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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728.

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I. Theil. V. Capitul.

§. 18. Die Redens-Arten in den guten Com-
plimens
der geschickten Hof-Leute bestehen eben
nicht in solchen Worten, die der gemeine Mann alle
Tage im Munde führet, jedoch auch nicht in so
prächtigen und hochtrabenden, wie sie öffters in den
Schulen gelehrt und gelernet werden, oder wie man
sie bey solennen Reden etwan zu gebrauchen pflegt,
sondern in einer wohlausgesuchten Mittelstrasse.

§. 19. Bey Abstattung der Complimens hat
ein junger Cavalier Acht zu haben, daß er sie so ein-
richte, wie es an einem jeden Orte gebräuchlich;
will er nun hierinnen nicht verstossen, so muß er sich
vorher erkundigen, was die Observanz an einem
jeden Ort erfordere. An einigen Höfen und grossen
Städten ist es gewöhnlich, daß man einander zum
H. Weyhnacht-Fest, zum Oster-Fest u. s. f. feli-
citi
rt, oder durch die Bedienten gratuliren läst, an
andern hingegen werden dergleichen Complimens
vor bürgerlich, vor abgeschmackt und lächerlich an-
gesehen. Untersucht man den Grund dieser Com-
plimente,
so scheinen sie freylich etwas überflüßiges
zu seyn; denn sonst müsten die Menschen einander
alle Fest Tage oder Sonntage gratuliren, daß sie
dieselben erlebt hätten. Ja man hat auch so gar
bey den gewöhnlichen Neu-Jahr-Wünschen keins
gewisse Regel. An einigen Orten auf dem Lande,
oder bey diesem und jenem Minister, würde es einem
jungen Menschen gar sehr verdacht werden, wenn
er nicht mit einem zierlichen und solennen Neu-
Jahrs-Wunsch aufgezogen käme; an manchen

Höfen
I. Theil. V. Capitul.

§. 18. Die Redens-Arten in den guten Com-
plimens
der geſchickten Hof-Leute beſtehen eben
nicht in ſolchen Worten, die der gemeine Mann alle
Tage im Munde fuͤhret, jedoch auch nicht in ſo
praͤchtigen und hochtrabenden, wie ſie oͤffters in den
Schulen gelehrt und gelernet werden, oder wie man
ſie bey ſolennen Reden etwan zu gebrauchen pflegt,
ſondern in einer wohlausgeſuchten Mittelſtraſſe.

§. 19. Bey Abſtattung der Complimens hat
ein junger Cavalier Acht zu haben, daß er ſie ſo ein-
richte, wie es an einem jeden Orte gebraͤuchlich;
will er nun hierinnen nicht verſtoſſen, ſo muß er ſich
vorher erkundigen, was die Obſervanz an einem
jeden Ort erfordere. An einigen Hoͤfen und groſſen
Staͤdten iſt es gewoͤhnlich, daß man einander zum
H. Weyhnacht-Feſt, zum Oſter-Feſt u. ſ. f. feli-
citi
rt, oder durch die Bedienten gratuliren laͤſt, an
andern hingegen werden dergleichen Complimens
vor buͤrgerlich, vor abgeſchmackt und laͤcherlich an-
geſehen. Unterſucht man den Grund dieſer Com-
plimente,
ſo ſcheinen ſie freylich etwas uͤberfluͤßiges
zu ſeyn; denn ſonſt muͤſten die Menſchen einander
alle Feſt Tage oder Sonntage gratuliren, daß ſie
dieſelben erlebt haͤtten. Ja man hat auch ſo gar
bey den gewoͤhnlichen Neu-Jahr-Wuͤnſchen keins
gewiſſe Regel. An einigen Orten auf dem Lande,
oder bey dieſem und jenem Miniſter, wuͤrde es einem
jungen Menſchen gar ſehr verdacht werden, wenn
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Jahrs-Wunſch aufgezogen kaͤme; an manchen

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[156/0176] I. Theil. V. Capitul. §. 18. Die Redens-Arten in den guten Com- plimens der geſchickten Hof-Leute beſtehen eben nicht in ſolchen Worten, die der gemeine Mann alle Tage im Munde fuͤhret, jedoch auch nicht in ſo praͤchtigen und hochtrabenden, wie ſie oͤffters in den Schulen gelehrt und gelernet werden, oder wie man ſie bey ſolennen Reden etwan zu gebrauchen pflegt, ſondern in einer wohlausgeſuchten Mittelſtraſſe. §. 19. Bey Abſtattung der Complimens hat ein junger Cavalier Acht zu haben, daß er ſie ſo ein- richte, wie es an einem jeden Orte gebraͤuchlich; will er nun hierinnen nicht verſtoſſen, ſo muß er ſich vorher erkundigen, was die Obſervanz an einem jeden Ort erfordere. An einigen Hoͤfen und groſſen Staͤdten iſt es gewoͤhnlich, daß man einander zum H. Weyhnacht-Feſt, zum Oſter-Feſt u. ſ. f. feli- citirt, oder durch die Bedienten gratuliren laͤſt, an andern hingegen werden dergleichen Complimens vor buͤrgerlich, vor abgeſchmackt und laͤcherlich an- geſehen. Unterſucht man den Grund dieſer Com- plimente, ſo ſcheinen ſie freylich etwas uͤberfluͤßiges zu ſeyn; denn ſonſt muͤſten die Menſchen einander alle Feſt Tage oder Sonntage gratuliren, daß ſie dieſelben erlebt haͤtten. Ja man hat auch ſo gar bey den gewoͤhnlichen Neu-Jahr-Wuͤnſchen keins gewiſſe Regel. An einigen Orten auf dem Lande, oder bey dieſem und jenem Miniſter, wuͤrde es einem jungen Menſchen gar ſehr verdacht werden, wenn er nicht mit einem zierlichen und ſolennen Neu- Jahrs-Wunſch aufgezogen kaͤme; an manchen Hoͤfen

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Zitationshilfe: Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/176>, abgerufen am 09.11.2024.