§. 6. Die sich auf das Ceremoniel-Wesen le- gen, thun überaus wohl, daß sie bey allerhand Ce- remonien acht haben, ob sie etwas bedeuten oder nicht, denn hiedurch bekommen sie offters Gelegen- heit, daß sie den Grund davon entweder gewiß, oder doch nach einer grossen Wahrscheinlichkeit entde- cken. Bleibt ihnen die Bedeutung hievon unbe- kannt, und können sie den Grund nicht allezeit fin- den, so müssen sie doch nicht gleich schlüssen, daß sie keine Bedeutung habe, und ungegründet sey. Die Unvollständigkeit der Geschichte ist schuld, daß wir bey vielen Gebräuchen und Verfassungen, den Grund, warum unsern Vorfahren dergleichen be- liebet, nicht anzuzeigen wissen. Trifft es bey einer Sache ein, quod non omnium, quae a majoribus sancita sunt, reddi possit ratio, so trifft es bey dem Ceremonien-Wesen ein.
§. 7. Wären die Ceremonien weniger, so wür- den sie offters auch nützlicher seyn. Da aber bey manchen öffentlichen Handlungen allzuviel Cere- monien unternommen werden, so werden diejeni- gen, die hierbey ihrer Pflichten wahrnehmen solten, über den allzuvielen Wesen gantz confuse, und von der nöthigen Aufmercksamkeit abgehalten.
§. 8. Daß bey den Ceremoniel-Stücken der grossen Herren viel Dinge mit unterlauffen, die der Ehre GOttes, der Vorschrifft seines Wortes, und der Verordnung der natürlichen Rechte zuwider lauffen, ist mehr als zu gewiß, es würde aber eine verhaßte Arbeit seyn, wenn man die hierbey herr-
schen-
I. Theil. I. Capitul.
§. 6. Die ſich auf das Ceremoniel-Weſen le- gen, thun uͤberaus wohl, daß ſie bey allerhand Ce- remonien acht haben, ob ſie etwas bedeuten oder nicht, denn hiedurch bekommen ſie offters Gelegen- heit, daß ſie den Grund davon entweder gewiß, oder doch nach einer groſſen Wahrſcheinlichkeit entde- cken. Bleibt ihnen die Bedeutung hievon unbe- kannt, und koͤnnen ſie den Grund nicht allezeit fin- den, ſo muͤſſen ſie doch nicht gleich ſchluͤſſen, daß ſie keine Bedeutung habe, und ungegruͤndet ſey. Die Unvollſtaͤndigkeit der Geſchichte iſt ſchuld, daß wir bey vielen Gebraͤuchen und Verfaſſungen, den Grund, warum unſern Vorfahren dergleichen be- liebet, nicht anzuzeigen wiſſen. Trifft es bey einer Sache ein, quod non omnium, quæ â majoribus ſancita ſunt, reddi poſſit ratio, ſo trifft es bey dem Ceremonien-Weſen ein.
§. 7. Waͤren die Ceremonien weniger, ſo wuͤr- den ſie offters auch nuͤtzlicher ſeyn. Da aber bey manchen oͤffentlichen Handlungen allzuviel Cere- monien unternommen werden, ſo werden diejeni- gen, die hierbey ihrer Pflichten wahrnehmen ſolten, uͤber den allzuvielen Weſen gantz confuſe, und von der noͤthigen Aufmerckſamkeit abgehalten.
§. 8. Daß bey den Ceremoniel-Stuͤcken der groſſen Herren viel Dinge mit unterlauffen, die der Ehre GOttes, der Vorſchrifft ſeines Wortes, und der Verordnung der natuͤrlichen Rechte zuwider lauffen, iſt mehr als zu gewiß, es wuͤrde aber eine verhaßte Arbeit ſeyn, wenn man die hierbey herr-
ſchen-
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I. Theil. I. Capitul.
§. 6. Die ſich auf das Ceremoniel-Weſen le-
gen, thun uͤberaus wohl, daß ſie bey allerhand Ce-
remonien acht haben, ob ſie etwas bedeuten oder
nicht, denn hiedurch bekommen ſie offters Gelegen-
heit, daß ſie den Grund davon entweder gewiß, oder
doch nach einer groſſen Wahrſcheinlichkeit entde-
cken. Bleibt ihnen die Bedeutung hievon unbe-
kannt, und koͤnnen ſie den Grund nicht allezeit fin-
den, ſo muͤſſen ſie doch nicht gleich ſchluͤſſen, daß ſie
keine Bedeutung habe, und ungegruͤndet ſey. Die
Unvollſtaͤndigkeit der Geſchichte iſt ſchuld, daß wir
bey vielen Gebraͤuchen und Verfaſſungen, den
Grund, warum unſern Vorfahren dergleichen be-
liebet, nicht anzuzeigen wiſſen. Trifft es bey einer
Sache ein, quod non omnium, quæ â majoribus
ſancita ſunt, reddi poſſit ratio, ſo trifft es bey dem
Ceremonien-Weſen ein.
§. 7. Waͤren die Ceremonien weniger, ſo wuͤr-
den ſie offters auch nuͤtzlicher ſeyn. Da aber bey
manchen oͤffentlichen Handlungen allzuviel Cere-
monien unternommen werden, ſo werden diejeni-
gen, die hierbey ihrer Pflichten wahrnehmen ſolten,
uͤber den allzuvielen Weſen gantz confuſe, und von
der noͤthigen Aufmerckſamkeit abgehalten.
§. 8. Daß bey den Ceremoniel-Stuͤcken der
groſſen Herren viel Dinge mit unterlauffen, die der
Ehre GOttes, der Vorſchrifft ſeines Wortes, und
der Verordnung der natuͤrlichen Rechte zuwider
lauffen, iſt mehr als zu gewiß, es wuͤrde aber eine
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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der großen Herren. Berlin, 1729, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1729/28>, abgerufen am 24.11.2024.
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