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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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lichkeit. Die Inschriften, in denen bestimmte Hoffnungen auf
ein Fortleben im Jenseits sich aussprechen, machen von der
gesammten Menge der Grabschriften einen sehr kleinen Theil
aus. Und unter ihnen wiederum sind wenige in Prosa abge-
fasst. Nicht in der schlichten Fassung thatsächlich verbürgter
Mittheilung, sondern in der künstlicheren Gestalt, in der dich-
terische Phantasie und Aufschwung des Gemüthes ausserhalb
des Bereiches einer kahlen Wirklichkeit ihre Eingebungen hin-
stellen, treten Ansichten und Verkündigungen von einem ge-
hofften Jenseits hervor. Das ist gewiss bedeutsam. Auch
unter den poetischen Grabschriften überwiegen solche, die, auf
das vergangene Leben des nun Verstorbenen, seine Art, sein
Glück, seine Thaten zurückblickend, den Schmerz und die An-
hänglichkeit der Hinterbliebenen, oft in innigster Wahrhaftig-
keit, aussprechend, ganz im Diesseitigen die Gedanken fest-
halten. Wo sie doch in das Jenseits hinüberschweifen, da geht
der Zug am liebsten gleich in ein schimmerndes Land der Ver-
heissung, weit über alle Erfahrung und nüchterne Ueberlegung
hinaus. Wer so hochfliegende Gedanken hegte, musste vor
Anderen das Bedürfniss fühlen, ihnen im Verse gesteigerten
Ausdruck zu geben. Aber dass unter den Zeitgenossen ins-
gesammt solche Gedanken vorgeherrscht haben, würde man aus
ihrem Ueberwiegen unter den metrisch gefassten Grabschriften
nur auf die Gefahr, sich stark zu verrechnen, schliessen dürfen.

Schlicht alterthümliche, in homerischer Denkweise be-
harrende Auffassung, die, ohne weiteren Wunsch und Klage,
die Seele des Verstorbenen in den Erebos entschwunden sieht,
spricht sich am seltensten in diesen Grabgedichten aus 1).
Häufiger wird, in herkömmlicher Formel, der Wunsch: "Ruhe
sanft" vernommen 2), eigentlich dem in das Grab gebetteten

1) Etwa in Ep. (= Epigr. graec. ex lapid. collecta ed. Kaibel) 35 a
(p. 517), dieses aber aus dem 4. Jahrh vor Chr. Spät (in Prosa) I. Gr.
Sic. et It.
1702.
2) gaian ekhois elaphran Ep. 195, 4 ähnlich 103, 7; 538, 7; 551, 4; 559, 3.
I. Gr. Sic. 329. -- Schon Eurip. Alc. 477 ähnlich (s. oben p. 541 Anm.).

lichkeit. Die Inschriften, in denen bestimmte Hoffnungen auf
ein Fortleben im Jenseits sich aussprechen, machen von der
gesammten Menge der Grabschriften einen sehr kleinen Theil
aus. Und unter ihnen wiederum sind wenige in Prosa abge-
fasst. Nicht in der schlichten Fassung thatsächlich verbürgter
Mittheilung, sondern in der künstlicheren Gestalt, in der dich-
terische Phantasie und Aufschwung des Gemüthes ausserhalb
des Bereiches einer kahlen Wirklichkeit ihre Eingebungen hin-
stellen, treten Ansichten und Verkündigungen von einem ge-
hofften Jenseits hervor. Das ist gewiss bedeutsam. Auch
unter den poetischen Grabschriften überwiegen solche, die, auf
das vergangene Leben des nun Verstorbenen, seine Art, sein
Glück, seine Thaten zurückblickend, den Schmerz und die An-
hänglichkeit der Hinterbliebenen, oft in innigster Wahrhaftig-
keit, aussprechend, ganz im Diesseitigen die Gedanken fest-
halten. Wo sie doch in das Jenseits hinüberschweifen, da geht
der Zug am liebsten gleich in ein schimmerndes Land der Ver-
heissung, weit über alle Erfahrung und nüchterne Ueberlegung
hinaus. Wer so hochfliegende Gedanken hegte, musste vor
Anderen das Bedürfniss fühlen, ihnen im Verse gesteigerten
Ausdruck zu geben. Aber dass unter den Zeitgenossen ins-
gesammt solche Gedanken vorgeherrscht haben, würde man aus
ihrem Ueberwiegen unter den metrisch gefassten Grabschriften
nur auf die Gefahr, sich stark zu verrechnen, schliessen dürfen.

Schlicht alterthümliche, in homerischer Denkweise be-
harrende Auffassung, die, ohne weiteren Wunsch und Klage,
die Seele des Verstorbenen in den Erebos entschwunden sieht,
spricht sich am seltensten in diesen Grabgedichten aus 1).
Häufiger wird, in herkömmlicher Formel, der Wunsch: „Ruhe
sanft“ vernommen 2), eigentlich dem in das Grab gebetteten

1) Etwa in Ep. (= Epigr. graec. ex lapid. collecta ed. Kaibel) 35 a
(p. 517), dieses aber aus dem 4. Jahrh vor Chr. Spät (in Prosa) I. Gr.
Sic. et It.
1702.
2) γαῖαν ἔχοις ἐλαφράν Ep. 195, 4 ähnlich 103, 7; 538, 7; 551, 4; 559, 3.
I. Gr. Sic. 329. — Schon Eurip. Alc. 477 ähnlich (s. oben p. 541 Anm.).
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[669/0685] lichkeit. Die Inschriften, in denen bestimmte Hoffnungen auf ein Fortleben im Jenseits sich aussprechen, machen von der gesammten Menge der Grabschriften einen sehr kleinen Theil aus. Und unter ihnen wiederum sind wenige in Prosa abge- fasst. Nicht in der schlichten Fassung thatsächlich verbürgter Mittheilung, sondern in der künstlicheren Gestalt, in der dich- terische Phantasie und Aufschwung des Gemüthes ausserhalb des Bereiches einer kahlen Wirklichkeit ihre Eingebungen hin- stellen, treten Ansichten und Verkündigungen von einem ge- hofften Jenseits hervor. Das ist gewiss bedeutsam. Auch unter den poetischen Grabschriften überwiegen solche, die, auf das vergangene Leben des nun Verstorbenen, seine Art, sein Glück, seine Thaten zurückblickend, den Schmerz und die An- hänglichkeit der Hinterbliebenen, oft in innigster Wahrhaftig- keit, aussprechend, ganz im Diesseitigen die Gedanken fest- halten. Wo sie doch in das Jenseits hinüberschweifen, da geht der Zug am liebsten gleich in ein schimmerndes Land der Ver- heissung, weit über alle Erfahrung und nüchterne Ueberlegung hinaus. Wer so hochfliegende Gedanken hegte, musste vor Anderen das Bedürfniss fühlen, ihnen im Verse gesteigerten Ausdruck zu geben. Aber dass unter den Zeitgenossen ins- gesammt solche Gedanken vorgeherrscht haben, würde man aus ihrem Ueberwiegen unter den metrisch gefassten Grabschriften nur auf die Gefahr, sich stark zu verrechnen, schliessen dürfen. Schlicht alterthümliche, in homerischer Denkweise be- harrende Auffassung, die, ohne weiteren Wunsch und Klage, die Seele des Verstorbenen in den Erebos entschwunden sieht, spricht sich am seltensten in diesen Grabgedichten aus 1). Häufiger wird, in herkömmlicher Formel, der Wunsch: „Ruhe sanft“ vernommen 2), eigentlich dem in das Grab gebetteten 1) Etwa in Ep. (= Epigr. graec. ex lapid. collecta ed. Kaibel) 35 a (p. 517), dieses aber aus dem 4. Jahrh vor Chr. Spät (in Prosa) I. Gr. Sic. et It. 1702. 2) γαῖαν ἔχοις ἐλαφράν Ep. 195, 4 ähnlich 103, 7; 538, 7; 551, 4; 559, 3. I. Gr. Sic. 329. — Schon Eurip. Alc. 477 ähnlich (s. oben p. 541 Anm.).

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 669. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/685>, abgerufen am 24.11.2024.