Es kommt die Zeit, in der selbst das eigenmächtig ge- waltsame Eingreifen in die unsichtbare Welt, der Geisterzwang, ein Theil gläubiger Philosophie wird. Der griechische Volks- glaube brauchte nicht auf die Belehrungen barbarischer Syste- matisirung des Unsinns zu warten, um ein gewaltsames Heran- ziehen der Geister der Tiefe für möglich zu halten. Solches Zauberwerk ist uralt in Griechenland 1). Aber in der Ver- einigung und Vermischung griechischen und barbarischen Lebens, in der sich, in diesen hellenistischen Jahrhunderten, verwandte Wahnvorstellungen aus allen Weltenden zusammenfanden und gegenseitig steigerten, ist auch, aus fremdländischen noch mehr als aus einheimischen Quellen gespeist, das Unwesen der Gei- sterbannung und Seelenbeschwörung, die Praxis zu einer phan- tastischen Theorie von Sein und Leben der körperfreien Seele, zu einem trüben Strome angeschwollen. Die hohe Götterwelt des alten Griechenlandes begann dem getrübten Blick zu ver- schwimmen; mehr und mehr drängte sich statt ihrer ein Ge- tümmel fremder Götzen und niedrig schwebender dämonischer Mächte vor. Und in dem Wirrsal dieses griechisch-barbarischen Pandämoniums fanden auch die Schaaren unruhiger Seelen- geister ihre Stelle. Das Gespenst war unter Verwandten, wo die Götter selbst zu Gespenstern wurden. Wo jetzt Götter und Geister gerufen werden, fehlt auch das Seelengespenst selten 2). Wir haben Ueberreste der Theorie des Geisterzwanges vor uns, in den griechisch-ägyptischen Zauberbüchern. Proben der praktischen Ausübung dieses Aberwitzes treten uns vor Augen in den Zauberformeln und Bannflüchen, die, auf bleierne oder goldene Täfelchen geritzt, in Gräbern, denen sie, als den Sitzen der angerufenen Unheimlichen, anvertraut waren, sich zahlreich vorgefunden haben. Regelmässig werden da unter den zur Rache, zur Bestrafung und Beschädigung des Feindes Beschworenen auch die unruhigen Seelen der Todten genannt.
1) Vgl. oben p. 198. 378 f.
2) psukhas eroon anakalein, unter den üblichen Künsten der Zauberer: Cels. bei Origines adv. Cels. 1, 68 p. 127 Lomm.
Es kommt die Zeit, in der selbst das eigenmächtig ge- waltsame Eingreifen in die unsichtbare Welt, der Geisterzwang, ein Theil gläubiger Philosophie wird. Der griechische Volks- glaube brauchte nicht auf die Belehrungen barbarischer Syste- matisirung des Unsinns zu warten, um ein gewaltsames Heran- ziehen der Geister der Tiefe für möglich zu halten. Solches Zauberwerk ist uralt in Griechenland 1). Aber in der Ver- einigung und Vermischung griechischen und barbarischen Lebens, in der sich, in diesen hellenistischen Jahrhunderten, verwandte Wahnvorstellungen aus allen Weltenden zusammenfanden und gegenseitig steigerten, ist auch, aus fremdländischen noch mehr als aus einheimischen Quellen gespeist, das Unwesen der Gei- sterbannung und Seelenbeschwörung, die Praxis zu einer phan- tastischen Theorie von Sein und Leben der körperfreien Seele, zu einem trüben Strome angeschwollen. Die hohe Götterwelt des alten Griechenlandes begann dem getrübten Blick zu ver- schwimmen; mehr und mehr drängte sich statt ihrer ein Ge- tümmel fremder Götzen und niedrig schwebender dämonischer Mächte vor. Und in dem Wirrsal dieses griechisch-barbarischen Pandämoniums fanden auch die Schaaren unruhiger Seelen- geister ihre Stelle. Das Gespenst war unter Verwandten, wo die Götter selbst zu Gespenstern wurden. Wo jetzt Götter und Geister gerufen werden, fehlt auch das Seelengespenst selten 2). Wir haben Ueberreste der Theorie des Geisterzwanges vor uns, in den griechisch-ägyptischen Zauberbüchern. Proben der praktischen Ausübung dieses Aberwitzes treten uns vor Augen in den Zauberformeln und Bannflüchen, die, auf bleierne oder goldene Täfelchen geritzt, in Gräbern, denen sie, als den Sitzen der angerufenen Unheimlichen, anvertraut waren, sich zahlreich vorgefunden haben. Regelmässig werden da unter den zur Rache, zur Bestrafung und Beschädigung des Feindes Beschworenen auch die unruhigen Seelen der Todten genannt.
1) Vgl. oben p. 198. 378 f.
2) ψυχὰς ἡρώων ἀνακαλεῖν, unter den üblichen Künsten der Zauberer: Cels. bei Origines adv. Cels. 1, 68 p. 127 Lomm.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0669"n="653"/><p>Es kommt die Zeit, in der selbst das eigenmächtig ge-<lb/>
waltsame Eingreifen in die unsichtbare Welt, der Geisterzwang,<lb/>
ein Theil gläubiger Philosophie wird. Der griechische Volks-<lb/>
glaube brauchte nicht auf die Belehrungen barbarischer Syste-<lb/>
matisirung des Unsinns zu warten, um ein gewaltsames Heran-<lb/>
ziehen der Geister der Tiefe für möglich zu halten. Solches<lb/>
Zauberwerk ist uralt in Griechenland <noteplace="foot"n="1)">Vgl. oben p. 198. 378 f.</note>. Aber in der Ver-<lb/>
einigung und Vermischung griechischen und barbarischen Lebens,<lb/>
in der sich, in diesen hellenistischen Jahrhunderten, verwandte<lb/>
Wahnvorstellungen aus allen Weltenden zusammenfanden und<lb/>
gegenseitig steigerten, ist auch, aus fremdländischen noch mehr<lb/>
als aus einheimischen Quellen gespeist, das Unwesen der Gei-<lb/>
sterbannung und Seelenbeschwörung, die Praxis zu einer phan-<lb/>
tastischen Theorie von Sein und Leben der körperfreien Seele,<lb/>
zu einem trüben Strome angeschwollen. Die hohe Götterwelt<lb/>
des alten Griechenlandes begann dem getrübten Blick zu ver-<lb/>
schwimmen; mehr und mehr drängte sich statt ihrer ein Ge-<lb/>
tümmel fremder Götzen und niedrig schwebender dämonischer<lb/>
Mächte vor. Und in dem Wirrsal dieses griechisch-barbarischen<lb/>
Pandämoniums fanden auch die Schaaren unruhiger Seelen-<lb/>
geister ihre Stelle. Das Gespenst war unter Verwandten, wo<lb/>
die Götter selbst zu Gespenstern wurden. Wo jetzt Götter<lb/>
und Geister gerufen werden, fehlt auch das Seelengespenst<lb/>
selten <noteplace="foot"n="2)">ψυχὰςἡρώωνἀνακαλεῖν, unter den üblichen Künsten der Zauberer:<lb/>
Cels. bei Origines <hirendition="#i">adv. Cels.</hi> 1, 68 p. 127 Lomm.</note>. Wir haben Ueberreste der Theorie des Geisterzwanges<lb/>
vor uns, in den griechisch-ägyptischen Zauberbüchern. Proben<lb/>
der praktischen Ausübung dieses Aberwitzes treten uns vor<lb/>
Augen in den Zauberformeln und Bannflüchen, die, auf bleierne<lb/>
oder goldene Täfelchen geritzt, in Gräbern, denen sie, als den<lb/>
Sitzen der angerufenen Unheimlichen, anvertraut waren, sich<lb/>
zahlreich vorgefunden haben. Regelmässig werden da unter<lb/>
den zur Rache, zur Bestrafung und Beschädigung des Feindes<lb/>
Beschworenen auch die unruhigen Seelen der Todten genannt.<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[653/0669]
Es kommt die Zeit, in der selbst das eigenmächtig ge-
waltsame Eingreifen in die unsichtbare Welt, der Geisterzwang,
ein Theil gläubiger Philosophie wird. Der griechische Volks-
glaube brauchte nicht auf die Belehrungen barbarischer Syste-
matisirung des Unsinns zu warten, um ein gewaltsames Heran-
ziehen der Geister der Tiefe für möglich zu halten. Solches
Zauberwerk ist uralt in Griechenland 1). Aber in der Ver-
einigung und Vermischung griechischen und barbarischen Lebens,
in der sich, in diesen hellenistischen Jahrhunderten, verwandte
Wahnvorstellungen aus allen Weltenden zusammenfanden und
gegenseitig steigerten, ist auch, aus fremdländischen noch mehr
als aus einheimischen Quellen gespeist, das Unwesen der Gei-
sterbannung und Seelenbeschwörung, die Praxis zu einer phan-
tastischen Theorie von Sein und Leben der körperfreien Seele,
zu einem trüben Strome angeschwollen. Die hohe Götterwelt
des alten Griechenlandes begann dem getrübten Blick zu ver-
schwimmen; mehr und mehr drängte sich statt ihrer ein Ge-
tümmel fremder Götzen und niedrig schwebender dämonischer
Mächte vor. Und in dem Wirrsal dieses griechisch-barbarischen
Pandämoniums fanden auch die Schaaren unruhiger Seelen-
geister ihre Stelle. Das Gespenst war unter Verwandten, wo
die Götter selbst zu Gespenstern wurden. Wo jetzt Götter
und Geister gerufen werden, fehlt auch das Seelengespenst
selten 2). Wir haben Ueberreste der Theorie des Geisterzwanges
vor uns, in den griechisch-ägyptischen Zauberbüchern. Proben
der praktischen Ausübung dieses Aberwitzes treten uns vor
Augen in den Zauberformeln und Bannflüchen, die, auf bleierne
oder goldene Täfelchen geritzt, in Gräbern, denen sie, als den
Sitzen der angerufenen Unheimlichen, anvertraut waren, sich
zahlreich vorgefunden haben. Regelmässig werden da unter
den zur Rache, zur Bestrafung und Beschädigung des Feindes
Beschworenen auch die unruhigen Seelen der Todten genannt.
1) Vgl. oben p. 198. 378 f.
2) ψυχὰς ἡρώων ἀνακαλεῖν, unter den üblichen Künsten der Zauberer:
Cels. bei Origines adv. Cels. 1, 68 p. 127 Lomm.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 653. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/669>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.