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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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führe auf dunklen Pfaden und sie hinwerfe an den Mündungen
des Okeanos, d. h. am Eingang in's Todtenreich (Od. 20, 61--65;
79 ff.) 1). Sie beruft sich zur Erläuterung dieses Wunsches
auf ein Märchen, von der Art, wie sie wohl in den Weiber-
gemächern oft erzählt werden mochten: von den Töchtern des
Pandareos, die nach dem gewaltsamen Tode der Eltern von
Aphrodite lieblich aufgenährt, von Hera, Artemis und Athene
mit allen Gaben und Kunstfertigkeiten ausgestattet, einst, da
Aphrodite in den Olymp gegangen war, um ihnen von Zeus
einen Ehebund zu erbitten, von den Harpyien entrafft und den
verhassten Erinyen zum Dienste gegeben worden seien 2). Diese
volksthümliche Erzählung lässt, deutlicher als sonst die ho-
merische Kunstdichtung, den Glauben erkennen, dass der
Mensch, auch ohne zu sterben, dauernd dem Bereiche der le-
benden Menschen entführt werden und an anderem Wohn-
platze weiter leben könne. Denn lebendig werden die Töchter
des Pandareos entrückt -- freilich in das Reich der Todten,
denn dorthin gelangen sie, wenn sie den Erinyen, den Höllen-
geistern, dienen müssen 3). Dorthin wünscht auch Penelope,

1) Ausdrücklich wird der Wunsch schnell zu sterben entgegen-
gesetzt
dem Wunsche, durch die Harpyien entführt zu werden:
63 e epeita -- "oder sonst", d. h. wenn mir schneller Tod nicht be-
scheert ist. Nochmals 79. 80: os em aistoseian Olumpia domat
ekhontes ee m euplokamos baloi Artemis. Die Harpyien = (thuella 63)
bringen hier also nicht Tod, sondern entraffen Lebende (anarpaxasa
oikhoito 63 f., arpuiai anereipsanto 77 = anelonto thuellai 66 und tragen
sie kat eeroenta keleutha 64 zu den prokhoai apsorroou Okeanoio 65 edosan
stugeresin Erinusin amphipoleuein 78). An der "Einmündung des Okeanos"
(in's Meer) ist der Eingang in's Todtenreich: k 508 ff. l 13 ff.
2) Man möchte mehr von diesem eigenthümlichen Märchen erfahren;
aber was uns sonst von Pandareos und seinen Töchtern berichtet wird
(Schol. u 66. 67; t 518; Anton. Lib. 36) trägt zur Aufklärung der
homerischen Erzählung nichts bei und gehört wohl z. Th. in ganz andere
Zusammenhänge. Pandareos, Vater der Aedon (t 518 ff.) scheint ein an-
derer zu sein. Auch die eigenthümliche Darstellung der zwei Pandareos-
töchter auf Polygnots Unterweltgemälde (Paus. 10, 30, 2) hellt die Fabel
nicht auf.
3) Die Erinyen haben ihren dauernden Aufenthalt im Erebos: wie
namentlich aus Il. 9, 571 f.; 19, 259 erhellt. Wenn sie freilich auch Ver-

führe auf dunklen Pfaden und sie hinwerfe an den Mündungen
des Okeanos, d. h. am Eingang in’s Todtenreich (Od. 20, 61—65;
79 ff.) 1). Sie beruft sich zur Erläuterung dieses Wunsches
auf ein Märchen, von der Art, wie sie wohl in den Weiber-
gemächern oft erzählt werden mochten: von den Töchtern des
Pandareos, die nach dem gewaltsamen Tode der Eltern von
Aphrodite lieblich aufgenährt, von Hera, Artemis und Athene
mit allen Gaben und Kunstfertigkeiten ausgestattet, einst, da
Aphrodite in den Olymp gegangen war, um ihnen von Zeus
einen Ehebund zu erbitten, von den Harpyien entrafft und den
verhassten Erinyen zum Dienste gegeben worden seien 2). Diese
volksthümliche Erzählung lässt, deutlicher als sonst die ho-
merische Kunstdichtung, den Glauben erkennen, dass der
Mensch, auch ohne zu sterben, dauernd dem Bereiche der le-
benden Menschen entführt werden und an anderem Wohn-
platze weiter leben könne. Denn lebendig werden die Töchter
des Pandareos entrückt — freilich in das Reich der Todten,
denn dorthin gelangen sie, wenn sie den Erinyen, den Höllen-
geistern, dienen müssen 3). Dorthin wünscht auch Penelope,

1) Ausdrücklich wird der Wunsch schnell zu sterben entgegen-
gesetzt
dem Wunsche, durch die Harpyien entführt zu werden:
63 ἢ ἔπειτα — „oder sonst“, d. h. wenn mir schneller Tod nicht be-
scheert ist. Nochmals 79. 80: ὧς ἔμ̕ ἀϊστώσειαν Ὀλύμπια δώματ̕
ἔχοντες ὴέ μ̕ ἐϋπλόκαμος βάλοι Ἄρτεμις. Die Harpyien = (ϑύελλα 63)
bringen hier also nicht Tod, sondern entraffen Lebende (ἀναρπάξασα
οἴχοιτο 63 f., ἅρπυιαι ἀνηρείψαντο 77 = ἀνέλοντο ϑύελλαι 66 und tragen
sie κατ̕ ἠερόεντα κέλευϑα 64 zu den προχοαὶ ἀψορρόου Ὠκεανοῖο 65 ἔδοσαν
στυγερῇσιν Ἐρινύσιν ἀμφιπολεύειν 78). An der „Einmündung des Okeanos“
(in’s Meer) ist der Eingang in’s Todtenreich: κ 508 ff. λ 13 ff.
2) Man möchte mehr von diesem eigenthümlichen Märchen erfahren;
aber was uns sonst von Pandareos und seinen Töchtern berichtet wird
(Schol. υ 66. 67; τ 518; Anton. Lib. 36) trägt zur Aufklärung der
homerischen Erzählung nichts bei und gehört wohl z. Th. in ganz andere
Zusammenhänge. Pandareos, Vater der Aëdon (τ 518 ff.) scheint ein an-
derer zu sein. Auch die eigenthümliche Darstellung der zwei Pandareos-
töchter auf Polygnots Unterweltgemälde (Paus. 10, 30, 2) hellt die Fabel
nicht auf.
3) Die Erinyen haben ihren dauernden Aufenthalt im Erebos: wie
namentlich aus Il. 9, 571 f.; 19, 259 erhellt. Wenn sie freilich auch Ver-
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[66/0082] führe auf dunklen Pfaden und sie hinwerfe an den Mündungen des Okeanos, d. h. am Eingang in’s Todtenreich (Od. 20, 61—65; 79 ff.) 1). Sie beruft sich zur Erläuterung dieses Wunsches auf ein Märchen, von der Art, wie sie wohl in den Weiber- gemächern oft erzählt werden mochten: von den Töchtern des Pandareos, die nach dem gewaltsamen Tode der Eltern von Aphrodite lieblich aufgenährt, von Hera, Artemis und Athene mit allen Gaben und Kunstfertigkeiten ausgestattet, einst, da Aphrodite in den Olymp gegangen war, um ihnen von Zeus einen Ehebund zu erbitten, von den Harpyien entrafft und den verhassten Erinyen zum Dienste gegeben worden seien 2). Diese volksthümliche Erzählung lässt, deutlicher als sonst die ho- merische Kunstdichtung, den Glauben erkennen, dass der Mensch, auch ohne zu sterben, dauernd dem Bereiche der le- benden Menschen entführt werden und an anderem Wohn- platze weiter leben könne. Denn lebendig werden die Töchter des Pandareos entrückt — freilich in das Reich der Todten, denn dorthin gelangen sie, wenn sie den Erinyen, den Höllen- geistern, dienen müssen 3). Dorthin wünscht auch Penelope, 1) Ausdrücklich wird der Wunsch schnell zu sterben entgegen- gesetzt dem Wunsche, durch die Harpyien entführt zu werden: 63 ἢ ἔπειτα — „oder sonst“, d. h. wenn mir schneller Tod nicht be- scheert ist. Nochmals 79. 80: ὧς ἔμ̕ ἀϊστώσειαν Ὀλύμπια δώματ̕ ἔχοντες ὴέ μ̕ ἐϋπλόκαμος βάλοι Ἄρτεμις. Die Harpyien = (ϑύελλα 63) bringen hier also nicht Tod, sondern entraffen Lebende (ἀναρπάξασα οἴχοιτο 63 f., ἅρπυιαι ἀνηρείψαντο 77 = ἀνέλοντο ϑύελλαι 66 und tragen sie κατ̕ ἠερόεντα κέλευϑα 64 zu den προχοαὶ ἀψορρόου Ὠκεανοῖο 65 ἔδοσαν στυγερῇσιν Ἐρινύσιν ἀμφιπολεύειν 78). An der „Einmündung des Okeanos“ (in’s Meer) ist der Eingang in’s Todtenreich: κ 508 ff. λ 13 ff. 2) Man möchte mehr von diesem eigenthümlichen Märchen erfahren; aber was uns sonst von Pandareos und seinen Töchtern berichtet wird (Schol. υ 66. 67; τ 518; Anton. Lib. 36) trägt zur Aufklärung der homerischen Erzählung nichts bei und gehört wohl z. Th. in ganz andere Zusammenhänge. Pandareos, Vater der Aëdon (τ 518 ff.) scheint ein an- derer zu sein. Auch die eigenthümliche Darstellung der zwei Pandareos- töchter auf Polygnots Unterweltgemälde (Paus. 10, 30, 2) hellt die Fabel nicht auf. 3) Die Erinyen haben ihren dauernden Aufenthalt im Erebos: wie namentlich aus Il. 9, 571 f.; 19, 259 erhellt. Wenn sie freilich auch Ver-

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/82>, abgerufen am 24.11.2024.