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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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Berichten späterer Zeit oft genug begegnet. Die Witterung
des Blutes zieht die Seelen an, die "Blutsättigung" (aimakouria)
ist der eigentliche Zweck solcher Darbringungen, wie sie dem
Dichter als Vorbild vorschweben. Erfunden hat er in dieser
Darstellung nichts, aber auch nicht etwa, wie man wohl an-
nimmt, neuen, zu der Annahme energischeren Lebens der ab-
geschiedenen Seelen vorgedrungenen Vorstellungen seine Opfer-
ceremonien angepasst. Denn hier wie bei der Schilderung des
Opfercultes bei der Bestattung des Patroklos ist ja die Vor-
stellung des Dichters von dem Seelenleben durchaus nicht der
Art, dass sie neuen kräftigeren Brauch begründen könnte,
sie steht vielmehr mit den Resten eines Cultus, die sie vor-
führt, im Widerspruch. Auch hier also sehen wir versteinerte,
sinnlos gewordene Rudimente eines einstmals im Glauben voll
begründeten Brauches vor uns, vom Dichter um dichterischer
Zwecke willen hervorgezogen und nicht nach ihrem ursprüng-
lichen Sinne verwendet. Die Opferhandlung, durch welche
hier die Seelen herangelockt werden, gleicht auffallend den Ge-
bräuchen, mit denen man später an solchen Stellen, an denen
man einen Zugang zum Seelenreiche im Inneren der Erde zu
haben glaubte, Todtenbeschwörung übte. Es ist an sich durchaus
nicht undenkbar, dass auch zu der Zeit des Dichters der Hades-
fahrt in irgend einem Winkel Griechenlands solche Beschwö-
rungen, als Reste alten Glaubens, sich erhalten hätten. Sollte
aber auch der Dichter von solchem localen Todtencult Kunde
gehabt und hiernach seine Darstellung gebildet haben 1), so

1) Speciell an das Thesprotische nekuomanteion am Flusse Acheron
als Vorbild der homerischen Darstellung denkt Pausanias 1, 17, 5 und
mit ihm K. O. Müller, Proleg. z. e. wissenschaftl. Mythol. 363 und dann
viele Andere. Im Grunde hat man hierzu kaum mehr Veranlassung als
zu einer Fixirung des homerischen Hadeseingangs bei Cumae, bei Hera-
klea Pont. (vgl. Rhein. Mus. 36, 555 ff.) oder an anderen Stätten alten
Todtendienstes (z. B. bei Pylos), an denen sich dann auch die herkömm-
lichen Namen des Acheron, Kokytos, Pyriphlegethon leicht genug ein-
stellten -- aus Homer entnommen, nicht von dorther in den Homer ein-
gedrungen. Dass uns das Todtenorakel im Thesproterlande gerade

Berichten späterer Zeit oft genug begegnet. Die Witterung
des Blutes zieht die Seelen an, die „Blutsättigung“ (αίμακουρία)
ist der eigentliche Zweck solcher Darbringungen, wie sie dem
Dichter als Vorbild vorschweben. Erfunden hat er in dieser
Darstellung nichts, aber auch nicht etwa, wie man wohl an-
nimmt, neuen, zu der Annahme energischeren Lebens der ab-
geschiedenen Seelen vorgedrungenen Vorstellungen seine Opfer-
ceremonien angepasst. Denn hier wie bei der Schilderung des
Opfercultes bei der Bestattung des Patroklos ist ja die Vor-
stellung des Dichters von dem Seelenleben durchaus nicht der
Art, dass sie neuen kräftigeren Brauch begründen könnte,
sie steht vielmehr mit den Resten eines Cultus, die sie vor-
führt, im Widerspruch. Auch hier also sehen wir versteinerte,
sinnlos gewordene Rudimente eines einstmals im Glauben voll
begründeten Brauches vor uns, vom Dichter um dichterischer
Zwecke willen hervorgezogen und nicht nach ihrem ursprüng-
lichen Sinne verwendet. Die Opferhandlung, durch welche
hier die Seelen herangelockt werden, gleicht auffallend den Ge-
bräuchen, mit denen man später an solchen Stellen, an denen
man einen Zugang zum Seelenreiche im Inneren der Erde zu
haben glaubte, Todtenbeschwörung übte. Es ist an sich durchaus
nicht undenkbar, dass auch zu der Zeit des Dichters der Hades-
fahrt in irgend einem Winkel Griechenlands solche Beschwö-
rungen, als Reste alten Glaubens, sich erhalten hätten. Sollte
aber auch der Dichter von solchem localen Todtencult Kunde
gehabt und hiernach seine Darstellung gebildet haben 1), so

1) Speciell an das Thesprotische νεκυομαντεῖον am Flusse Acheron
als Vorbild der homerischen Darstellung denkt Pausanias 1, 17, 5 und
mit ihm K. O. Müller, Proleg. z. e. wissenschaftl. Mythol. 363 und dann
viele Andere. Im Grunde hat man hierzu kaum mehr Veranlassung als
zu einer Fixirung des homerischen Hadeseingangs bei Cumae, bei Hera-
klea Pont. (vgl. Rhein. Mus. 36, 555 ff.) oder an anderen Stätten alten
Todtendienstes (z. B. bei Pylos), an denen sich dann auch die herkömm-
lichen Namen des Acheron, Kokytos, Pyriphlegethon leicht genug ein-
stellten — aus Homer entnommen, nicht von dorther in den Homer ein-
gedrungen. Dass uns das Todtenorakel im Thesproterlande gerade
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[53/0069] Berichten späterer Zeit oft genug begegnet. Die Witterung des Blutes zieht die Seelen an, die „Blutsättigung“ (αίμακουρία) ist der eigentliche Zweck solcher Darbringungen, wie sie dem Dichter als Vorbild vorschweben. Erfunden hat er in dieser Darstellung nichts, aber auch nicht etwa, wie man wohl an- nimmt, neuen, zu der Annahme energischeren Lebens der ab- geschiedenen Seelen vorgedrungenen Vorstellungen seine Opfer- ceremonien angepasst. Denn hier wie bei der Schilderung des Opfercultes bei der Bestattung des Patroklos ist ja die Vor- stellung des Dichters von dem Seelenleben durchaus nicht der Art, dass sie neuen kräftigeren Brauch begründen könnte, sie steht vielmehr mit den Resten eines Cultus, die sie vor- führt, im Widerspruch. Auch hier also sehen wir versteinerte, sinnlos gewordene Rudimente eines einstmals im Glauben voll begründeten Brauches vor uns, vom Dichter um dichterischer Zwecke willen hervorgezogen und nicht nach ihrem ursprüng- lichen Sinne verwendet. Die Opferhandlung, durch welche hier die Seelen herangelockt werden, gleicht auffallend den Ge- bräuchen, mit denen man später an solchen Stellen, an denen man einen Zugang zum Seelenreiche im Inneren der Erde zu haben glaubte, Todtenbeschwörung übte. Es ist an sich durchaus nicht undenkbar, dass auch zu der Zeit des Dichters der Hades- fahrt in irgend einem Winkel Griechenlands solche Beschwö- rungen, als Reste alten Glaubens, sich erhalten hätten. Sollte aber auch der Dichter von solchem localen Todtencult Kunde gehabt und hiernach seine Darstellung gebildet haben 1), so 1) Speciell an das Thesprotische νεκυομαντεῖον am Flusse Acheron als Vorbild der homerischen Darstellung denkt Pausanias 1, 17, 5 und mit ihm K. O. Müller, Proleg. z. e. wissenschaftl. Mythol. 363 und dann viele Andere. Im Grunde hat man hierzu kaum mehr Veranlassung als zu einer Fixirung des homerischen Hadeseingangs bei Cumae, bei Hera- klea Pont. (vgl. Rhein. Mus. 36, 555 ff.) oder an anderen Stätten alten Todtendienstes (z. B. bei Pylos), an denen sich dann auch die herkömm- lichen Namen des Acheron, Kokytos, Pyriphlegethon leicht genug ein- stellten — aus Homer entnommen, nicht von dorther in den Homer ein- gedrungen. Dass uns das Todtenorakel im Thesproterlande gerade

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/69>, abgerufen am 24.11.2024.