rung auf die Einkünffte zu appliciren. Ein Titu- lair hat freylich nicht nöthig, so viel Figur zu ma- chen, als ein anderer, der in einem würcklichen Am- te stehet, und die Besoldnng bekommt, er muß sich aber doch auch so bezeigen, daß er seinem Praedicat gemäß lebet, und bey manchen Gelegenheiten, da es seines Herrn Ehre und Respect erfordert, dem würcklichen wenig oder nichts nachgeben, und also erweisen, daß er im Stande wäre, wenn er wolte, oder es nöthig wäre, denen andern, die in würckli- chen Diensten stünden, sich bey seinen Ausgaben gleich aufzuführen.
§. 30. Findet ein vernünfftiger junger Cavalier einen tüchtigen Grund, um ein Praedicat anzusu- chen, und er siehet, daß es mit seinen übrigen Umständen harmonirt, so hält er die Mode mit, und läst sich einen Titul geben; wo aber nicht, so lebt er ohne Praedicat eben so geehrt, so ruhig und vergnügt, und bißweilen noch glücklicher als man- che Titulaire und würckliche Officianten. Weil ihm der Unterschied unter der innerlichen und äus- serlichen Ehre sehr genau bekandt, so weiß er, daß man auch ohne mancherley äusserliche Ehren-Be- zeigungen, die einem andere Leute, bißweilen wider ihren Willen, erzeigen müssen, geehrt leben könne. Man siehet hin und wieder, auf dem Lande und in grossen Städten, unterschiedene rechtschaffene und kluge Männer, Adelichen nnd Bürgerlichen Stan- des, die ohne Titul und Character, bey Höhern, bey ihres gleichen, und bey Geringern, in grössern
Ehren
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Von dem Titul-Weſen und Prædicaten.
rung auf die Einkuͤnffte zu appliciren. Ein Titu- lair hat freylich nicht noͤthig, ſo viel Figur zu ma- chen, als ein anderer, der in einem wuͤrcklichen Am- te ſtehet, und die Beſoldnng bekommt, er muß ſich aber doch auch ſo bezeigen, daß er ſeinem Prædicat gemaͤß lebet, und bey manchen Gelegenheiten, da es ſeines Herrn Ehre und Reſpect erfordert, dem wuͤrcklichen wenig oder nichts nachgeben, und alſo erweiſen, daß er im Stande waͤre, wenn er wolte, oder es noͤthig waͤre, denen andern, die in wuͤrckli- chen Dienſten ſtuͤnden, ſich bey ſeinen Ausgaben gleich aufzufuͤhren.
§. 30. Findet ein vernuͤnfftiger junger Cavalier einen tuͤchtigen Grund, um ein Prædicat anzuſu- chen, und er ſiehet, daß es mit ſeinen uͤbrigen Umſtaͤnden harmonirt, ſo haͤlt er die Mode mit, und laͤſt ſich einen Titul geben; wo aber nicht, ſo lebt er ohne Prædicat eben ſo geehrt, ſo ruhig und vergnuͤgt, und bißweilen noch gluͤcklicher als man- che Titulaire und wuͤrckliche Officianten. Weil ihm der Unterſchied unter der innerlichen und aͤuſ- ſerlichen Ehre ſehr genau bekandt, ſo weiß er, daß man auch ohne mancherley aͤuſſerliche Ehren-Be- zeigungen, die einem andere Leute, bißweilen wider ihren Willen, erzeigen muͤſſen, geehrt leben koͤnne. Man ſiehet hin und wieder, auf dem Lande und in groſſen Staͤdten, unterſchiedene rechtſchaffene und kluge Maͤnner, Adelichen nnd Buͤrgerlichen Stan- des, die ohne Titul und Character, bey Hoͤhern, bey ihres gleichen, und bey Geringern, in groͤſſern
Ehren
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Von dem Titul-Weſen und Prædicaten.
rung auf die Einkuͤnffte zu appliciren. Ein Titu-
lair hat freylich nicht noͤthig, ſo viel Figur zu ma-
chen, als ein anderer, der in einem wuͤrcklichen Am-
te ſtehet, und die Beſoldnng bekommt, er muß ſich
aber doch auch ſo bezeigen, daß er ſeinem Prædicat
gemaͤß lebet, und bey manchen Gelegenheiten, da
es ſeines Herrn Ehre und Reſpect erfordert, dem
wuͤrcklichen wenig oder nichts nachgeben, und alſo
erweiſen, daß er im Stande waͤre, wenn er wolte,
oder es noͤthig waͤre, denen andern, die in wuͤrckli-
chen Dienſten ſtuͤnden, ſich bey ſeinen Ausgaben
gleich aufzufuͤhren.
§. 30. Findet ein vernuͤnfftiger junger Cavalier
einen tuͤchtigen Grund, um ein Prædicat anzuſu-
chen, und er ſiehet, daß es mit ſeinen uͤbrigen
Umſtaͤnden harmonirt, ſo haͤlt er die Mode mit,
und laͤſt ſich einen Titul geben; wo aber nicht, ſo
lebt er ohne Prædicat eben ſo geehrt, ſo ruhig und
vergnuͤgt, und bißweilen noch gluͤcklicher als man-
che Titulaire und wuͤrckliche Officianten. Weil
ihm der Unterſchied unter der innerlichen und aͤuſ-
ſerlichen Ehre ſehr genau bekandt, ſo weiß er, daß
man auch ohne mancherley aͤuſſerliche Ehren-Be-
zeigungen, die einem andere Leute, bißweilen wider
ihren Willen, erzeigen muͤſſen, geehrt leben koͤnne.
Man ſiehet hin und wieder, auf dem Lande und in
groſſen Staͤdten, unterſchiedene rechtſchaffene und
kluge Maͤnner, Adelichen nnd Buͤrgerlichen Stan-
des, die ohne Titul und Character, bey Hoͤhern,
bey ihres gleichen, und bey Geringern, in groͤſſern
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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/107>, abgerufen am 21.11.2024.
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