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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728.

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I. Theil. I. Capitul.
Interesse befördern soll. Die Ceremoniel-Wis-
senschafft sondert sich von den beyden vorherge-
henden in folgenden Stücken ab. Zum ersten leh-
ret sie gewisse Handlungen, die der Tugend-Lehre
und der Klugheit zu leben, gantz und gar unbekannt.
Zum andern giebet sie bey gewissen Pflichten, dar-
um sich jene auch bekümmern, etwas speciellere
Regeln, da jene bey den allgemeinen stehen blei-
ben. Zum dritten erwehlet sie vornehmlich den
Beyfall der meisten oder der vornehmsten Leute
zu ihrer Absicht. Wer die Pflichten der Tugend-
Lehre beobachtet, wird mit Recht ein ehrlicher red-
licher Mann oder ein honet homme, nach dem
Frantzösischen, genannt: wer den Maximen der Po-
litique
folget, heist ein verschlagner, ein geschickter,
ein weltkluger Mann, und wer sich in das Cere-
moniel-
Wesen wohl zu schicken weiß, wird als ein
galant homme, ein politisch- und manierlicher
Mensch gerühmt.

§. 5. Vielleicht könte man die Ceremoniel-
Wissenschafft kurtz beschreiben, wenn man sagte,
sie ertheilte Regeln, wie man sich in der Welt ga-
lant
aufführen solte; doch dieses wäre etwas un-
deutlich, es haben die meisten, die von lauter Ga-
lanteri
en reden, dunckele Begriffe dabey, und wis-
sen sich dißfalls nicht deutlich zu erklären. Jnson-
derheit ist, nach dem Ausspruch des Englischen Spe-
ctateurs
der weiblichen Einbildungs-Krafft, nichts
weiter dazu nöthig, als ein wohlgestallter Leib, eine
schöne Farbe des Angesichts, eine schöne Peruque,

ein

I. Theil. I. Capitul.
Intereſſe befoͤrdern ſoll. Die Ceremoniel-Wiſ-
ſenſchafft ſondert ſich von den beyden vorherge-
henden in folgenden Stuͤcken ab. Zum erſten leh-
ret ſie gewiſſe Handlungen, die der Tugend-Lehre
und der Klugheit zu leben, gantz und gar unbekannt.
Zum andern giebet ſie bey gewiſſen Pflichten, dar-
um ſich jene auch bekuͤmmern, etwas ſpeciellere
Regeln, da jene bey den allgemeinen ſtehen blei-
ben. Zum dritten erwehlet ſie vornehmlich den
Beyfall der meiſten oder der vornehmſten Leute
zu ihrer Abſicht. Wer die Pflichten der Tugend-
Lehre beobachtet, wird mit Recht ein ehrlicher red-
licher Mann oder ein honet homme, nach dem
Frantzoͤſiſchen, genannt: wer den Maximen der Po-
litique
folget, heiſt ein verſchlagner, ein geſchickter,
ein weltkluger Mann, und wer ſich in das Cere-
moniel-
Weſen wohl zu ſchicken weiß, wird als ein
galant homme, ein politiſch- und manierlicher
Menſch geruͤhmt.

§. 5. Vielleicht koͤnte man die Ceremoniel-
Wiſſenſchafft kurtz beſchreiben, wenn man ſagte,
ſie ertheilte Regeln, wie man ſich in der Welt ga-
lant
auffuͤhren ſolte; doch dieſes waͤre etwas un-
deutlich, es haben die meiſten, die von lauter Ga-
lanteri
en reden, dunckele Begriffe dabey, und wiſ-
ſen ſich dißfalls nicht deutlich zu erklaͤren. Jnſon-
derheit iſt, nach dem Ausſpruch des Engliſchen Spe-
ctateurs
der weiblichen Einbildungs-Krafft, nichts
weiter dazu noͤthig, als ein wohlgeſtallter Leib, eine
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[4/0024] I. Theil. I. Capitul. Intereſſe befoͤrdern ſoll. Die Ceremoniel-Wiſ- ſenſchafft ſondert ſich von den beyden vorherge- henden in folgenden Stuͤcken ab. Zum erſten leh- ret ſie gewiſſe Handlungen, die der Tugend-Lehre und der Klugheit zu leben, gantz und gar unbekannt. Zum andern giebet ſie bey gewiſſen Pflichten, dar- um ſich jene auch bekuͤmmern, etwas ſpeciellere Regeln, da jene bey den allgemeinen ſtehen blei- ben. Zum dritten erwehlet ſie vornehmlich den Beyfall der meiſten oder der vornehmſten Leute zu ihrer Abſicht. Wer die Pflichten der Tugend- Lehre beobachtet, wird mit Recht ein ehrlicher red- licher Mann oder ein honet homme, nach dem Frantzoͤſiſchen, genannt: wer den Maximen der Po- litique folget, heiſt ein verſchlagner, ein geſchickter, ein weltkluger Mann, und wer ſich in das Cere- moniel-Weſen wohl zu ſchicken weiß, wird als ein galant homme, ein politiſch- und manierlicher Menſch geruͤhmt. §. 5. Vielleicht koͤnte man die Ceremoniel- Wiſſenſchafft kurtz beſchreiben, wenn man ſagte, ſie ertheilte Regeln, wie man ſich in der Welt ga- lant auffuͤhren ſolte; doch dieſes waͤre etwas un- deutlich, es haben die meiſten, die von lauter Ga- lanterien reden, dunckele Begriffe dabey, und wiſ- ſen ſich dißfalls nicht deutlich zu erklaͤren. Jnſon- derheit iſt, nach dem Ausſpruch des Engliſchen Spe- ctateurs der weiblichen Einbildungs-Krafft, nichts weiter dazu noͤthig, als ein wohlgeſtallter Leib, eine ſchoͤne Farbe des Angeſichts, eine ſchoͤne Peruque, ein

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Zitationshilfe: Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/24>, abgerufen am 23.11.2024.