wenn sie mit ihm discouriren, so nahe auf den Hals treten, daß sie ihm fast in das Gesichte geifern und sprudeln, und den andern dadurch von sich und zurück treiben, oder ihn auf eine pedantische Weise die Knöpffe an dem Rock oder der Veste herum- drehen.
Das III. Capitul. Von Ablegung öffentlicher Reden.
§. 1.
BEvor sich ein junger Mensch entschleußt, ei- ne öffentliche Rede abzulegen, muß er sei- ne Leibes und Gemüths-Kräffte genau geprüfet haben, ob er auch Fähigkeit be- sitze, mit Ehren vor einer öffentlichen Gesellschafft als ein Redner zu erscheinen, damit es nicht hernach von ihm heissen möchte: Si tacuisses, Philosophus mansisses. Er muß wissen, ob er auch Muth gnug habe, vor dem Volck zu reden, ob er geschickt sey, eine manierliche Rede selbst auszuarbeiten, oder die fremde Arbeit wieder herzusagen, ob er sich auf sein Gedächtniß verlassen könne, und wenn er aus dem Concept gekommen, sich durch eine natürliche Beredsamkeit wieder zu helffen wisse, ob seine Aus- sprache so beschaffen, daß er sich darf öffentlich hö- ren lassen, ob seine Minen und Geberden nichts un-
anstän-
Von der Converſation.
wenn ſie mit ihm diſcouriren, ſo nahe auf den Hals treten, daß ſie ihm faſt in das Geſichte geifern und ſprudeln, und den andern dadurch von ſich und zuruͤck treiben, oder ihn auf eine pedantiſche Weiſe die Knoͤpffe an dem Rock oder der Veſte herum- drehen.
Das III. Capitul. Von Ablegung oͤffentlicher Reden.
§. 1.
BEvor ſich ein junger Menſch entſchleußt, ei- ne oͤffentliche Rede abzulegen, muß er ſei- ne Leibes und Gemuͤths-Kraͤffte genau gepruͤfet haben, ob er auch Faͤhigkeit be- ſitze, mit Ehren vor einer oͤffentlichen Geſellſchafft als ein Redner zu erſcheinen, damit es nicht hernach von ihm heiſſen moͤchte: Si tacuiſſes, Philoſophus manſiſſes. Er muß wiſſen, ob er auch Muth gnug habe, vor dem Volck zu reden, ob er geſchickt ſey, eine manierliche Rede ſelbſt auszuarbeiten, oder die fremde Arbeit wieder herzuſagen, ob er ſich auf ſein Gedaͤchtniß verlaſſen koͤnne, und wenn er aus dem Concept gekommen, ſich durch eine natuͤrliche Beredſamkeit wieder zu helffen wiſſe, ob ſeine Aus- ſprache ſo beſchaffen, daß er ſich darf oͤffentlich hoͤ- ren laſſen, ob ſeine Minen und Geberden nichts un-
anſtaͤn-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0321"n="301"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Von der <hirendition="#aq">Converſation.</hi></hi></fw><lb/>
wenn ſie mit ihm <hirendition="#aq">diſcouri</hi>ren, ſo nahe auf den Hals<lb/>
treten, daß ſie ihm faſt in das Geſichte geifern und<lb/>ſprudeln, und den andern dadurch von ſich und<lb/>
zuruͤck treiben, oder ihn auf eine <hirendition="#aq">pedanti</hi>ſche Weiſe<lb/>
die Knoͤpffe an dem Rock oder der <hirendition="#aq">Veſte</hi> herum-<lb/>
drehen.</p></div><lb/><divn="1"><head><hirendition="#b">Das <hirendition="#aq">III.</hi> Capitul.<lb/>
Von Ablegung oͤffentlicher<lb/>
Reden.</hi></head><lb/><p><hirendition="#c">§. 1.</hi></p><lb/><p><hirendition="#in">B</hi>Evor ſich ein junger Menſch entſchleußt, ei-<lb/>
ne oͤffentliche Rede abzulegen, muß er ſei-<lb/>
ne Leibes und Gemuͤths-Kraͤffte genau<lb/>
gepruͤfet haben, ob er auch Faͤhigkeit be-<lb/>ſitze, mit Ehren vor einer oͤffentlichen Geſellſchafft<lb/>
als ein Redner zu erſcheinen, damit es nicht hernach<lb/>
von ihm heiſſen moͤchte: <hirendition="#aq">Si tacuiſſes, Philoſophus<lb/>
manſiſſes.</hi> Er muß wiſſen, ob er auch Muth gnug<lb/>
habe, vor dem Volck zu reden, ob er geſchickt ſey,<lb/>
eine manierliche Rede ſelbſt auszuarbeiten, oder<lb/>
die fremde Arbeit wieder herzuſagen, ob er ſich auf<lb/>ſein Gedaͤchtniß verlaſſen koͤnne, und wenn er aus<lb/>
dem <hirendition="#aq">Concept</hi> gekommen, ſich durch eine natuͤrliche<lb/>
Beredſamkeit wieder zu helffen wiſſe, ob ſeine Aus-<lb/>ſprache ſo beſchaffen, daß er ſich darf oͤffentlich hoͤ-<lb/>
ren laſſen, ob ſeine Minen und Geberden nichts un-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">anſtaͤn-</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[301/0321]
Von der Converſation.
wenn ſie mit ihm diſcouriren, ſo nahe auf den Hals
treten, daß ſie ihm faſt in das Geſichte geifern und
ſprudeln, und den andern dadurch von ſich und
zuruͤck treiben, oder ihn auf eine pedantiſche Weiſe
die Knoͤpffe an dem Rock oder der Veſte herum-
drehen.
Das III. Capitul.
Von Ablegung oͤffentlicher
Reden.
§. 1.
BEvor ſich ein junger Menſch entſchleußt, ei-
ne oͤffentliche Rede abzulegen, muß er ſei-
ne Leibes und Gemuͤths-Kraͤffte genau
gepruͤfet haben, ob er auch Faͤhigkeit be-
ſitze, mit Ehren vor einer oͤffentlichen Geſellſchafft
als ein Redner zu erſcheinen, damit es nicht hernach
von ihm heiſſen moͤchte: Si tacuiſſes, Philoſophus
manſiſſes. Er muß wiſſen, ob er auch Muth gnug
habe, vor dem Volck zu reden, ob er geſchickt ſey,
eine manierliche Rede ſelbſt auszuarbeiten, oder
die fremde Arbeit wieder herzuſagen, ob er ſich auf
ſein Gedaͤchtniß verlaſſen koͤnne, und wenn er aus
dem Concept gekommen, ſich durch eine natuͤrliche
Beredſamkeit wieder zu helffen wiſſe, ob ſeine Aus-
ſprache ſo beſchaffen, daß er ſich darf oͤffentlich hoͤ-
ren laſſen, ob ſeine Minen und Geberden nichts un-
anſtaͤn-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/321>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.