμος, ἐὰν ἤδη ἀπολυϑῆναι δέῃ τοῦ σώματος — XI 3. Unter Menschen lebend, denen seine Sinnesart fremd ist, ἐν τῇ διαφωνίᾳ τῆς συμβιώσεως, seufzt er zu Zeiten: ϑᾶττον ἔλϑοις, ὦ ϑάνατε — IX 3. — Vgl. Bonhöffer, Epiktet 59 ff.

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 620. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/636>, abgerufen am 22.11.2024.