Uebung. Man darf dies behaupten, auch ohne aus den Resten der Litteratur dieser späteren Periode erhebliche Zeugnisse hie- für beibringen zu können, dergleichen, nach Inhalt und Art dieser Litteratur, man dort anzutreffen kaum erwarten kann. Zu einem grossen Theil gelten übrigens, nach der Art, wie sie abgegeben werden, die litterarischen Zeugnisse, aus denen der Seelencult älterer Zeit sich erläutern liess, ohne Weiteres auch für unsere Periode. Noch an ihrem letzten Ausgang zeugt Lucians Schrift "Von der Trauer" ausdrücklich für das Fort- bestehen der altgeheiligten Gebräuche in ihrem vollen Umfange, von der Waschung, Salbung, Bekränzung der Leiche und ihrer feierlichen Ausstellung auf dem Todtenbette, der ausschweifend heftigen Klage an der Leiche und ihren im Brauche fest- stehenden Herkömmlichkeiten, bis zur feierlichen Bestattung, den im Brande dem Todten mitgegebenen oder mit ihm in die Gruft versenkten Prunkstücken aus seinem Besitz, an denen er auch nach dem Tode noch sich erfreuen soll, der Nährung der hilflosen Seele durch Weingüsse und Brandopfer, dem rituellen Fasten der Angehörigen, das erst nach drei Tagen durch das Todtenmahl gebrochen wird 1).
Nichts von allem "Gebräuchlichen" (nomima) darf dem Todten vorenthalten werden; nur so ist für sein Heil voll ge- sorgt 2). Das Wichtigste ist die feierliche Beisetzung der Leiche;
1) Lucian de luctu: Waschen, Salben, Kränzen der Leiche; prothesis: cap. 11. Heftige Klagen an der Leiche: 12; mit Begleitung des aulos: 19. Dabei ein Vorsänger threnon sophistes: 20. Specialklage des Vaters: 13. Der Todte liegt da mit umwickeltem und so vor hässlichem Auseinander- klaffen geschützten Kinnbacken: 19 extr. esthes, kosmos (wohl gar auch Pferde und Diener) werden mit verbrannt oder mitbeigesetzt, zum Ge- brauch des Todten: 14. obolos dem Todten mitgegeben: 10. Nährung des Todten durch khoai und kathagismata: 9. Der Leichenstein bekränzt, mit akratos beträufelt. Brandopfer: 19. perideipnon nach dreitägigem Fasten: 24.
2) Aus etwas früherer Zeit: schlimm ist es todt zu sein me tukhonta ton nomimon, ein Gräuel wenn der Sohn dem Vater ta nomizomena nach dem Tode nicht leistet. Dinarch. adv. Aristogit. 8. 18; vgl. [Demosth.] 25, 54. -- Befriedigt sagt der Todte: panth osa tois khrestois phthimenois
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Uebung. Man darf dies behaupten, auch ohne aus den Resten der Litteratur dieser späteren Periode erhebliche Zeugnisse hie- für beibringen zu können, dergleichen, nach Inhalt und Art dieser Litteratur, man dort anzutreffen kaum erwarten kann. Zu einem grossen Theil gelten übrigens, nach der Art, wie sie abgegeben werden, die litterarischen Zeugnisse, aus denen der Seelencult älterer Zeit sich erläutern liess, ohne Weiteres auch für unsere Periode. Noch an ihrem letzten Ausgang zeugt Lucians Schrift „Von der Trauer“ ausdrücklich für das Fort- bestehen der altgeheiligten Gebräuche in ihrem vollen Umfange, von der Waschung, Salbung, Bekränzung der Leiche und ihrer feierlichen Ausstellung auf dem Todtenbette, der ausschweifend heftigen Klage an der Leiche und ihren im Brauche fest- stehenden Herkömmlichkeiten, bis zur feierlichen Bestattung, den im Brande dem Todten mitgegebenen oder mit ihm in die Gruft versenkten Prunkstücken aus seinem Besitz, an denen er auch nach dem Tode noch sich erfreuen soll, der Nährung der hilflosen Seele durch Weingüsse und Brandopfer, dem rituellen Fasten der Angehörigen, das erst nach drei Tagen durch das Todtenmahl gebrochen wird 1).
Nichts von allem „Gebräuchlichen“ (νόμιμα) darf dem Todten vorenthalten werden; nur so ist für sein Heil voll ge- sorgt 2). Das Wichtigste ist die feierliche Beisetzung der Leiche;
1) Lucian de luctu: Waschen, Salben, Kränzen der Leiche; πρόϑεσις: cap. 11. Heftige Klagen an der Leiche: 12; mit Begleitung des αὐλός: 19. Dabei ein Vorsänger ϑρηνῶν σοφιστής: 20. Specialklage des Vaters: 13. Der Todte liegt da mit umwickeltem und so vor hässlichem Auseinander- klaffen geschützten Kinnbacken: 19 extr. ἐσϑής, κόσμος (wohl gar auch Pferde und Diener) werden mit verbrannt oder mitbeigesetzt, zum Ge- brauch des Todten: 14. ὀβολός dem Todten mitgegeben: 10. Nährung des Todten durch χοαί und καϑαγίσματα: 9. Der Leichenstein bekränzt, mit ἄκρατος beträufelt. Brandopfer: 19. περίδειπνον nach dreitägigem Fasten: 24.
2) Aus etwas früherer Zeit: schlimm ist es todt zu sein μὴ τυχόντα τῶν νομίμων, ein Gräuel wenn der Sohn dem Vater τὰ νομιζόμενα nach dem Tode nicht leistet. Dinarch. adv. Aristogit. 8. 18; vgl. [Demosth.] 25, 54. — Befriedigt sagt der Todte: πάνϑ̕ ὅσα τοῖς χρηστοῖς φϑιμένοις
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Uebung. Man darf dies behaupten, auch ohne aus den Resten
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dieser Litteratur, man dort anzutreffen kaum erwarten kann.
Zu einem grossen Theil gelten übrigens, nach der Art, wie sie
abgegeben werden, die litterarischen Zeugnisse, aus denen der
Seelencult älterer Zeit sich erläutern liess, ohne Weiteres auch
für unsere Periode. Noch an ihrem letzten Ausgang zeugt
Lucians Schrift „Von der Trauer“ ausdrücklich für das Fort-
bestehen der altgeheiligten Gebräuche in ihrem vollen Umfange,
von der Waschung, Salbung, Bekränzung der Leiche und ihrer
feierlichen Ausstellung auf dem Todtenbette, der ausschweifend
heftigen Klage an der Leiche und ihren im Brauche fest-
stehenden Herkömmlichkeiten, bis zur feierlichen Bestattung,
den im Brande dem Todten mitgegebenen oder mit ihm in die
Gruft versenkten Prunkstücken aus seinem Besitz, an denen
er auch nach dem Tode noch sich erfreuen soll, der Nährung
der hilflosen Seele durch Weingüsse und Brandopfer, dem
rituellen Fasten der Angehörigen, das erst nach drei Tagen
durch das Todtenmahl gebrochen wird 1).
Nichts von allem „Gebräuchlichen“ (νόμιμα) darf dem
Todten vorenthalten werden; nur so ist für sein Heil voll ge-
sorgt 2). Das Wichtigste ist die feierliche Beisetzung der Leiche;
1) Lucian de luctu: Waschen, Salben, Kränzen der Leiche; πρόϑεσις:
cap. 11. Heftige Klagen an der Leiche: 12; mit Begleitung des αὐλός: 19.
Dabei ein Vorsänger ϑρηνῶν σοφιστής: 20. Specialklage des Vaters: 13.
Der Todte liegt da mit umwickeltem und so vor hässlichem Auseinander-
klaffen geschützten Kinnbacken: 19 extr. ἐσϑής, κόσμος (wohl gar auch
Pferde und Diener) werden mit verbrannt oder mitbeigesetzt, zum Ge-
brauch des Todten: 14. ὀβολός dem Todten mitgegeben: 10. Nährung
des Todten durch χοαί und καϑαγίσματα: 9. Der Leichenstein bekränzt,
mit ἄκρατος beträufelt. Brandopfer: 19. περίδειπνον nach dreitägigem
Fasten: 24.
2) Aus etwas früherer Zeit: schlimm ist es todt zu sein μὴ τυχόντα
τῶν νομίμων, ein Gräuel wenn der Sohn dem Vater τὰ νομιζόμενα nach
dem Tode nicht leistet. Dinarch. adv. Aristogit. 8. 18; vgl. [Demosth.]
25, 54. — Befriedigt sagt der Todte: πάνϑ̕ ὅσα τοῖς χρηστοῖς φϑιμένοις
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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 627. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/643>, abgerufen am 26.06.2024.
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