theils sündlich und unvernünfftig sind, und deren Gebrauch und Zuläßigkeit bey den meisten durch ihre eigene Schuld in Mißbrauch und unzuläßiges Wesen verwandelt worden.
§. 10. Wie sind doch die Nachfolger der ersten Christen auch in diesem Stück von ihren Vorfah- rern abgewichen! Von ihren Gastereyen, oder Liebes-Mahlen, gedencket Tertullianus folgendes: Unsere Mahlzeiten haben eine ehrliche Ursache, dar- aus ihr billich schliessen könnet, es gehe darinnen auch ehrlich zu. Hier ist kein unbescheidenes oder liederliches Wesen. Wir begeben uns nicht eher zum Essen, wenn wir unser Gebeth nicht zuvor zu GOtt gethan haben. Sie unterrichteten auch die Jüngern, man müste nicht eher Speise nehmen, wo nicht das Gebeth vorhergegangen, auch müste man nicht vom Tisch aufstehen, ehe man dem HERRN gedancket hätte. Als die Feinde der Wahrheit von den Christlichen Liebes-Mahlen und andern Zusammenkünfften lästerten, daß sich die Christen dabey pflegten vollzufressen und zu sauffen, konten diese jenen getrost unter die Augen treten, und sich dagegen der Mäßigkeit rühmen. Wir essen, sagten sie, so viel als einem Hungerigen gebühret, und trincken so viel, als keuschen Leuten dienet. Wir sättigen uns also, daß wir dabey be- dencken, wie wir unser Nachgebeth zu GOtt thun müssen. Nach der Mahlzeit wird einer unter uns aufgefordert, daß er GOtt mit einem Liede loben soll. Sie erwehleten solche Speisen, dadurch die
Lüste
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Vom Tractiren und denen Gaſtereyen.
theils ſuͤndlich und unvernuͤnfftig ſind, und deren Gebrauch und Zulaͤßigkeit bey den meiſten durch ihre eigene Schuld in Mißbrauch und unzulaͤßiges Weſen verwandelt worden.
§. 10. Wie ſind doch die Nachfolger der erſten Chriſten auch in dieſem Stuͤck von ihren Vorfah- rern abgewichen! Von ihren Gaſtereyen, oder Liebes-Mahlen, gedencket Tertullianus folgendes: Unſere Mahlzeiten haben eine ehrliche Urſache, dar- aus ihr billich ſchlieſſen koͤnnet, es gehe darinnen auch ehrlich zu. Hier iſt kein unbeſcheidenes oder liederliches Weſen. Wir begeben uns nicht eher zum Eſſen, wenn wir unſer Gebeth nicht zuvor zu GOtt gethan haben. Sie unterrichteten auch die Juͤngern, man muͤſte nicht eher Speiſe nehmen, wo nicht das Gebeth vorhergegangen, auch muͤſte man nicht vom Tiſch aufſtehen, ehe man dem HERRN gedancket haͤtte. Als die Feinde der Wahrheit von den Chriſtlichen Liebes-Mahlen und andern Zuſammenkuͤnfften laͤſterten, daß ſich die Chriſten dabey pflegten vollzufreſſen und zu ſauffen, konten dieſe jenen getroſt unter die Augen treten, und ſich dagegen der Maͤßigkeit ruͤhmen. Wir eſſen, ſagten ſie, ſo viel als einem Hungerigen gebuͤhret, und trincken ſo viel, als keuſchen Leuten dienet. Wir ſaͤttigen uns alſo, daß wir dabey be- dencken, wie wir unſer Nachgebeth zu GOtt thun muͤſſen. Nach der Mahlzeit wird einer unter uns aufgefordert, daß er GOtt mit einem Liede loben ſoll. Sie erwehleten ſolche Speiſen, dadurch die
Luͤſte
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Vom Tractiren und denen Gaſtereyen.
theils ſuͤndlich und unvernuͤnfftig ſind, und deren
Gebrauch und Zulaͤßigkeit bey den meiſten durch
ihre eigene Schuld in Mißbrauch und unzulaͤßiges
Weſen verwandelt worden.
§. 10. Wie ſind doch die Nachfolger der erſten
Chriſten auch in dieſem Stuͤck von ihren Vorfah-
rern abgewichen! Von ihren Gaſtereyen, oder
Liebes-Mahlen, gedencket Tertullianus folgendes:
Unſere Mahlzeiten haben eine ehrliche Urſache, dar-
aus ihr billich ſchlieſſen koͤnnet, es gehe darinnen
auch ehrlich zu. Hier iſt kein unbeſcheidenes oder
liederliches Weſen. Wir begeben uns nicht eher
zum Eſſen, wenn wir unſer Gebeth nicht zuvor zu
GOtt gethan haben. Sie unterrichteten auch die
Juͤngern, man muͤſte nicht eher Speiſe nehmen,
wo nicht das Gebeth vorhergegangen, auch muͤſte
man nicht vom Tiſch aufſtehen, ehe man dem
HERRN gedancket haͤtte. Als die Feinde der
Wahrheit von den Chriſtlichen Liebes-Mahlen
und andern Zuſammenkuͤnfften laͤſterten, daß ſich
die Chriſten dabey pflegten vollzufreſſen und zu
ſauffen, konten dieſe jenen getroſt unter die Augen
treten, und ſich dagegen der Maͤßigkeit ruͤhmen.
Wir eſſen, ſagten ſie, ſo viel als einem Hungerigen
gebuͤhret, und trincken ſo viel, als keuſchen Leuten
dienet. Wir ſaͤttigen uns alſo, daß wir dabey be-
dencken, wie wir unſer Nachgebeth zu GOtt thun
muͤſſen. Nach der Mahlzeit wird einer unter uns
aufgefordert, daß er GOtt mit einem Liede loben
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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 433. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/453>, abgerufen am 22.11.2024.
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